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Patriot-Raketen : Bundeswehr sekundiert Erdogan

Die Verlegung deutscher Abwehrsysteme in die Türkei hat begonnen. Deren Premierminister erhält so einen neuen Handlungsrahmen für seine regionalen Ambitionen

Von Lutz Herden

Seinerzeit war es kaum zu übersehen. Die Regierung in Ankara fühlte sich nicht gebührend gewürdigt oder ernst genommen, als die NATO im Herbst wenig Neigung zeigte, gegen Syrien in ein militärisches Abenteuer dirigiert zu werden. Was war geschehen? Am 3. Oktober starben im türkischen Grenzort Akcakala fünf Zivilisten beim Einschlag mehrerer Artilleriegranaten, abgefeuert von syrischem Gebiet aus, um - wie die Führung in Damaskus später mitteilte - eine Rückzugslinie der Freien Syrischen Armee (FSA) zu treffen. Einer durch Ankara sofort eingeleiteten Vergeltungsaktion fielen auf der anderen Seite 34 Menschen zum Opfer, größtenteils Soldaten der Assad-Armee. Türkische Kampfjets hatten ein Militärcamp bombardiert, das über keinerlei Luftabwehr verfügte.

Auffallend reserviert

Als Premier Tayyip Erdogan nach diesem Vorpreschen internationalen Beistand für ein "härteres Vorgehen gegen das Assad-Regime" mobilisieren wollte, gaben sich Freunde und Partner reserviert. Zwar fand eine Sondersitzung des NATO-Rates in Brüssel statt, doch wurde sie unter Verweis auf Artikel 4 des NATO-Vertrages einberufen. Der sieht lediglich Konsultationen über die aktuelle Lage im Bündnisgebiet vor, nicht aber die Beratung militärischer Konsequenzen, die zu Gebote stehen, wenn ein Pakt-Mitglied - etwa durch Angriffe auf sein Territorium - in Bedrängnis gerät und nach Artikel 5 des NATO-Vertrages der Bündnisfall aufgerufen wird. Auch der UN-Sicherheitsrat traf sich nach dem Akcakala-Zwischenfall zur Dringlichkeitssitzung, ließ es aber gleichfalls am Willen fehlen, sich vor den türkischen Karren spannen zu lassen. Die von Russland geäußerten Bedenken hinsichtlich einer möglichen Verurteilung Syriens führten dazu, gar nicht erst abstimmen zu lassen.

Die beiden Schrittmacher der "härteren Gangart" gegen Syrien - Premier Erdogan und sein Außenminister Ahmet Davutoglu - konnten sich nun entscheiden: Allein kämpfen oder den Rückzug antreten, zumal laut Umfragen in der eigenen Bevölkerung die Mehrheit einem türkischen Part im syrischen Krieg nichts abgewinnen konnte. So rüstete man rhetorisch vorsichtig ab. Nach der Devise, wir warten, was passiert, müssen aber mit dem Schlimmsten rechnen und auf alles gefasst sein, kam es zum "Kriegsvorratsbeschluss" des türkischen Parlaments. Dadurch sah sich die Regierung zum "einjährigen Einsatz der türkischen Streitkräfte im Ausland (!)" ermächtigt, dessen Rahmen, Umfang und Zeitpunkt allein von der Regierung festlegt werden. Man kann mit einigem Recht von einem Kriegs- oder Interventionsermächtigungsdekret sprechen, das vorerst bis zum Oktober 2013 gilt und es dem Ermessen der Exekutive in Ankara überlässt, wann und welchen Umständen sie davon Gebrauch macht.

Soviel zu der Frage, in welches politische Minenfeld die begonnene Verlegung deutscher Patriot-Systeme in die Türkei führt. Die Bundesregierung beteuert, die Operation sei nichts weiter als ein defensiver Akt und ein Zeichen der Bündnistreue. Man kann sich bei dieser gewohnt euphemistischen Semantik des Eindrucks nicht erwehren, die Dislozierung soll der türkischen Regierung bedeuten, nicht sich selbst überlassen zu sein. Anders formuliert, ein zu schnellen Aktionen und Affekten tendierender NATO-Partner soll durch Bündnissolidarität in die Bündnispflicht genommen und vor unbedachten Handlungen bewahrt werden. Patriot-Raketen sind der Preis dafür, dass sich Erdogan und seine Umgebung mäßigen.

Selbstverständlich kann ebenso wenig übersehen werden: Die Türkei oder die NATO insgesamt wird durch die Stationierung von sehr mobilen, sehr treffsicheren Luftabwehrsystemen, die neben Deutschland auch die USA und die Niederlande an die NATO-Südostflanke verpflanzen, in die Lage versetzt, notfalls das durchzusetzen, was Tayyip Erdogan seit Monaten will. Es geht um eine durch effektive Luftüberwachung abgesicherte Pufferzone, quasi die Vorstufe einer Flugverbotszone über syrischem Hoheitsgebiet. Um einem solchen Vorhaben näher zu treten, müssen Vorkehrungen getroffen werden, damit die syrische Luftwaffe gegen solcherart Repression nichts oder nur wenig ausrichten kann. Mit den Patriot-Systemen ist das möglich.

Und es lässt sich ebenso wenig übersehen, dass die NATO der islamischen Regierung in Ankara dabei hilft, sich mehr denn je als Führungsmacht in einem sunnitisch dominierten Nahen Osten zu zeigen. Voraussetzung wäre allerdings, die Macht der alawitischen Clans um Bashar al-Assad gründlich und für immer zu brechen. Die Patriot-Sekundanten aus drei NATO-Staaten sind dazu da, Erdogan bei dieser selbst gestellten Mission zu "begleiten", damit sie nicht aus dem Ruder läuft.

Quelle: der FREITAG   vom 08.01.2013. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

10. Januar 2013

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