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Syrien: Kurs halten auf eine zivile politische Lösung

Erklärung des Komitees für Grundrechte und Demokratie

Der gewaltfreie Kampf gegen die staatliche Repression in Syrien ist für uns ein Symbol für das Bemühen in vielen Teilen der Welt, Unterdrückung zu überwinden, ohne dabei durch neue Gewalt Verfeindung und Hass zu schüren, die Demokratisierung und Kooperation weiter verhindern würden. So verständlich Versuche sind, sich mit Waffen zu verteidigen, wissen wir doch aus vielen Erfahrungen, dass dies nur zu weiteren Eskalationen führen kann und den Interessen der Syrer und Syrerinnen an Menschenrechten und Freiheit widerspricht. Die gewaltfreien Oppositionsgruppen in Syrien sind wie wir ein Teil des weltweiten Bemühens, Krieg und Unterdrückung gewaltlos und mit zivilen Mitteln zu überwinden. Hierauf beruht unsere Solidarität.

Wir als Komitee für Grundrechte und Demokratie setzen weiterhin auf die zahllosen gewaltfreien sozialen Proteste, Streiks und auf die lokalen und regionalen Basiskomitees. Sie erst haben den "arabischen Frühling" ins winterliche Damaskus getragen. Die Initiative "Adopt a Revolution" unterstützt sie seit langer Zeit. Das Komitee hat diese solidarische Stützung seit jeher mitgetragen.

Die gewaltfreien Bemühungen und Demonstrationen im Syrien-Konflikt stoßen jedoch auf eine höchst komplexe Realität. Kräfte von innen und außen drängen zu militärischer Auseinandersetzung. Damit ein langwieriger, noch viele Menschenleben fordernder Bürgerkrieg vermieden werden kann, müssen international und je national alle diejenigen politischen Bemühungen mit allen Mitteln unterstützt werden, die die Auseinandersetzungen um einen politischen Machtwechsel in Syrien politisch und eben nicht militärisch zu lösen geeignet erscheinen.

Allein schon deshalb erscheinen uns die Bemühungen des von den Vereinten Nationen beauftragten Vermittlers Kofi Annan unterstützenswert, die auf einen politischen Dialog zwischen den Kräften des alten Regimes und den zahlreichen Oppositionsgruppen in Syrien und auf eine Übergangsregierung abzielen. Zu Kofi Annans Programm gehören auch Waffenruhe zwischen Regierungs- und Rebellentruppen, Abzug schwerer Waffen des Regimes aus den Städten, Zugang für humanitäre Organisationen, Freilassung politischer Gefangener, Presse-, Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit.

Erfahrungsgemäß wird ein Ausgleich zwischen den alten politischen Eliten und den zukünftigen gesucht werden müssen, soll nicht jeder Neuanfang mit Last und Schuld eines blutigen Bürgerkrieges beschwert werden.

Nur wenn tatsächlich alle internen und externen Akteure dieses Konflikts in einen Aushandlungsprozess einbezogen werden, erscheint uns eine weitere Eskalation der Gewalt vermeidbar. Dazu gehörte vor allem die allseitige Bereitschaft, ohne Vorbedingungen an diesem Dialog-Prozess teilzunehmen. Vorbedingungen würden es erlauben, den Dialog aus partikularen Interessen zu blockieren. Wir wissen, nicht alle politischen Kräfte und Mächte sind dazu bereit. Die Bemühungen Kofi Annans werden von vielen der Konfliktakteure eigeninteressiert geradezu sabotiert: durch Waffenlieferungen, durch diplomatisches Ränkespiel, durch einseitige mediale Berichterstattung. Wer jedoch nicht will, dass der politische und soziale Wandel in Syrien in einer blutigen, Menschen verschlingenden Sackgasse endet, sollte die schmale Chance der Vermittlung für einen möglichst unblutigen sozialen Wandel jetzt unterstützen. Diese Anstrengungen, Wege aus der Konfrontation zu suchen, sollten deshalb mit allen erforderlichen Mitteln ausgestattet werden.

Aktuell überlagern sich in der syrischen Tragödie drei unterschiedliche Konflikte:
Erstens: Der politische und soziale Kampf gegen das repressive Baath-Regimes, der beeindruckend gewaltfreie Kampf um Freiheit, Würde und für eine demokratische Gesellschaft.

Zweitens die internen oppositionellen Konflikte um den späteren Machteinfluss und die politische Ausrichtung in Syrien. Vielfältige religiöse und säkulare Gruppen drängen auf politische Veränderung in je eigener Richtung; gewaltfreie und militärische Aktionen vermischen sich.

Diese internen syrischen Konflikte werden drittens von geostrategischen Interessen überformt und beeinflusst. Den militär- und kapitalmächtigen NATO-Staaten geht es um die Unterwerfung der Regierungen und Kräfte in Mittel- und Nahost, die sich nicht den westlichen Interessen einordnen wollen, also um Iran, Syrien, Hisbollah und Hamas. Sie ethnisieren und militarisieren den Konflikt vor allem über Saudi-Arabien und Katar, indem sie aufständische Gruppierungen mit Waffen, Munition, Geld und Söldnern aus anderen Kriegen versorgen. Die Eskalation der Gewalt, die scheinbare Unausweichlichkeit des drohenden Bürgerkrieges kommt offenbar ihrem strategischen Kalkül entgegen. Russland und China spielen auf dieser Konfliktebene den Widerpart zu den westlichen Interessen an einem "Regime Change". Sie unterstützen deshalb das Assad-Regime, sind aber nicht verschlossen gegenüber einer politischen Lösung und Reformvereinbarungen.

Eine politische Lösung des Konflikts und ein Beginn der Reformpolitik erfordern einen mühsamen Prozess mit langem Atem. In dieser Zeit benötigen die Menschen in Syrien konkrete humanitäre Hilfe. Bereits jetzt fehlt es an ärztlicher Versorgung, an Medikamenten, Lebensmitteln, an Einkommen, um auf den Märkten einzukaufen und damit auch Arbeit zu schaffen.

Den Menschen in Syrien muss bereits heute rasch geholfen werden. Hier könnte die Bundesregierung mit den medizinischen und entwicklungspolitischen Initiativen zusammenarbeiten, die über Kontakte und Verteilungsmöglichkeiten verfügen. Hilfsgelder und medizinische Güter müssten bereitgestellt und verteilt werden. Die Friedensbewegung kann für solche Hilfe mobilisieren.

Für diejenigen, die sich dem ethnisierten und militarisierten Konflikt in Syrien zu entziehen versuchen, sind Fluchtwege und ausreichende menschenwürdige Auffangunterkünfte zu schaffen. Die syrischen Nachbarstaaten, die die Flüchtlinge zuerst aufnehmen, wären gemeinsam mit dem Flüchtlingshilfswerk großzügig in ihren Anstrengungen zu unterstützen. Es gälte, syrische Flüchtlinge, die das wünschen, zu ihren Familien ins Exil weiterreisen zu lassen und rasch über eine zügige Aufnahme syrischer Flüchtlinge in Deutschland zu entscheiden. Es verbietet sich, syrische Flüchtlinge in die Bürgerkriegssituation abzuschieben. Auch hier könnte "die Friedensbewegung" gemeinsam mit den Flüchtlingsinitiativen öffentlich - auch vor Ort - aktiv werden.

Wer vorgibt, zu einer politischen Lösung in Syrien beitragen zu wollen, müsste alle Waffenlieferungen in diese Krisenregion und nach Syrien stoppen, müsste alle Finanzierung der Kombattanten unterbinden sowie sich gegen jedwede gewaltverschärfende Militärintervention wenden. Menschenrechts- und Demokratierhetorik auf der einen und harte Interessendurchsetzung auf der anderen Seite, sowie heuchlerische Empörung und gleichgültiges Zuwarten müssen auch in der BRD öffentlich skandalisiert werden. In Vorwahlzeiten ist die politische Klasse besonders empfänglich.

Die Opfer bewaffneter Konfrontation zu unterstützen, die Fliehenden aufzunehmen und mit dem Notwendigen zu versorgen sowie zu versuchen, die Zufuhr von Gewaltmitteln zu unterbinden, sind zentrale Aufgaben, um die Chance auf eine politische Lösung zu wahren und um eine "zivile Konfliktbearbeitung" der unterschiedlichen Interessen in Syrien zu ermöglichen. Gefordert ist ein öffentliches Eintreten für eine dialogische politische Lösung und ein striktes Nein gegen alle Militärinterventionen.

Quelle:  Komitee für Grundrechte und Demokratie - Erklärung vom 16.07.2012. Für das Komitee für Grundrechte und Demokratie: Prof. Dr. Andreas Buro, Friedenspolitischer Sprecher des Komitees und Martin Singe, Sekretär des Komitees.

Veröffentlicht am

16. Juli 2012

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