Analyse zum Korea-Konflikt Militär zuerstSüdkoreas neue Präsidentin will eine "Vertrauenspolitik" mit dem Norden. Das verhindert das Parlament und liefert Nordkorea den Vorwand für neue Atomtests.Von Karl Grobe Die Armee und das Volk Nordkoreas machen keine leeren Versprechungen. Die wird im Songun-Korea-Geist tun, was zu tun ist. Songun, das muss besonders erwähnt werden, heißt: Das Militär zuerst. Im Songun-Geist wird das Regime "diversifizierte nukleare Präzisionsschläge auf koreanische Art" austeilen, wenn es provoziert werden sollte. Der Waffenstillstand vom 27. Juli 1953 gilt nicht mehr, alle Süd-Kontakte sind abgebrochen, "unsere Interkontinentalraketen stehen abschussbereit", auf Knopfdruck würden sie Washington "in ein Flammenmeer verwandeln". Anlass für diese Drohungen, die in Tonfall und Details das aus vergleichbaren Anlässen Gewohnte denn doch übertreffen, sind die gemeinsamen Manöver der südkoreanischen Streitkräfte und der in Südkorea stationierten US-Armee, die am Montag begonnen haben. Diesmal dauern sie acht Wochen, es werden Tarnkappenbomber und B-52- Bomber, Drohnen und alle Arten Flotteneinheiten eingesetzt. Training natürlich, bekräftigt jede zur Auskunft befugte Dienststelle in Seoul. Doch das Manöver, zu dem sich eine Sonderübung mit Computerunterstützung gesellt, trifft mit einem nordkoreanischen zusammen, in dem unter anderem U-Boote sowohl im Gelben Meer als auch in jenem Ozeanteil stattfinden, den man in Tokio Japanisches Meer und auf der koreanischen Halbinsel Ostmeer nennt. Darin - nicht allein in der Kriegsrhetorik aus Pjöngjang - liegt die "ernste Gefahr", vor der James R. Clapper, der höchste Geheimdienstbeamte der USA, am Montag vor einem Senatsausschuss gewarnt hat. "Sonnenscheinpolitik" war nicht erfolgreichEine ähnliche Konstellation hatte 2009 zu einem schweren Zwischenfall geführt. Von der Insel Yongbyeong aus feuerten südkoreanische Geschütze Übungsmunition ins offene Meer. Nun liegt diese Insel so nahe an der Küste Nordkoreas, dass sie sich nach Seerecht in dessen Hoheitsgewässern befindet; die "Nördliche Grenzlinie", welche die Insel und einige andere Südkorea zuschlägt, ist 1953 einseitig von den USA gezogen worden. Es gab erstmals seit 1953 scharfe Schüsse und vier Tote. Südkoreas Präsident Lee Myung Bak war entschlossen, "auf den Knopf zu drücken" und zur Vergeltung Luftangriffe gegen Nordkorea zu befehlen. Die Vereinigten Stabschefs - Klartext: die US-Army - kamen rechtzeitig dahinter. Der Ausbruch eines neuen Koreakriegs wurde knapp verhindert. Die regierungstreue, konservative Zeitung Chosun Ilbo hat das 2010 berichtet, doch es blieb unbeachtet; Mitte Dezember vorigen Jahres erinnerte Lee aus Anlass seines Ausscheidens aus der Präsidentschaft noch einmal daran. Eskalationsfreudig - beschönigend gesagt: risikofreudig - sind nicht nur die Machthaber im Norden. Lees Konfrontationskurs gegen die Nord-Republik hatte Gründe. Die "Sonnenscheinpolitik", die Südkoreas erster linker Präsident, Kim Dae Jung, 1998 eingeleitet und die sein Nachfolger Roh Moo Hyun bis 2006 fortgesetzt hatte, wurde von Nordkorea nicht sehr honoriert; Nord-Diktator Kim Jong Il setzte Militär-zuerst-Geist durch. Offenbar betrachtete das Führungsteam in Pjöngjang die atomare Aufrüstung als einzig brauchbares Mittel, seine Macht zu bewahren. Lees Kurs bestätigte die Nord-Führer, wie schon die Achse-des-Bösen-Politik des George W. Bush sie faktisch auf diesen Kurs festnagelte. Auch Südkorea denkt über die Bombe nachInzwischen regiert der junge Kim Jong Un im Norden, und im Blauen Haus, dem Präsidentensitz in Seoul, amtiert Park Geun Hye, Tochter des Ex-Diktator Park Chong Hee und erste Frau in diesem Amt. Sie hatte bisher - obwohl Mitglied der konservativen Partei - eine Trendwende in der Nord-Politik im Programm. "Vertrauenspolitik" lautet das Schlagwort; vertrauensbildende Maßnahmen, um knallharte, möglicherweise explosive, Konfrontation zu vermeiden. Das Parlament sperrte sich jedoch fast vier Wochen gegen die Bestätigung einiger Minister, darunter des Kandidaten für das Vereinigungsministerium, das die Nord-Politik koordiniert. In diesen Wochen gewann der Militär-Flügel in Südkoreas Hauptstadt Seoul über Gebühr an Gewicht. Auch publizistisch. Vor einer Woche fragte ein Kommentator in der rechtsgerichteten Chosun Ilbo: "Man sagt, der nukleare Schirm der USA mache es für Südkorea unnötig, Atomwaffen zu erwerben. Seit wann vertraut man denn so sehr auf die Achse Seoul-Washington?" Nein, Südkorea solle den Mut haben, über Atomwaffen nachzudenken, um Nordkoreas und Japans nukleare Ambitionen zurückzuweisen. Dass dieser Kommentar von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, deren sich die inzwischen gefestigte südkoreanische Demokratie erfreut, ist eine Sache. Das dahintersteckende Denken abzulehnen, das an Chauvinismus grenzt, ist eine andere. In Nordkorea jedoch, dessen Führung solche Diskurse schlicht nicht kennt, obwohl Dynastie-Erbe Kim Jong Un einige Schuljahre in der Schweiz verbracht hat, können solche Überlegungen eigentlich nur als Reflex echter Pläne verstanden werden. Und als Rechtfertigung für neue Atom- und Raketentests, Drohung und Bombenrhetorik: Zündeln aus dem Misstrauen, dass der Gegner zündeln könnte. Quelle: Frankfurter Rundschau vom 14.03.2013. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Karl Grobe. 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