Waffenlieferungen als Instrument der Außen- und Sicherheitspolitik?Kurswechsel in der deutschen RüstungsexportpolitikVon Otfried Nassauer Seit etwas mehr als einem Jahr machen deutsche Rüstungsexportgeschäfte immer wieder Schlagzeilen. Mal geht es um Hunderte von Leopard-Panzern für Saudi-Arabien, Katar oder Indonesien, mal um Fregatten und eine Fabrik für Fuchs-Panzer, die nach Algerien geliefert werden sollen. Es geht um U-Boote für Israel, die dort möglicherweise zu Atomwaffenträgern umgebaut werden und um Heckler & Koch-Gewehre, die in Saudi-Arabien in Lizenz gebaut werden. Und immer wieder geht es auch darum, ob die Rüstungsexportpolitik Deutschlands bislang zu restriktiv war und sich nun geändert hat. Die Internetseite des Wirtschaftsministeriums zum Thema Rüstungsexport beginnt mit zwei klaren Sätzen: "Die Bundesregierung verfolgt eine verantwortungsvolle Rüstungsexportkontrollpolitik. Sie legt dabei auch zum Teil strengere Kriterien an, als dies vom Gemeinsamen Standpunkt der EU für Waffenausfuhren gefordert wird." Bis 2010 nannte der erste Satz dieses Zitats die deutsche Rüstungsexportpolitik restriktiv. Das Wort restriktiv wurde dann durch das Adjektiv verantwortungsvoll ersetzt. Eine kleine Änderung, aber sie könnte programmatischer Natur gewesen sein. Das Thema hatte die Bundesregierung selbst gesetzt. Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP enthielt 2009 die Ankündigung: "Das Außenwirtschaftsrecht und [die] Außenwirtschaftsverordnung werden entschlackt und übersichtlicher ausgestaltet. Es werden Vorschriften gestrichen, die deutsche Exporteure gegenüber ihren europäischen Konkurrenten benachteiligen. Bei der Anwendung des Außenwirtschaftsrechts muss der internationalen Wettbewerbssituation der deutschen Wirtschaft mehr als bisher Rechnung getragen werden." Die Botschaft war eindeutig: Deutschland verfolgt eine restriktivere Rüstungsexportpolitik als andere EU-Staaten. Das benachteiligt die deutschen Firmen. Daran muss sich etwas ändern. Entweder, indem sich die anderen EU-Länder ähnlich restriktiv verhalten wie Deutschland, oder indem die Bundesregierung die Wettbewerbsnachteile für die deutsche Industrie beseitigt und eine weniger restriktive Politik praktiziert. Auf drei Ebenen sind Aktivitäten der Bundesregierung zu erkennen: Auf der nationalen Ebene hat sie eine Neufassung des Außenwirtschaftsrechts vorgelegt. Diese enthält auf den ersten Blick nur wenige substanzielle Änderungen. Allerdings werden etliche bisherige Regeln dadurch ersetzt, dass auf die entsprechenden Regelungen der EU verwiesen wird. Also z.B. auf den Gemeinsamen Standpunkt über die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern, auf die EU-Richtlinie über den Export militärisch und zivil verwendbarer Güter oder die sogenannte Verbringungsrichtlinie. Diese Vereinbarungen sind nicht immer so scharf wie die bisherigen deutschen Regeln. Zudem entfallen in der Neufassung deutsche Sonderregeln, die über das hinausgehen, was in der EU konsensfähig ist. Eine zweite Handlungsebene ist die EU. Hier setzt sich die Bundesregierung seit vielen Jahren für gemeinsame Regeln ein. Der Export von Kriegswaffen, Rüstungsgütern und sowohl zivil als auch militärisch nutzbaren Gütern soll möglichst zurückhaltend gehandhabt werden. Zugleich befürwortet sie vereinfachte und erleichterte Regeln für Rüstungsexporte innerhalb der EU. Dabei erweckt sie gerne den Eindruck, sie strebe auf EU-Ebene genauso restriktive Regelungen an, wie sie auf nationaler Ebene gelten. Leider gelinge es aber nicht immer, sich mit allen Wünschen durchzusetzen, argumentiert die Bundesregierung. In ihrer Darstellung unterschlägt sie jedoch, dass auch sie sich wiederholt gegen Vorschläge gewehrt hat, die ihr zu scharf erschienen. Der Preis gemeinsamer Regelungen sind oft schwächere Regeln. Eine dritte Handlungsebene ist im vergangenen Jahr hinzugekommen. Die Bundesregierung hat in der NATO vorgeschlagen, eine sogenannte weiße Liste zu erstellen. Auf dieser sollen Länder stehen, in die Rüstungsgüter geliefert werden dürfen, weil sie aus Sicht der NATO zu regionaler Stabilität beitragen. Genannt worden sind Länder wie Saudi-Arabien, Katar, Indonesien, Algerien und große Regionalmächte wie Brasilien oder Indien. Gäbe es eine solche Liste, so läge die politische Verantwortung für deren Zusammenstellung bei der NATO. In der deutschen Diskussion über Rüstungsexporte könnte die Bundesregierung dann argumentieren, sie setze lediglich Bündnispolitik um. Das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL bereicherte diese Debatte um eine interessante Zuspitzung: Bundeskanzlerin Merkel habe sich entschlossen, einen Paradigmenwechsel in der deutschen Rüstungsexportpolitik einzuleiten. Von einer Merkel-Doktrin ist die Rede: Deutschland wolle künftig verstärkt regionale Mächte mit Waffen und Rüstungsgütern beliefern, um auf diese Weise zur Stabilität der jeweiligen Region beizutragen. Außerdem würden so die westlichen Interessen gewahrt. Angela Merkel selbst lieferte den Anlass zu dieser These. Im Herbst vergangenen Jahres erwähnte sie Saudi-Arabiens Rolle im Nahen und Mittleren Osten in einer Rede lobend und fuhr dann fort: O-Ton Merkel Seit dem wird von manchem spekuliert, für Merkel seien Waffenlieferungen an regionale Verbündete eine politische Alternative zu umstrittenen Bundeswehreinsätzen in Krisengebieten. Doch der Hintergrund ist wohl ein anderer. Die von der Bundeswehr bestellten Waffensysteme können die Kapazitäten der Rüstungsindustrie in Deutschland nicht auslasten. Auch die Weiterentwicklung wehrtechnischer Fähigkeiten ist auf Dauer nicht mehr finanzierbar. Denn künftig wird der Bedarf der Bundeswehr noch kleiner ausfallen. Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, Georg Wilhelm Adamowitsch, machte deshalb im Oktober vergangenen Jahres deutlich: O-Ton Adamowitsch Vermehrte Rüstungsexporte bieten aus seiner Sicht einen Ausweg. Hinzu kommt eine zweite Strategie, rüstungsindustrielle Kapazitäten zu erhalten und auszulasten: Mehr Zusammenarbeit in Europa bei der Entwicklung und Beschaffung von Waffen. Doch eines ist klar: Mehr europäische Kooperation bedeutet ebenfalls mehr Rüstungsexporte. Das hat zur Folge, dass der Druck wächst, Exporte in andere EU-Länder zu erleichtern, um die Kooperation zwischen den europäischen Ländern zu ermöglichen. Mehr europäische Kooperation heißt aber auch: Mehr Druck, europäischen Partnerländern den Export dieser Waffen in Drittländer nicht unmöglich zu machen. Über den Export fertiger Waffen wird immer häufiger das EU-Land entscheiden, in dem die Endmontage stattfindet. Eine Firma, die viel exportieren möchte, wird deshalb für die Endmontage EU-Länder vorziehen, in denen die Genehmigung leicht zu bekommen ist. Der Bundesverband der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie gibt an, dass der Rüstungsexport schon heute rund 70 Prozent des Umsatzes der wehrtechnischen Industrie in Deutschland ausmacht. Aus den Daten des Arbeitskreises Wehrtechnik der Industrie in Schleswig Holstein geht hervor, dass etliche Betriebe schon heute über Jahre zu 90 oder 100 Prozent vom Export leben. Von 2001 bis 2011 ist der Wert der Rüstungsexporte aus Schleswig Holstein um das Dreifache gestiegen - von 268 Millionen Euro auf knapp 1,1 Milliarden Euro. Das Geschäft mit der Bundeswehr ist also inzwischen für viele Rüstungsbetriebe nur noch ein Ergänzungsgeschäft. Die vorhandenen Kapazitäten sind hauptsächlich für den Export da. Erleichtert man diesen weiter, so hat das vor allem eine Konsequenz: Die Kapazitäten wachsen und können in Zukunft nur durch noch mehr Exporte ausgelastet werden. Otfried Nassauer ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS Quelle: BITS - 02.09.2012. Wir veröffentlichen diesen Artikel mit freundlicher Genehmigung von Otfried Nassauer. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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