“Nie wieder Krieg? - über Lehren aus der Geschichte, Pazifismus und Friedenserzwingung”Thesen zu einer Diskussion zum 70. Jahrestag des Kriegsbeginns am 01.09.1939Von Ullrich Hahn 1. Es gibt keine zwingenden "Lehren aus der Geschichte". Es hängt von uns ab, was wir aus der Geschichte lernen wollen und was nicht. Wenn die für uns wichtigste Lehre aus dem 2. Weltkrieg lauten soll: "Nie wieder Krieg", so ist schon fraglich, was damit gemeint ist. Entweder es gibt unter keinen Umständen mehr eine deutsche Beteiligung an einem Krieg und deshalb auch kein deutsches Militär. Oder es soll nur einen solchen Krieg, wie er von deutscher Seite am 01.09.1939 begonnen wurde, in Zukunft nicht mehr geben. 2. Zu der außenpolitischen Neuorientierung der Bundesrepublik nach dem 2. Weltkrieg, die dem zweiten, eingeschränkten Verständnis von "Nie wieder Krieg" entspricht, gehört die Westintegration mit der Einbindung in die NATO und die Europäische Union. Dies bedeutet aber nicht, dass die damit verfolgte Politik per se Friedenspolitik wäre. Ebenso wie zwischen mehreren Personen oder wirtschaftlichen Unternehmen ist der Zusammenschluss mehrerer Staaten zwar in der Regel mit friedlichen Beziehungen im Binnenbereich verbunden, nicht aber notwendig auch nach außen. Die jeweiligen Zusammenschlüsse können auch dazu dienen, die gebündelten Einzelinteressen zusammen effektiver gegen Außenstehende durchzusetzen (so etwa die Folgen der deutschen Einigung im 19. Jahrhundert nach Gründung des Deutschen Reiches, ebenso aber auch die Außenwirkung der NATO und der EU, sowohl was die Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen angeht als auch die koordinierte Flüchtlingsabwehr). 3. Gelernt hat die herrschende Politik auch bezüglich der Begründung militärischer Einsätze. Es wird nicht mehr nur einfach "zurückgeschossen" und es wird auch kein Wie die Geschichte zeigt, werden die wirklichen Motive militärischer Einsätze oft erst später, manchmal Jahre oder Jahrzehnte danach bekannt. 4. Militärstrategen lernen in jedem Krieg dazu, sowohl aus gewonnenen wie aus verlorenen Schlachten. Für alle anderen enthalten die Lehren aus einem Krieg nichts, was man nicht schon vorher hätte wissen können. Zwar sind nicht alle schrecklichen Folgen eines Krieges voraussehbar, wohl aber, dass mit einer Beteiligung daran das Töten und Verletzen von Menschen verbunden ist, seien es Soldaten oder Zivilisten. Es haben deshalb nicht nur einige wenige Menschen auf deutscher Seite schon vor dem 01.09.1939 den Kriegsdienst verweigert (mit der Folge ihrer Hinrichtung), sondern auch viele tausend englische und amerikanische Wehrpflichtige, die aus heutiger Sicht sogar auf der "richtigen Seite" hätten kämpfen sollen. 5. Nach meinem Verständnis bedeutet "Pazifismus" nicht eine Appeasement-Politik, wie sie im Vorfeld des 2. Weltkrieges von Seiten der Westmächte verfolgt wurde (Münchner Ankommen 1938). Pazifismus bedeutet vielmehr aktiven Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit und beinhaltete auch den eigenen Widerstand gegen Unrecht, aber mit gewaltlosen Mitteln. Zumindest folgt aus einer pazifistischen Grundhaltung, sich am Unrecht nicht zu beteiligen, unrechten Befehlen nicht zu gehorchen, zivilen Ungehorsam zu praktizieren, u.a. auch, den Kriegsdienst zu verweigern. 6. Für den Erfolg gewaltfreier Mittel gibt es allerdings keine Garantie (ebenso wenig für den Einsatz militärischer Mittel). Gewaltfreies Handeln kann auch nicht auf einer Ebene mit gewaltsamen Mitteln verglichen werden. Die Gewaltfreiheit hat einen anderen Handlungs- und Zeitrahmen als die Gewalt. Es lässt sich im Vergleich beider Wege deshalb auch nicht sagen, ob bestimmte militärische Erfolge nicht auch auf gewaltlosem Wege hätten erreicht werden können (siehe hierzu auch die ausführliche Studie von Semelin, "Ohne Waffen gegen Hitler"). Die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Wo Gewalt eingesetzt wird, ist sie dominant und schließt andere Wege aus. Ein paralleles Wirken gewaltfreier und gewaltsamer Mittel gibt es nicht, es sei denn, die äußerlich gewaltfreien Mittel stehen im Dienste der Gewalt und sind ihr untergeordnet. Diese Dominanz der Gewalt wird nicht erst bei ihrer Ausübung sondern auch schon im Denken erfahrbar, wenn in einer Auseinandersetzung im Vorfeld bereits auf das Reservemittel der Gewalt direkt oder indirekt hingewiesen wird ("und bist Du nicht willig, so brauch ich Gewalt"). 7. Unbestritten ist, dass die Gewalt wirkt, manchmal auch im Sinne eines gewünschten Zieles. Mit ihrer Zerstörungskraft ist sie der Gewaltlosigkeit jedenfalls auch weit überlegen. Aber ihr Einsatz hat nicht nur einen hohen, für viele Menschen tödlichen Preis, sondern auch ein grundsätzliches Handicap: Der Einsatz von gewaltsamen Mitteln entscheidet letztlich nicht darüber, wer Recht hat, sondern nur darüber, wer der Stärkere ist. Die Stärkere ist aber nicht immer die gute Seite. Der Glaube daran, dass es so sei (die Lebenslüge aller Militärpolitiker), zwingt aber diejenige Seite, die sich für die Gute hält (das können auch beide sein), zur ständigen Aufrüstung, um dem anderen Bösen jeweils überlegen zu sein. Die völkerrechtliche Verpflichtung zur ständigen Aufrüstung, wie sie im neuen Lissaboner Vertrag der EU verankert ist, bringt nur in eine rechtliche Form, was bereits zur Eigendynamik jeder Militärpolitik gehört. Allein aber die Kosten dieser Rüstung sind ein Skandal im Verhältnis zu dem, was in dieser Welt an Not für Menschen und Umwelt zu überwinden ist. 8. Der Begriff einer "Friedenserzwingung" verweist auf das in diesem Feld bestehende Spannungsverhältnis von Mittel und Zweck, von Weg und Ziel. Der Zweck rechtfertigt nicht alle Mittel. Vielmehr ist es so, dass die eingesetzten Mittel das angestrebte Ziel prägen. Aus den manchmal erfolgreichen Befreiungskriegen der neueren Geschichte gingen in aller Regel keine freiheitlichen Regierungsordnungen hervor; wo die Gewalt zum Geburtshelfer wird, ist auch die Nachkriegsordnung von Gewalt und Unfreiheit geprägt. Zwangsmittel, insbesondere militärische Zwangsmittel, mögen einen Zwangsfrieden erreichen (z.B. die 500-jährige Pax Romana) - ein Schweigen der Waffen, aber keinen Frieden in Freiheit und Gerechtigkeit. 9. Ein Frieden, der mehr sein soll als ein vorübergehender Waffenstillstand (im Sinne von Kant ein "ewiger Frieden") setzt nicht den Zwang, sondern die Einsicht in das Recht voraus. Und weil es nicht von vorne herein eindeutig ist, was im Verhältnis der Menschen und Völker untereinander recht ist, bedarf es der gleichberechtigten Beteiligung, der Partizipation aller Seiten an der Suche danach, was für alle recht und verbindlich sein soll. Gewalt und Zwang können einen solchen Prozess aber nicht befördern, sondern nur stören. Erst im gewaltlosen Miteinander kann vermieden werden, dass der jeweils Stärkere nur sein (oft vermeintliches) Recht durchsetzt. Erst unter Verzicht auf Gewalt gilt nicht mehr das Recht des Stärkeren, sondern kann sich die Stärke des Rechts entfalten, können sich "Frieden und Gerechtigkeit küssen". Quelle: Internationaler Versöhnungsbund - deutscher Zweig - 03.09.2009. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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