Uri Avnery: Ein für alle MalVon Uri Avnery, 24. November 2012 DAS MANTRA dieser Runde war: "Ein für alle Mal". "Wir müssen dem ein Ende setzen (den Raketen, der Hamas, den Palästinensern, den Arabern), ein für alle Mal!" Dieser Schrei aus tiefstem Herzen wurde Dutzende Male im Fernsehen von den geplagten Bewohnern aus Israels betroffenen Städten und Dörfern des Südens gehört. Es hat den Slogan ersetzt, der Jahrzehnte lang herrschte: "Beng und Schluss!" (Beng ist ein mundartlicher Slangausdruck für einen harten Schlag) Er hat nichts bewirkt. DER GROSSE Gewinner, der aus den Wolken auftaucht, ist die Hamas. Bis zu dieser Runde hatte die Hamas eine machtvolle Präsenz im Gazastreifen, aber praktisch keinen internationalen Rang. Das internationale Gesicht des palästinensischen Volkes war Mahmoud Abbas’ Palästinensische Nationalbehörde. Nun nicht mehr. Die "Operation Wolkensäule" hat dem Hamas-Ministaat im Gazastreifen weite internationale Anerkennung gegeben (Wolkensäule ist der offizielle hebräische Name, auch wenn der Militärsprecher anordnete, dass der englische Name für den ausländischen Gebrauch "Säule der Verteidigung" sein sollte). Staatsoberhäupter und eine Schar anderer ausländischer Würdenträger machten ihre Pilgerreise in den Gazastreifen. Der erste war der mächtige und immens reiche Emir von Qatar, Besitzer von Aljazeera. Er war das erste Staatsoberhaupt, das jemals den Gazastreifen betrat. Dann kam der ägyptische Ministerpräsident, der tunesische Außenminister, der Generalsekretär der Arabischen Liga und die versammelten arabischen Außenminister (außer dem aus Ramallah). Bei allen diplomatischen Beratungen wurde der Gazastreifen wie ein de-facto-Staat mit einer de facto-Regierung (Hamas) behandelt. Die israelischen Medien waren keine Ausnahme. Es war für die Israelis klar, dass jedes Abkommen mit der Hamas geführt werden muss, wenn es effektiv sein soll. Innerhalb des palästinensischen Volkes wuchs die Stellung der Hamas himmelhoch. Der winzige Gazastreifen stand allein gegen die mächtige israelische Kriegsmaschinerie auf, eine der größten und wirksamsten der Welt. Es hat sich nicht gebeugt. Das militärische Resultat wird bestenfalls unentschieden sein. Ein Unentschieden zwischen dem winzigen Gaza und dem mächtigen Israel bedeutet einen Sieg für Gaza. WO bleibt Mahmoud Abbas? Tatsächlich nirgends. Wer erinnert sich noch an Ehud Baraks Erklärung mitten im Krieg: "Wir werden nicht aufhören, bis Hamas auf die Knie fällt und um einen Waffenstillstand bettelt." Für einen einfachen Palästinenser - ob in Nablus, Gaza oder Beirut - ist der Unterschied eklatant. Die Hamas ist mutig, stolz, aufrecht, während die Fatah hilflos, gedemütigt und verachtet ist. Stolz und Ehre spielen eine zentrale Rolle in der arabischen Kultur. Nach mehr als einem halben Jahrhundert Demütigung ist jeder Palästinenser, der gegen die Besatzung aufsteht, ein Held der arabischen Massen innerhalb und außerhalb des Landes. Abbas wird nur mit der engen Kooperation seiner Sicherheitskräfte mit der gehassten israelischen Besatzungsarmee identifiziert. Und die wichtigste Tatsache: Abbas hat nichts vorzuzeigen. Wenn Abbas wenigstens eine größere politische Errungenschaft hätte vorzeigen können, könnte die Situation anders sein. Die Palästinenser sind ein sensibles Volk, und wenn Abbas nur einen Schritt näher an einen palästinensischen Staat gekommen wäre, würden die meisten Palästinenser wahrscheinlich gesagt haben: "Nun er mag nicht glamourös sein, aber er liefert die Ware." Aber das Gegenteil geschieht. Die gewalttätige Hamas erringt Erfolge, der gewaltlose Abbas erreicht nichts. Wie ein Palästinenser zu mir sagte: "Er (Abbas) hat euch (den Israelis) alles gegeben, Ruhe und Sicherheit, und was hat er dafür bekommen? Ihr spuckt ihm ins Gesicht!" Diese Runde wird nur eine Grundüberzeugung der Palästinenser stärken: "Die Israelis verstehen nur die Sprache der Gewalt." (Die Israelis sagen natürlich genau dasselbe über die Palästinenser.) Falls die USA Abbas wenigstens erlauben würden, eine UN-Resolution zu bekommen, die Palästina als Nicht-Mitgliedstaat anerkennt, könnte er sich gegenüber der Hamas halten. Aber die israelische Regierung ist entschlossen, dies mit allen erreichbaren Mitteln zu verhindern. Barack Obamas Entscheidung - selbst nach der Wiederwahl - die palästinensische Bemühung zu blockieren, ist eine direkte Unterstützung für die Hamas und ein Schlag ins Gesicht der "Moderaten". Hillary Clintons flüchtiger Besuch in Ramallah in dieser Woche wurde in diesem Kontext gesehen. Von außen her gesehen, sieht dies wie reiner Wahnsinn aus. Warum werden die "Moderaten", die bereit und in der Lage sind, Frieden zu schließen, unterminiert? Warum wird den "Extremisten", die gegen den Frieden sind, geholfen? Die Antwort wird offen von Avigdor Lieberman, jetzt Netanjahus offizielle politische Nummer zwei, gegeben: er wünscht, Abbas zu zerstören, um die Westbank zu annektieren und den Weg für die Siedler freizumachen. NACH DER Hamas ist Muhamad Morsi der große Gewinner. Dies ist eine fast unglaubliche Geschichte. Als Morsi zum Präsidenten Ägyptens gewählt wurde, wurde das offizielle Israel hysterisch. Wie schrecklich! Die islamistischen Extremisten haben das wichtigste arabische Land übernommen! Unser Friedensvertrag mit unserm größten Nachbarn geht zum Teufel! Die Reaktionen der USA waren fast dieselben. Und jetzt - weniger als vier Monate später - hängen wir an jedem Wort, das Morsi äußert. Der 61 Jahre alte Morsi (sein voller Name ist Muhamad Morsi Isa al-Ayyad. Isa ist die arabische Form für Jesus, der im Islam als Prophet angesehen wird) ist ein absoluter Neuling auf der politischen Weltbühne. Doch in diesem Augenblick verlassen sich die Führer der Welt auf ihn. Als ich den "Arabischen Frühling" voll und ganz begrüßte, hatte ich an Menschen wie ihn gedacht. Jetzt loben fast alle israelischen Kommentatoren, Ex-Generäle und Politiker, die damals unheilvolle Warnungen von sich gaben, seinen Erfolg beim Erreichen des Waffenstillstandes. WÄHREND DER Operation tat ich, was ich in solchen Situationen immer tue: ich wechselte ständig zwischen dem israelischen Fernsehsender und Aljazeera. Manchmal, wenn ich in Gedanken war, war ich für einen Augenblick unsicher, welchen Sender ich ansah. Weinende Frauen, Verletzte werden weggetragen, Häuser in Trümmern, Kinderschuhe lagen herum, fliehende und bepackte Familien. Hier wie dort. Spiegelbilder. Obwohl natürlich die palästinensischen Todesfälle (163) 34mal höher als die der Israelis waren - zum Teil wegen des unglaublichen Erfolgs des Iron Dome (der die Raketen im Anflug zerstörte) und der Schutzräume, während die Palästinenser praktisch hilf- und schutzlos waren. Am Donnerstag wurde ich zu einem Interview von Israels Kanal 2 eingeladen, dem populärsten (und patriotischsten) israelischen Fernsehsender. Die Einladung wurde natürlich im letzten Augenblick widerrufen. Hätte ich dort reden können, hätte ich meinen Landsleuten eine einfache Frage gestellt: War es dies wert? All das Leiden, die Getöteten, die Verletzten, die Zerstörung, die Stunden und Tage des Terrors, die traumatisierten Kinder? Und ich möchte hinzufügen: der ununterbrochene TV-Bericht rund um die Uhr mit einer Legion von Ex-Generälen, die auf dem Schirm erschienen und die Botschaft aus dem Büro des Ministerpräsidenten deklamierten. Und die blutrünstigen Drohungen von Politikern und anderen Trotteln, einschließlich des Sohnes von Ariel Sharon, der vorschlug, einen ganzen Stadtteil von Gazastadt, oder besser noch, den ganzen Streifen platt zu machen. Jetzt, wo dies alles vorbei ist, sind wir fast genau dort, wo wir vorher waren. Die Operation - in Israel gemeinhin als die "neue Runde" bezeichnet - war tatsächlich rund. Sie führte dorthin zurück, wo sie angefangen hat. Die Hamas wird fest die Kontrolle über den Gazastreifen haben, wenn nicht gar fester. Die Bevölkerung des Gazastreifens wird Israel noch mehr als vorher hassen. Viele der Bewohner der Westbank, die während des Krieges zu Tausenden zu Demonstrationen für die Hamas herauskamen, werden bei den nächsten Wahlen noch mehr für die Hamas stimmen. Die israelischen Wähler werden in zwei Monaten die wählen, für die sie auch vorher stimmen wollten. Jede der beiden Seiten feiert jetzt ihren Sieg. Man könnte eine Menge Geld sparen, wenn sie gemeinsam feiern würden. WIE SEHEN die politischen Schlussfolgerungen aus? Die offensichtlichste ist: Mit der Hamas reden. Direkt. Von Angesicht zu Angesicht. Yitzhak Rabin sagte einmal zu mir, wie er zu dem Schluss kam, dass er mit der PLO reden müsse: Nach Jahren der Zurückweisung wurde ihm klar, dass sie die einzige Kraft war, die zählte. "Also war es lächerlich, mit ihnen über Vermittler zu reden." Dasselbe trifft jetzt auf die Hamas zu. Sie sind da. Sie werden nicht weggehen. Es ist für die israelischen Unterhändler lächerlich, in einem Raum des ägyptischen Geheimdienstes in der Nähe Kairos zu sitzen, während die Hamas-Unterhändler in einem anderen Raum nur wenige Meter entfernt sitzen, und die höflichen Ägypter gehen hin und her. Gleichzeitig und parallel sollten ernsthafte Bemühungen in Richtung Frieden gestartet werden. Man sollte Abbas retten; vorläufig gibt es für ihn keinen Ersatz. Gebt ihm einen unmittelbaren Sieg, um die Errungenschaften der Hamas auszubalancieren! Stimmt für den palästinensischen Antrag für Staatlichkeit in der UN-Vollversammlung! Bewegt euch mit dem ganzen palästinensischen Volk, einschließlich Fatah und Hamas in Richtung Frieden - dann können wir wirklich den endlosen Kriegen ein Ende setzen - "Ein für alle Mal". Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert. Weblinks: Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
|