Konstantin Wecker: Eine Revolution des GeistesVon Konstantin Wecker Wut oder Zärtlichkeit - oder vielleicht beides? Es ist schwierig, einen notwendigen revolutionären Geist und Friedfertigkeit, ja Mitgefühl (selbst mit Gegnern) unter einen Hut zu bekommen. Dennoch muss eine Lösung gefunden werden, soll nicht die Revolution geistlos und die Kultur steril bleiben. Wecker bekennt: "Ja, ich bin dafür radikal etwas zu ändern an dem Zustand dieser Gesellschaft, aber nie um den Preis, dabei ein liebevollen Miteinander aus den Augen zu verlieren." Was hilft der Zorn auf Ungerechtigkeiten, wenn er einzig beweisen soll, wie gerecht man selbst ist? Was hilft es, etwas besser zu wissen, wenn man dadurch zum Besserwisser wird? Was darf man vom Anderen fordern, nur weil man glaubt im Vollbesitz der Wahrheit zu sein? Ich wünsche mir eine Revolution, aber eine Revolution des Geistes, getragen von Vernunft und der Weisheit der Poesie und nicht von der Kurzatmigkeit selbstherrlicher Ideologien. So wichtig es ist, sich zu engagieren, sich einzumischen, teilzunehmen, so notwendig ist es auch, sich immer wieder selbst zu hinterfragen, ob man überhaupt noch zum Mitfühlen fähig ist. Es ist die Kunst, die uns mit ihren Bildern des Unbewussten, Nichterklärlichen, nicht Auszudeutenden die Richtung weist, um die Anbindung unseres Denkens an unser Herz nicht zu verlieren. Die uns hilft unsere Vorurteile zu erkennen, uns selbst zu finden. Die Kunst lässt uns das Zuhören wieder lernen, ein aktives Zuhören, das am Ende immer auf uns selbst verweist. Wer sich ausschließlich in intellektuellen und politischen Konzepten verliert, läuft Gefahr seine Empathie zu verlieren. Wer nicht mehr bereit ist, die Schönheit der Kunst als Nahrung der Seele zuzulassen, kann leicht zu einem politischen Eiferer mutieren. Alle Diktaturen, alle Ideologien gehen Hand in Hand mit der Beschränkung der kulturellen Vielfalt. Despoten ist Kunst ein Gräuel, denn sie könnte sie daran erinnern, in sich zu gehen. Sie könnte Seiten in ihnen zum Klingen bringen, die sie schon lange als lästiges Beiwerk abgelegt haben. Wie viel einfacher ist es da, einem Regelwerk zu folgen, das zwar willkürlich ist, aber wenigstens in sich stimmig scheint. Ja, ich bin dafür radikal etwas zu ändern an dem Zustand dieser Gesellschaft, aber nie um den Preis, dabei ein liebevolles Miteinander aus den Augen zu verlieren. Wenn nicht das, wenn nicht die Liebe die Basis und auch das Grundanliegen einer neuen, dringend notwendigen Revolution ist, bin ich nicht mehr dabei. Quelle: Hinter den Schlagzeilen - 29.06.2012. In einem Kommentar zu "Konstantin Wecker: Eine Revolution des Geistes", den wir hier dokumentieren, schreibt Ellen Diederich:Lieber Konstantin, dein "Aufruf" für eine Revolution des Geistes hinterlässt Zwiespältigkeiten. Wie schön wäre das, so denen so zuhören zu können, die so ganz andere Meinungen vertreten, daß man wirklich versucht, sie zu verstehen, im Sinne Rosa Luxemburgs: Freiheit ist immer die Freiheit des anderen. Der gute Satz aus Bertolt Brechts: An die Nachgeborenen: Ist unendlich schmerzhaft und richtig. Ich kann nicht anders handeln. Es geht nicht um selbstherrliche Ideologien. Es geht um die grauenvollen schmerzlichen Erfahrungen der "einfachen" Menschen. Ich kann ja nicht so tun, als wisse ich nicht, als wisse ich es nicht besser, als die, die die öffentliche Meinung durch ihre Manipulationen und Macht bestimmen. Ich habe die Friedensarbeit nie aus dem sicheren Abstand der Theorie gemacht. Ich bin immer dort hingegangen, wo es sich abspielt, um Solidarität zu zeigen und um zu berichten. Ich lebte für einige Zeit bei einer Beduinenfamilie in der Wüste Negev in Israel. Ihnen gehörte mal das ganze Land, heute sind sie auf einem Prozent zusammen gepfercht. Jeder Versuch, sich selber zu erhalten, wird durch die israelische Armee zerstört. Sie leben in anerkannten und nicht anerkannten Dörfern, haben kein Land mehr, um ihre Nahrung anzubauen, alle ihre Hühner sind getötet worden. Was dort zurzeit geschieht, ist vergleichbar mit der Vernichtung der nord-amerikanischen IndianerInnen. Wegen meiner Berichterstattung über diese realen Zustände werde ich diskriminiert. Ich war später mit einer Untersuchungskommission in El Salvador. Der amtierende Präsident Napoleon Duarte von den Christdemokraten (enge Zusammenarbeit mit der CDU/CSU) war krebskrank, zu einer Operation in den USA. Sei de-signierter Nachfolger Alfredo Christiani von der faschistischen Arena Partei war noch nicht im Amt. In dieser Zeit wurden MenschenrechtsarbeiterInnen verfolgt, gefoltert, getötet. Wir hatten die Gelegenheit, mit dem Präsidentschaftskandidaten Alfredo Christiani und dem Chef der Folterpolizei (policia financia) zu reden. Er kam übrigens gerade von einer Einladung aus Deutschland zurück, hatte mit Helmut Kohl eine Schifffahrt auf dem Rhein gemacht und er schwärmte von der deutschen Demokratie. Sie versuchten uns zu überzeugen, daß sie auf dem Weg zur Demokratisierung seien. Ich war Koordinatorin für Hilfsaktionen zu den traumatisierten Frauen aus Bosnien während des Jugoslawien Krieges. Ich kam jedes Mal krank zurück, verlor die Fähigkeit zu singen, die Lieder. Ich wusste es besser als Joschka Fischer und seine Mitstreiter, die diese Kriege befürworteten. Eine Zeit lang war ich bei den Zapatisten in Mexiko, die für die dortigen UreinwohnerInnen, aber auch für alle anderen den Aufstand begonnen haben. Dort ist sehr viel Empathie, es entwickelte sich eine großartige Kunst, die eigene Lage über Wandmalereien darzustellen. Nach dem Putsch in Chile nähten und stickten die Frauen aus den Elendsvierteln die berühmter arpilleras, die Stoffbilder, in denen sie ihre Lage darstellten. Teilweise waren das Analphabetinnen, sie konnten nicht schreiben, aber ihre Sehnsucht nach Frieden ausdrücken. Gerade in Chile in der Auseinandersetzung zwischen den Anhängern der Allende Regierung und den Faschisten um Pinochet entwickelte sich eine großartige Kultur. Musikgruppen wie Inti illimani, Sänger wie Viktor Jara, dessen "gefährliche Kultur" damit gebrochen wurde,, in dem man ihm vor seiner Ermordung die Finger brach, damit er nie wieder Lieder spielen könnte, erzählten uns von der Lage. Immer haben wir versucht, Feindbilder nicht zu akzeptieren. Während des so genannten "Kalten Krieges" (der immer ein heißer war, weil die Ressourcen in die völlig irrsinnige Rüstung geflossen sind, anstatt in die Bekämpfung des Hungers und die Ausbildung der Menschen) sind wir in die Länder gefahren, die man uns als Feindesländer erklärt hatte. Wir haben keine Grenzen akzeptiert und in unendlich vielen Gesprächen versucht, herauszufinden: Wie leben die Menschen im "Feindesland", welche Gemeinsamkeiten haben wir? Bei den Weltfrauenkonferenzen haben wir Orte organisiert, wo Frauen aus so genannten Feindesländern in den Dialog kommen konnten. Bei diesen Versuchen war Kultur, waren Lieder ein ganz wichtiges Moment. Wenn es so aussah, als ginge es gar nicht mehr weiter, weil die Verletzungen auf beiden Seiten so tief waren, nahm die Sängerin Fasia (the rich voice of peace wurde sie genannt) die Gitarre und schaffte dem Haß und der Trauer Luft, um neu wieder zu beginnen. Die Frauen brachten Gegenstände, Gedichte, Geschichten, Lieder aus ihren Kulturen mit. Die eine spirituelle Bedeutung haben oder einfach schön waren. Das war eine gute Möglichkeit, mehr über die Kulturen, die Kunst, die Schönheit zu erfahren. Wir griffen das auf und gründeten Läden "Die vier Himmelsrichtungen", in denen wir Produkte aus den verschiedensten Frauenprojekten der Länder verkauften. Schmuck, Kleidung, Malereien, Musik, fair gehandelte Lebensmittelprodukte und anderes. Wir luden Frauen ein, uns zu berichten. Wir machten politische Modenschauen. Die Frauen, die die Kleidung vorführten, waren Flüchtlinge in Deutschland. Sie erzählten, warum sie hier sind. Gleichzeitig erzählten wir über den Arbeitsalltag von Frauen in Indien z.B., die Seide herstellten. Der Gewinn aus den Verkäufen ging weiter an politische Frauenprojekte. Über diese Darstellung der kulturellen Schönheiten hofften wir hier, ein besseres Verständnis für andere Kulturen und deren Schönheit zu finden. Diese Läden waren Anbindung an Herz und Seele, ein Gegengewicht zu der grau-samen und anstrengen Arbeit für den Frieden, die ja immer einen Bezug zum Krieg hat. Ich hatte das Privileg, in die verschiedenen Länder zu fahren. Auch wenn die Menschen arm sind, sie mit der Organisierung ihres Alltags, da-mit, daß ihre Familie satt werden kann, beschäftigt sind, ist die Sehnsucht nach Schönheit, nach Kultur nicht verschwunden. Ich liebe die Balladen, die Lieder in Nordirland, die Holzschnitzereien in El Salvador, die Farben Lateinamerikas, die Lieder von Mercedes Sosa, die Wandmalereien, die Fabeltiere in Mexiko, die Sehnsucht Frida Kahlos nach der Revolution. Die Revolution "Die Revolution ist Frida Kahlo, Gemaltes Tagebuch, München 1995, S. 243 Wie heißt es im Lied Brot und Rosen, dem Lied zum 8. März? Sie hatten für die Schönheit, Liebe, Kunst, erschöpft, nie Ruh! Wem möchtest Du zuhören und verstehen? Herrn Ackermann von der Deutschen Bank, die mit ihren Lebensmittelspekulationen für den Tod von unendlich vielen Menschen verantwortlich sind? Frau Merkel, Herrn Schäuble mit ihren Finanzmanipulationen? Ich weiß, daß deren Meinung falsch ist. Lieber Konstantin, einiges wissen wir besser. Liebe und Frieden Quelle: Hinter den Schlagzeilen - 30.06.2012. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
|