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Um Gottes Willen!

1969: Bei der Amtsübernahme eines US-Präsidenten steht spirituelle Legitimation hoch im Kurs. Für Richard Nixon legte sich der Baptisten-Prediger Billy Graham mächtig ins Zeug

Von Konrad Ege

Gebet und Segen gehören in den USA zu den Amtseinführungen der Präsidenten. Bei Barack Obamas zweiter Inauguration am 21. Januar spricht erstmals eine Frau das Eröffnungsgebet, die Bürgerrechtlerin Myrlie Evers-Williams, Witwe des 1963 von einem weißen Rassisten ermordeten Aktivisten Medgar Evers. Mehrheitlich beten in den USA bei Politik- und Patriotismus-Festivitäten weiße protestantische Geistliche. Rekordinhaber für die Sparte häufiges Beten ist Billy Graham, der heute 94-jährige Baptisten-Prediger, der in den USA wie kein anderer eine Art staatstragendes Christentum symbolisiert. Und nicht den Jesus, der die Pharisäer und die Liebe zum Geld attackiert hat.

"Du allein hast uns unseren Wohlstand gegeben, unsere Freiheit und unsere Macht. Der Glaube an Gott ist unser Erbe und unser Fundament!" Diese Worte fielen in Washington bei der Amtseinführung von Richard Nixon, dem 37. US-Präsidenten, am 20. Januar 1969. Sie kamen von Nixons Freund Billy Graham, bekannt seit den vierziger Jahren wegen seiner Kreuzzüge in Sportstadien, bei denen sich jedes Mal Hunderte oder Tausende bekehren ließen. Kalt sei es gewesen, aber kein Regen, diktiert Nixons Stabschef Bob Haldeman nach der Amtseinführung für sein Tagebuch. Die Gäste hätten dicke Mäntel getragen, Ronald Reagan, Gouverneur von Kalifornien, zudem einen schicken weißen Schal.

Zurück zu Jesus Christus

Kalt oder nicht, Graham nimmt sich beim Gebet Zeit für eine "Mini-Amtseinführungsrede", wie seinerzeit das Wochenmagazin Time witzelt. Durch Gottes Fügung werde Richard Nixon "uns in dieser bedeutsamen Stunde unserer Geschichte führen", sagt er. Das sei gut so, denn die "Säulen der Moral und des Glaubens" bröckelten, die USA hätten einen "Wirbelsturm der Kriminalität, der Spaltung und Rebellion" geerntet. Man müsse zu Jesus Christus zurückkehren. Nixon tritt ans Mikrophon. Amtseid, patriotische Musik. Der Republikaner, als Vizepräsident in der Ära Eisenhower (1953 - 1961) eher außerhalb des Kreises der großen Entscheidungsträger, ist endlich angekommen. Er schlägt geradezu religiöse Töne an. Amerika stehe am Scheideweg. Die größte Ehre der Geschichte sei "der Titel Friedensbringer". Amerika könne nun die Welt zum Frieden führen, "von dem die Menschheit seit Beginn der Zivilisation" träume.

Das Gebet zur Amtseinführung ist seit den dreißiger Jahren Ritual. Die Politik sucht spirituelle Legitimation. Amerika sei ein von Gott auserwähltes Land, lehrt der Mythos, die leuchtende Stadt auf dem Berge, ein Vorbild für die ganze Welt. Barack Obama hatte 2009 den evangelikalen Megakirchen-Pastor Rick Warren und den Bürgerrechtsaktivisten Pastor Joseph Lowery, sein Vorgänger George W. Bush den Prediger Kirbyjon Caldwell und den anglikanischen Geistlichen Luis Leon. Billy Graham ist jedoch Erster unter Gleichen bei den Predigern. Der "Pastor der Präsidenten" hat seit Harry Truman jeden Präsidenten persönlich gekannt und bei vier Amtseinführungen gebetet - bei Nixon 1969, bei George Bush senior 1989, bei Bill Clinton 1993 und 1997. Bei Ronald Reagan in den Jahren 1981 und 1985 und nach Nixons Wiederwahl 1973 predigte Graham bei Gottesdiensten nach der Amtseinführung. Dem jungen George W. Bush soll Graham geholfen haben, vom Alkohol wegzukommen. Das Phänomen Graham: Der Baptistenprediger mit der kraftvollen, dann wieder schmeichelnden Stimme hat wie kaum ein anderer die evangelikale Christenheit geprägt. (Evangelikale sind protestantische Christen, die an die Unfehlbarkeit der Bibel glauben und ihren Glauben verbreiten wollen durch "Evangelisieren".) Insgesamt 200 Millionen Menschen weltweit haben Graham nach Schätzungen live predigen gehört, dazu Hunderte Millionen im Fernsehen, Rundfunk und Internet.

Grahams Botschaft hat sich nie groß verändert: Jeder Mensch sei ein Sünder, Jesus Christus für alle am Kreuz gestorben. Das Evangelium wird weitgehend reduziert auf die Einzelperson, die allein und für sich selber Seelenheil finden könne. Seit Jahrzehnten warnt Graham (s. sein Nixon-Gebet 1969), dass auf der Welt alles schlechter werde. Ein Zeichen, dass man sich dem Ende nähere und der Wiederkunft Jesu Christi. Politisch tendiert das in Richtung konservativ: Militant gegen den Kommunismus und gegen langhaarige Studenten, die Nixon zu schaffen machten. Aus diesem Gedankengut heraus entstand schon in den siebziger Jahren die mächtige "christliche Rechte". Noch heute pilgern Politiker zu Grahams Altersruhesitz in den Bergen von North Carolina. Selbst Barack Obama trat 2008 die Reise an, die für ihn ein Gang nach Canossa gewesen sein muss. Vor der Präsidentenwahl 2012 pilgerte Obama nicht, doch der Republikaner und Mormone Mitt Romney wurde bei dem von Parkinson und altersbedingten Schwächen gezeichneten Prediger vorstellig. Auf Grahams Website verschwand daraufhin die Passage, das Mormonentum sei ein Kult. Grahams Segen gilt als eine Art Imprimatur - bei Befragungen, wen Amerikaner am meisten respektierten, liegt Graham seit Jahrzehnten unter den Top Ten. Der Geehrte lebt bescheiden, Finanz- oder Sexaffären hat es bei ihm nie gegeben.

Trotz Napalm und Agent Orange

Mit dem 1994 verstorbenen Richard Nixon verband Graham seit den fünfziger Jahren offenbar eine enge Freundschaft. Er habe Nixon für einen "moralischen Mann von spiritueller Sensibilität" gehalten, schrieb Graham in seiner Autobiografie. Bereits 1964 will er dem Republikaner eine große Zukunft vorhergesagt haben. "Die Weltlage wird schlechter", habe er seinem Freund Dick zugeflüstert, hielt Graham in diesem Buch fest. "Eine Zeit wird kommen, in der das amerikanische Volk sich dir zuwendet." Nachdem Nixon 1969 im Weißen Haus eingezogen war, ging auch Graham dort ein und aus. Doch was Stabschef Haldeman in seinem 1994 veröffentlichten Tagebuch schreibt, ist nicht immer schön für die sakrosankte Gestalt - Graham als Kritiker liberaler Prediger-Kollegen, Graham als Ja-Sager, als bei einem Meeting 1972 über das "entsetzliche Problem der totalen jüdischen Dominanz der Medien" geklagt wird und so weiter. Nicht ganz klar, wer wen mehr benutzt hat: Nixon den Prediger. Oder der Prediger den Präsidenten, um seinen Einfluss auszubauen.

Doch Graham hielt zu Nixon, trotz Napalm und Agent Orange auf Südvietnam, trotz des Watergate-Skandals. Das sei für ihn ein Schock gewesen, besonders als die Tonbänder veröffentlicht wurden, auf denen der Präsident mit deftigen Worten über politische Gegner herziehe. Ende der siebziger Jahre bekannte Graham, "das Königreich Gottes mit der amerikanischen Lebensweise verwechselt" zu haben. Vor ein paar Jahren nun sprach er in der New York Times über seine inzwischen gefundene Zurückhaltung. "Wenn ich über Politik rede, dann schaffe ich Zwist unter den Zuhörern", erläuterte Graham. Er wolle deshalb nur noch "vom Evangelium sprechen". Seine Aussagen gelten auch dem Schwinden der evangelikalen Christenheit.

Bei Nixons Amtseinführung 1969 klassifizierten sich noch zwei Drittel der Amerikaner als Protestanten. Heute sind es nur mehr gut 50 Prozent. Die am schnellsten wachsende "Glaubensgruppe" sind Menschen, die keine feste Bindung zu einer Religionsgemeinschaft haben. Rund 16 Prozent der US-Bürger gehen auf Distanz zur organisierten Religion, besonders junge Menschen. Konservative Christen, heute der harte Kern der Republikanischen Partei, isolieren sich zusehends. Die Hälfte derer, die im November für den Republikaner Mitt Romney gestimmt haben, waren weiße Evangelikale, so das Public Religion Research Institute. Doch das reicht nicht mehr.

Die Prediger der Inaugurationsfeier beten heutzutage anders als Graham 1969: Mit Rücksicht auf Anders- und Nichtgläubige spricht man nicht mehr von Bekehrung zu Jesus Christus. Der angebetete Gott muss inklusiver sein, doch zuständig für Amerika. Richard Nixon wäre diesen Monat 100 Jahre alt geworden.

Quelle: der FREITAG vom 22.01.2013. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Konrad Ege und des Verlags.

Veröffentlicht am

23. Januar 2013

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