Clemens Ronnefeldt: “Wir brauchen einen langen Atem, um die Vision einer Welt ohne Kriege voranzutreiben”Redebeitrag für den Ostermarsch 2013 in Saarbücken am 30. MärzVon Clemens Ronnefeldt Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde, für die Einladung nach Saarbrücken danke ich Euch als Veranstalter des diesjährigen Ostermarsches Saar 2013 ganz herzlich. "Frieden ist nicht zu KRIEGen" - Keine Auslandseinsätze der Bundeswehr - Ramstein schließen", so lautet das Motto unseres diesjährigen Ostermarsches. Seit einigen Jahren beobachte ich eine stetige und beängstigend anwachsende Militarisierung der Gesellschaft, die alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens umfasst. 23.000 neue Rekruten braucht die Bundeswehr jährlich - und mit einem gewaltigen Werbeaufwand, der in den letzten Jahren vervielfacht wurde, werben Jugendoffiziere bereits Minderjährige in Schulen an. Damit verstößt die Bundeswehr gegen die UN-Kinderrechtskonvention. Die Entscheidung über die Einladung von Soldaten in den Unterricht liegt allein bei der Schule. Doch Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrende müssen eine solche Einladung nicht hinnehmen. In Schülervertretungen, Eltern- und Lehrerkonferenzen können sie sich dagegen wehren. Eltern können für ihre Kinder Ersatzunterricht beantragen, wenn Bundeswehrsoldaten in die Klasse kommen. Außerdem gibt es vor allem auf lokaler Ebene immer mehr Initiativen gegen die Bundeswehr-Werbeoffensive. Auch terre des hommes und andere Organisationen wie die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft fordern den Stopp jeder Art von militärischer Werbung und Rekrutierung bei Minderjährigen. Die Bundeswehr hat gemeinsam mit dem Jugendmedium "Bravo" bei Kindern und Jugendlichen um Nachwuchs geworben. Motto: "Action, Abenteuer und jede Menge Fun". terre des hommes hat dagegen protestiert, dank der Hilfe vieler Unterstützer hatte die Aktion eine breite Resonanz in der Öffentlichkeit. Ergebnis: Nach einem Gespräch nahm "Bravo" den verharmlosenden Werbefilm aus dem Netz. Mehr als 100 lokale Friedensgruppen und Organisationen beteiligten sich bundesweit in vielen Städten und Gemeinden an der Aktion "Schulfrei für die Bundeswehr". Hochschulen wehren sich gegen Kooperationsverträge für Rüstungsforschungen, die ihnen schmackhaft gemacht werden. Ich fordere alle Studierenden und Lehrkräfte auf, sich jeglicher Forschungsaufträge aus dem Verteidigungsministerium oder der Rüstungswirtschaft zu widersetzen! Mehrere hundert Psychotherapeutinnen und Therapeuten schrieben an das Verteidigungsministerium, nachdem sie aufgefordert worden waren, traumatisierte Soldatinnen und Soldaten aus Afghanistan bevorzugt zu behandeln und Wartelisten ziviler Patienten zu überspringen - aber nur, wenn die Behandelnden eine positive Grundeinstellung zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr hätten. In ihrem Antwortbrief machten diese Psychotherapeutinnen und Therapeuten sehr deutlich, dass sie jedem Menschen bereit sind zu helfen, der Hilfe benötigt - dies aber unabhängig von ihrer politischen Gesinnung - und dass sie Traumatisierte nicht wieder gesund machen, damit sie erneut dorthin geschickt werden können, wo die seelischen Wunden verursacht wurden. Nicht nur am Hindukusch, sondern sogar in Mali wird die deutsche Freiheit verteidigt. Als "Mut-Bürger in Uniform" seien die Bundeswehrsoldaten ein "Friedensmotor für das große Wir", sagte der Bundespräsident. Im Oktober 2012 verkündete Angela Merkel in Strausberg vor Soldaten der Bundeswehr, deutsche Rüstungsexporte seien ein Instrument der Friedenssicherung: "Deutschland ist aufgerufen, vertrauenswürdigen Partnern zu helfen, damit sie entsprechende Aufgaben übernehmen." Ob sie damit auch die repressiven Regime in Saudi-Arabien, Katar oder Indonesien gemeint hat, die demnächst Waffenexporte aus Deutschland erwarten? Kurz vor der Revolution in Ägypten 2011 lieferte Deutschland noch Wasserwerfer an das Regime Mubarak, die dann gegen die friedlich Demonstrierenden auf dem Tahrirplatz eingesetzt wurden. Ist die Bundesregierung bereit, aus solchen Fehlentscheidungen im Hinblick auf Panzerlieferungen an Saudi-Arabien oder U-Boot-Lieferungen an Israel zu lernen? Thomas de Maiziere hat die Bundeswehr zwar verkleinert, ihr Einsatzgebiet aber vergrößert und wünscht sich bewaffnete Drohnen zur Tötung von Gegnern deutscher Soldaten im Ausland. "Ethisch ist eine Waffe stets als neutral zu betrachten", sagte der Minister - und zog diese Aussage erst zurück, als er nach dem Ethikgehalt von Streuwaffen und Landminen gefragt wurde. Was Kanzlerin, Bundespräsident und Verteidigungsminister in den letzten Monaten an Aussagen geliefert haben, ist ein Paradigmenwechsel der deutschen Außenpolitik von großer Tragweite: Diese Militarisierung der Gesellschaft gilt es anzuprangern - und die Rückkehr zu einer Zivilgesellschaft Deutschland einzuleiten. Eine deutliche Mehrheit der Deutschen ist für die Beendigung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan - leider aber auch eine deutliche Mehrheit der Volksvertreter, die das Volk schon länger nicht mehr vertreten, für immer neue Mandatsverlängerungen. Im August 2012 verabschiedete das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einen weitreichenden Beschluss zum Einsatz der Bundeswehr im Inland. Lediglich einer der Richter, Professor Reinhard Gaier, widersetzte sich, stimmte einer der drei vorgelegten Fragen nicht zu und gab ein Minderheiten-Votum zu Protokoll.
mit Blick auf die verhängnisvolle deutsche Geschichte der letzten hundert Jahre wurden im Grundgesetz Polizei und Militär strikt getrennt - die Bundeswehr hatte, so die Väter des Grundgesetzes, nichts im Inneren zu suchen. Ich halte diesen Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes für einen Katastrophenbeschluss, der so schnell wie möglich revidiert gehört, bevor er die Grundlagen unserer Demokratie erschüttert oder gar zerstört. Zur aktuellen politischen Großwetterlage gehört auch die Verleihung des Friedensnobelpreises 2012 an die Europäische Union. Angesichts mehrerer tausend toter Flüchtlinge an den Grenzen Europas, der Tatsache, dass die EU-Länder zu den größten Rüstungsexporteuren der Welt zählen - und vor dem Hintergrund der jüngsten Unterstützung zahlreicher europäischer Staaten bei der Militärintervention Frankreichs in Nordafrika, erscheint mir die Verleihung des Friedensnobelpreises an die EU als skandalöse Fehlentscheidung. Die EU mag - abgesehen von den Jugoslawienkriegen - nach innen bewaffnete zwischenstaatliche Auseinandersetzungen vermieden haben. Durch ihre Finanz- und Wirtschaftspolitik aber hat sie die Konflikte nach außen getragen - und auf anderen Kontinenten sind dieser EU-Politik in den letzten Jahren unzählige Menschen zum Opfer gefallen.
vielleicht fragt ihr euch auch manchmal: Wo kann ich denn ganz persönlich anfangen, bei mir im ganz persönlichen Bereich, um zu mehr Frieden und Gerechtigkeit beizutragen. Ich hätte da einige Ideen: Wenn die Frankfurter Allgemeine Zeitung einen langen Artikel mit der Überschrift versieht: "Der Krieg der Banken gegen das Volk", stellt sich für uns dann nicht die Frage: Wann steigen wir mit unseren Geldeinlagen aus, die Ungerechtigkeiten und Kriege bei Großbanken befördern - und bringen unser Erspartes zu Instituten, die dem Leben dienen - wie GLS-Bank, Ethikbank, Triodos oder Umweltbank? Wäre dies nicht eine logische Konsequenz, wenn wir wirklich zu mehr Frieden und Gerechtigkeit beitragen wollen? Und wäre dies nicht auch die konsequente Entsprechung des Verzichts auf Atomstrom und unseren Stromanbieter-Wechsel zu Greenpeace, den Schönauer Stadtwerken, Naturstrom oder Lichtblick? Dass wir, die Zivilgesellschaft, mit unserem Verhalten Frieden und Gerechtigkeit befördern können, zeigen aktuell auch Menschen auf internationaler Ebene im Konflikt zwischen Israel und Iran. Was im März 2012 als zunächst belächelte private Botschaft aus Israel begann mit dem Satz eines Grafikdesigners: "Iraner, wir werden euer Land niemals bombardieren" - bekam eine ungeheure Dynamik. Noch am gleichen Tag folgten mehr als 40 000 Israelis dem Aufruf und schlossen sich an. Aus Iran trafen ähnlich lautende Friedens-Botschaften in Israel in ungeahnter Zahl ein. Inzwischen hat diese Initiative mehr als 56 Millionen Internet-Aufrufe, das israelische Fernsehen und selbst die deutsche Tagesschau berichteten darüber, in Israel gibt es aktuell keine Umfrage-Mehrheit für einen israelischen Krieg gegen Iran, hochrangige Militärs erklärten öffentlich, sich nicht an einem Irankrieg zu beteiligen. Lawinen fangen klein an - und auch wir können heute bei uns und in unserem Umfeld damit beginnen, eine Lawine für mehr Gerechtigkeit und Frieden in Gang zu setzen!
in diesem März gedenken wir des Beginns der Irak-Invasion vor zehn Jahren, bei der US-Einrichtungen wie die Airbase in Ramstein eine zentrale Rolle spielten. Ich frage mich: Warum sind eigentlich Georg W. Bush und Tony Blair immer noch auf freiem Fuß und wieso stehen beide nicht vor einem Kriegsverbrecher-Tribunal in Den Haag? War es 2003 vor allem das irakische Erdöl, geht es in Mali und Niger - neben der Bekämpfung terroristischer Gruppen heute - vor allem um Uran, Gold, sowie mögliche Pipelineführungen in Konkurrenz zu Russland und China. Die ehemalige Kolonialmacht Frankreich scheint weder aus ihren eigenen Fehlern wie dem Algerienkrieg noch aus den Fehlern der US-Regierung in Irak oder Afghanistan lernen zu wollen. Der nächste asymetrische Krieg in der Sahelzone hat gerade begonnen. Statt die Ursachen der Gewalt wir Hunger, Armut und Perspektivlosigkeit vieler Menschen durch zivile Hilfsprogramme anzugehen, ist auch diesmal die Bundesregierung wieder dabei, sich ein ein militärisches Desaster zu stürzen. Deswegen stellen wir die Forderungen:
Wir fordern weiterhin:
Durch den Verzicht auf diese Aufrüstungsmaßnahmen sowie die konsequente Zusammenstreichung des Verteidigungs-und Rüstungshaushaltes könnten Gelder freiwerden, um eine groß angelegte Konversion dieser Region weg vom Militär hin zu zivilen Arbeitsplätzen einzuleiten. Der Sozialstaat darf nicht weiter zerstört werden! Es braucht eine Umverteilung von oben nach unten, wenn der immer brüchiger werdende innere Frieden unserer Gesellschaft gerettet werden soll! Wenn wir auf die Krisenregion Naher und Mittlerer Osten schauen, brauen sich die Eskalationswolken immer stärker zusammen. Weder in Syrien noch in Saudi-Arabien führen Waffenlieferungen zu einer Lösung der Konflikte und der Gewalt vor Ort. Die Sanktionen gegen Iran haben die Repression im Land noch verstärkt, bewirkt haben sie - außer der Verelendung der Bevölkerung - im Atomstreit seit mehr als zehn Jahren nicht den geringsten Ansatz für eine Konfliktlösung. In Syrien braucht es nicht mehr, sondern weniger Waffen, soll das Blutvergießen beendet werden. Da offenbar in Syrien ein brutaler Machtkampf um die Vorherrschaft in der gesamten Region ausgetragen wird, der sich lange hinziehen könnte, wäre zunächst eine Verständigung über einen Waffenstillstand der erste Schritt. Als zweiter Schritt könnte ein Dialog ohne Vorbedingungen zwischen Opposition und Regime beginnen, zu dem das Regime von Assad Bereitschaftssignale gesendet hat. Flüchtlinge benötigen Unterstützung und Aufnahme. Es ist ein Skandal, dass sich die Bundesregierung erst jetzt dazu entschlossen hat, syrische Flüchtlinge auch bei uns in geringer Zahl aufzunehmen. Schon lange fordern Friedensforschung und Friedensbewegung eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen und Mittleren Osten, zu der alle in der Krisenregion beteiligten Staaten eingeladen werden. Themen könnten sein: Menschenrechte, Wasser, erneuerbare Energien, Friedenserziehung - und vor allem die Einrichtung einer Zone, die frei ist von atomaren, biologischen und chemischen Waffen. Ein erster Schritt in diese Richtung könnte sein, dass auch die israelische Regierung ihr atomares Potential genauso wie Iran von Inspektoren der internationalen Atomenergiebehörde in Wien kontrollieren lässt - und damit die Kontrolle den Vereinten Nationen unterstellt. Als weiteren Schritt hat Mohamed ElBaradei, der frühere Direktor der internationalen Atomenergiebehörde in Wien, vorgeschlagen, alle weltweiten Uran-Anreicherungsanlagen unter die Kontrolle der Wiener UN-Behörde zu stellen. Der stärkste Widerstand gegen diesen Vorschlag kam von der US-Regierung. Vor zwei Jahren moderierte ich zusammen mit dem Journalisten Andreas Zumach in der evangelischen Akademie Bad Boll eine Vorbereitungskonferenz für eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen und Mittleren Osten auf der Ebene von Nichtregierungsorganisationen. 27 Teilnehmende aus neun Staaten waren gekommen: Aus Israel, Palästina, Jordanien, Syrien, Iran, Irak, Türkei, Kuweit - und aus Deutschland Professor Mohssen Massarrat und Christoph Krämer von IPPNW, die die Haupt-Initiatoren des ganzen Unternehmens waren. Es waren für mich ermutigende vier Tage, an denen wir unter anderem länderübergreifende Querschnittsgruppen gebildet haben zu verschiedenen Themen - und Tage, die zeigten: Kooperation in dieser Krisenregion ist möglich! Wir brauchen einen langen Atem, um die Vision einer Welt ohne Kriege voranzutreiben. Eine andere Welt ist möglich! Ich danke Euch für euer Kommen und euer Engagement! Clemens Ronnefeldt ist Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des internationalen Versöhnungsbundes .
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