Keine atomare Sicherheit ohne AbrüstungAuf dem Gipfeltreffen in Seoul geht es um die Sicherung von NuklearmaterialVon Wolfgang Kötter Wie gut sind die Tausenden Tonnen von Nuklearmaterial, die auf der ganzen Welt verstreut lagern, gegen Diebstahl und Nuklearterrorismus gesichert? Auf dem heute beginnenden Gipfeltreffen in Seoul wollen Spitzenpolitiker aus über 50 Staaten und internationalen Organisationen Antworten auf diese Frage finden und nach Wegen zur Gefahrenabwendung suchen. Unzureichend gesicherte LagerstättenExperten der Washingtoner Nichtregierungsorganisation "Initiative gegen die nukleare Bedrohung" (Nuclear Threat Initiative - NTI) haben zu Jahresbeginn besorgniserregende Fakten auf den Tisch gelegt. Ihre Studie untersucht in 176 Ländern die Sicherheit von Atommaterial in hunderten Lagerstätten. Der von ihnen erstellte Index bewertet den Platz jedes Landes nach fünf Kriterien: Anzahl der Lagerstätten und Menge des dort vorhandenen hochangereicherten Urans und Plutoniums, Schutzvorkehrungen in den Atomlagern, Transparenz und Umsetzung von internationalen Sicherheitsstandards, Fähigkeit und Bereitschaft zur Anwendung dieser Standards, sowie soziale Faktoren wie politische Stabilität, Korruption und Existenz von Gruppen, die sich Atommaterial verschaffen wollen. Den Schwerpunkt legen die Wissenschaftler auf jene 32 Staaten, die über mehr als ein Kilogramm waffenfähiges Nuklearmaterial verfügen. Einige der untersuchten Stätten seien gut gesichert, viele andere jedoch nicht, sodass waffenfähiges Atommaterial gestohlen oder auf dem Schwarzmarkt an Terrororganisationen verkauft werden könnte, heißt es in dem Papier. "Die globale nukleare Sicherheit ist nur so stark wie das schwächste Kettenglied", mahnt der NTI-Co-Vorsitzende und ehemalige demokratische US-Senator Sam Nunn, "wir befinden uns in einem Wettrennen zwischen internationaler Kooperation und nuklearer Katastrophe." Als sicherste Länder stufen die Experten Australien, die Schweiz, Ungarn und Tschechien ein. Deutschland nimmt gemeinsam mit Belgien und Großbritannien den zehnten Platz ein. Am Ende rangieren Nordkorea wegen mangelnder Transparenz und Einhaltung internationaler Normen, Pakistan wegen seiner politischen Instabilität, der Existenz militanter Organisationen sowie verbreiteter Korruption und der hohen Zahl an Lagerstätten, und schließlich der Iran, der verdächtigt wird, ein illegales Atomwaffenprogramm zu betreiben. "Der Index zeigt auf, welche Schritte die Länder unternehmen können, um die Sicherheit ihres Nuklearmaterials zu erhöhen", erklärt NTI-Präsidentin Joan Rohlfing, "alle Staaten können und sollten mehr tun." Die Verfasser der Studie empfehlen als vordringliche Maßnahmen zur Gefahrenabwendung: Waffenfähiges Nuklearmaterial so weit wie möglich zu vernichten; für Lagerstätten und Transporte strengste Sicherung, Schutz und Bestandsaufnahmen anzuwenden; alle Anreicherungs- und Wiederaufbereitungsanlagen unter Kontrolle der Atomenergieorganisation IAEA zu stellen und relevante Nuklear-Verträge einzuhalten. Auf internationaler Ebene mahnen die Autoren ein globales Sicherheitssystem für Nuklearmaterial an. Das erfordert einen Dialog über Prioritäten, Bewertungsmaßstäbe für Fortschritte, erhöhte Transparenz der Staaten und einen Stopp für die weitere Anhäufung von waffenfähigem Material. So richtig und dringlich derartige Maßnahmen auch sind, sie dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine dauerhafte nukleare Sicherheit letztlich auch die Beseitigung der Atomwaffen, also die nukleare Abrüstung erfordert. Erfolge und weitere HerausforderungenDie in Seoul versammelten Politiker haben nun die Aufgabe, die Empfehlungen in verbindliche Maßnahmen und Verpflichtungen umzusetzen. Schließlich haben sie sich bereits vor zwei Jahren auf dem ersten Gipfeltreffen dieser Art in Washington auf Hauptprinzipien der Zusammenarbeit geeinigt und ihren politischen Willen bekräftigen, das höchstmögliche Maß an Nuklearsicherheit herzustellen. Einer soeben von der renommierten "Arms Control Association" veröffentlichten Studie zufolge sind bisher 80 Prozent der damals eingegangenen Verpflichtungen eingelöst worden. So hat beispielsweise Kasachstan 13 Tonnen hochangereichertes Uran und Plutonium(HEU) gesichert. Chile und die Ukraine haben ihre gesamten HEU-Vorräte vernichtet und Russland die Produktion von Plutonium eingestellt. Außerdem haben Moskau und die Washington vereinbart, jeweils 34 Tonnen Plutonium zu entsorgen, ausreichend für den Bau von 17.000 Atomwaffen. Gegenüber der damaligen Tagesordnung, bei der es hauptsächlich um die Sicherung der bestehenden nuklearen Lagerstätten von hochangereichertem Uran und Plutonium ging, wurde das gegenwärtige Programm um das Thema radiologische Sicherheit erweitert. Eine radiologische Waffe, auch "schmutzige Bombe" genannt, ist keine Atomwaffe. Zwar ist auch radioaktives Material im Spiel, aber es wird nicht durch eine Kernspaltungsexplosion freigesetzt. Vielmehr handelt es sich um einen konventionellen Sprengsatz, in dessen Innerem sich nukleare Isotope, z.B. Strontium, Cäsium oder Kobalt, befinden. Durch die Explosion eines solchen herkömmlichen Explosionsstoffes können radioaktive Substanzen über weite Flächen verbreitet werden. Dabei kommt keine nukleare Kettenreaktion in Gang, aber die Strahlung würde ganze Städte und Regionen auf lange Zeit unbewohnbar machen. Mit einer "schmutzigen Bombe" lassen sich zwar nur relativ geringe Zerstörungen anrichten, aber dennoch wären Chaos, Panik und Massenpsychosen die wahrscheinlichen Folgen derartiger Anschläge. Die betroffene Gegend müsste aufwendig gereinigt werden und nach einem solchen Anschlag wäre das normale Leben erheblich gestört. Quellen für radioaktives Material können beispielsweise medizinische Geräte oder Abfall von Atomkraftwerken sein. Cäsium gilt als die wahrscheinlichste radioaktive Füllung, weil es vergleichsweise sicher in der Handhabung und in medizinischen Geräten weit verbreitet ist. Florierende NukleardiebstähleMit Bezug auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 in den USA sieht Tomihiro Taniguchi, Vize-Generaldirektor der IAEA, für die Menschheit ein "nukleares 9/11" heraufziehen, wenn es Extremisten gelingt, in Plutonium- und Uranlagerstätten einzudringen. Bereits seit längerem deuten Signale darauf hin, dass solche Befürchtungen nicht ganz unberechtigt sind. "Manche Leute glauben nicht daran, dass es ein reales Risiko gibt", erklärt der Wiener Behörden-Chef Yukiya Amano, "aber die IAEA besitzt eine Datenbank und durchschnittlich alle zwei Tage erhalten wir Informationen über den illegalen Handel mit nuklearem oder radioaktivem Material, und das könnte nur die Spitze des Eisbergs sein." 147 Fälle des Verlustes, Schmuggels oder unrechtmäßigen Besitzes von nuklearen und weiteren gefährlichen Materialien bzw. anderer illegaler Nuklearaktivitäten registrierte die Atomorganisation allein im vergangenen Jahr. Der Missbrauch von Strahlungsmaterial zum illegalen Waffenbau ist also eine akute Gefahr. In der Genfer Abrüstungskonferenz steht die Ächtung radiologischer Waffen deshalb seit langem auf der Tagesordnung. Angesichts der andauernden Handlungsunfähigkeit der Konferenz wurden aber in jüngster Zeit Überlegungen laut, dass interessierte Staaten Vertragsverhandlungen außerhalb des UN-Rahmens beginnen könnten. Auch darüber werden die Teilnehmer des Gipfeltreffens zu sprechen haben. Ob sie erfolgreich sind, wird sich spätestens in zwei Jahren zeigen, wenn in den Niederlanden das nächste Treffen stattfinden wird. Weltweite Bestände spaltbaren MaterialsNach dem Stand von 2010 betrugen die weltweiten Bestände von hochangereichertem Uran insgesamt circa 1.270 Tonnen. Die weltweiten militärischen Bestände von abgeschiedenem Plutonium machen ungefähr 237 Tonnen aus, die Zivilbestände 248 Tonnen. China, Frankreich, Russland, Großbritannien und die USA haben sowohl hoch angereichertes Uran als auch Plutonium hergestellt. Indien, Israel und Nordkorea haben hauptsächlich Plutonium produziert und Pakistan vorrangig hochangereichertes Uran für Waffen. Quelle: SIPRI 2011 Zwischenfälle mit nuklearem Spaltmaterial
Zehn Schritte auf dem Weg zu einer atomwaffenfreien WeltUS-Präsident Obama in seiner Prager Rede vom 5. April 2009: 1. Um die Denkmuster des Kalten Kriegs zu überwinden, wird die Rolle von Atomwaffen in der nationalen Sicherheitsstrategie reduziert und begonnen, das Arsenal zu verringern. 2. Noch im Jahr 2009 wird ein neuer strategischer Abrüstungsvertrag mit Russland abgeschlossen, um die nuklearen Sprengköpfe und Kernwaffenvorräte zu reduzieren. Er wird den Boden für weitere Verringerungen bereiten. 3. Alle Atommächte werden in nukleare Abrüstungsverhandlungen einbezogen. 4. Ratifizierung des Vertrags über das umfassende Verbot von Kernwaffenversuchen durch die USA. 5. Abschluss eines globalen Vertrages zum Verbot von militärischem Spaltmaterial. 6. Stärkung des Vertrages über die Nichtverbreitung von Kernwaffen. Mehr Ressourcen und Befugnisse für dessen internationale Kontrollen und Konsequenzen für Länder, die die Regeln brechen oder den Vertrag grundlos aufkündigen. 7. Sicherstellen, dass Terroristen nie eine Atomwaffe erwerben. 8. Schaffung einer internationalen Brennstoffbank im Rahmen der zivilen nuklearen Zusammenarbeit, die allen Ländern Zugang zu friedlicher Atomkraft ermöglicht, ohne das Risiko der Weiterverbreitung von Atomwaffen zu erhöhen. 9. Sicherung aller ungeschützten Nuklearmaterialien auf der Welt innerhalb von vier Jahren. 10. Gipfel zur nuklearen Sicherheit in den USA im Jahr 2010 gegen die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und zur Bekämpfung des nuklearen Terrorismus. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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