Mali: Aus David wird GoliathDie EU-Militärmission sorgt für eine paradoxe Situation: Sie verschärft die Konfrontation, ohne ihr gewachsen zu seinVon Lutz Herden Kommandeur Tahir al-Faki ist sich sicher - es gäbe etwa 2.500 bis 3.000 Kämpfer aus dem Norden Malis, die in der sudanesischen Provinz Darfur gelandet seien. Für sein Justice-and-Equality-Movement kein Unglück. Der Sache des Dschihad werde diese Infusion nicht schaden - im Gegenteil. Seit Frankreich am 10. Januar mit der "Opération Serval" in Mali intervenierte, wurde viel gemutmaßt, wohin die bald darauf aus Städten wie Timbuktu, Gao und Kidal vertriebene Guerilla des Netzwerks Al-Qaida im Islamischen Maghreb (AGIM) oder der Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika (MUJWA) ausgewichen sein könnte. Offenbar verschlug es sie nicht nur ins Grenzgebiet zu Algerien, wie zunächst angenommen. Der Rückzug führte ebenso durch die Wüstenstaaten Niger und Tschad, deren Autoritäten den Kraftakt scheuten, sich diesem Marsch im Namen Allahs entgegenzustellen. Vermutlich ahnten die Regierungen in Niamey und N’Djamena, welchen Hintergrund das Ausweichmanöver hatte. Oder sie kannten ihn gar. Die Kombattanten aus Mali kamen regierungstreuen sudanesischen Milizen gerade recht. Schließlich brauchte die Sudan Revolutionary Front (SRF) Personal für ihre Border Protection Force, die in Darfur - inoffiziell - der Armee des Sudan untersteht, um ihr als regionales Rückgrat zu dienen. Wer einen Abzug in den Aufbau neuer dschihadistischer Formationen überführt, hat den Beweis erbracht, mobil über Ländergrenzen hinweg flexibel in seinen Kommandostrukturen und unbeirrbar in seinem Überlebenswillen zu sein. Insofern muss die Frage erlaubt sein, ob die Anfang April offiziell begonnene European Union Training Mission Mali (EUTM) der Lage im subsaharischen Afrika gerecht wird. Oder überhaupt gerecht werden soll. 250 Ausbilder aus Frankreich, Deutschland, Spanien, Italien und Österreich widmen sich zwei malischen Bataillonen (ca. 1.300 Soldaten), um sie militärisch zu professionalisieren und ideell zu stimulieren. Das geschieht im Umfeld von Bamako oder in der Hauptstadt selbst, fernab der Gefahren und Gefechtsfelder im Norden. Es wird versucht, mit Elite-Kadern eine Armee aufzurichten, die nach vielen Niederlagen eher reanimiert als reaktiviert werden muss. Und die mentalen Rückhalt mehr braucht als das Einschwören auf Counter-Insurgency- sowie Counter-Terrorism-Operationen. Es gibt bei EUTM ausdrücklich keine Parallelität zwischen Ausbildung und eigenem Kampfeinsatz wie ab 1965 bei den Amerikanern in Südvietnam oder zuletzt bei der Nato in Afghanistan. Warum eigentlich nicht? Wenn Nordwestafrika neben Afghanistan, Pakistan und Jemen zur zweiten großen Kampfregion für militante Islamisten und westliche Antiterror-Krieger wird, wäre das logisch. Nur gibt es eben in den EUTM-Staaten ein großes politisches Unbehagen, sich auf ein derartiges Risiko einzulassen. Hybride IdentitätenSo entsteht eine paradoxe Situation: Die EU-Mission verankert zwar im Verein mit dem französischen Interventionskorps (derzeit 2.500 Mann) militärische Präsenz in einer Region, die fortschreitender Islamisierung ausgesetzt ist, verweigert sich aber dem damit verbundenen asymmetrischen Konflikt. Die Paradoxie wird auf die Spitze getrieben, hält man sich vor Augen, dass die Opération Serval und EUTM diesen Konflikt nicht etwa eindämmen, sondern anfachen - allein weil es sie gibt. Seit dem Eingreifen Frankreichs stehen sich in Mali nicht vorrangig Goliath und David gegenüber, sondern unterschiedliche Konfliktkulturen. Hier die Ex- Kolonialmacht, deren Streitkräfte darauf trainiert sind, bei einer Invasion nach konventionellem Muster zu verfahren: Luftangriffe, der Vorstoß am Boden mit gepanzerten Verbänden und motorisierter Infanterie, dazu das klassische Fort, um gewonnenes Terrain zu halten. Dort eine Guerilla, die einen Subkontinent als Kampfzone begreift und ihren Heimvorteil auskostet. Taktische Flexibilität, ein belastbares ökonomisches Hinterland und die religiöse Inbrunst von Überzeugungstätern sind identitätsstiftende Merkmale. Frankreich ist der Eroberer alten Stils - der islamistische Kämpfer ein Revolutionär, den europäische Normen wenig scheren. Die Konfrontation zweier Welten, die mit dem Gegensatz Zivilisation gegen Barbarei höchst unzureichend beschrieben ist. Wer die vergangenen Monate analysiert, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die islamistischen Kämpfer in der Sahelzone einem Muster der konzertierten Aktionen folgen, bei denen Nordmali eine Kampfzone neben anderen ist, wie der Überfall auf das BP-Gasfeld In Aménas in Südalgerien Mitte Januar gezeigt hat. Parallel dazu wurde im Internet die Tötung einer französischen Geisel in Somalia vermeldet, die Verteidigung Timbuktus in Nordmali dokumentiert und eine propagandistische Offensive gestartet, in die auch der Fernsehkanal Al-Dschasira einbezogen war. Der sendet bekanntlich aus dem Emirat Katar, das sich neben anderen Golfstaaten um die Aufrüstung der in Mali kämpfenden Dschihadisten bemüht. Womit ein weiteres Merkmal dieses asymmetrischen Konflikts benannt wäre - die hybride politische Identität wichtiger Akteure. Katar ist Verbündeter des Westens gegen Syriens Präsident Assad. Katar ist Verbündeter der Hamas gegen Israel, den Verbündeten des Westens, Katar ist Frontstaat einer sunnitischen Expansion in der arabischen Welt, die einer radikalen Islamisierung Vorschub leistet, wie sie die EU in Mali verhindern will. Noch mehr Travestie gefällig? Sie wäre dort auszumachen, wo Al-Qaida-Filialen in der Sahelzone Gefallen am kapitalistischen Dämon und profitabler Warenzirkulation finden. Man zehrt von einer transnationalen Konfliktökonomie, die eine schwache Regierungsautorität in Libyen, Mali, Niger und Mauretanien durch ein Geflecht staatlicher und nichtstaatlicher Akteure ersetzt. Deren Interesse an Gewinnen aus dem Schmuggel von Waffen und Rohstoffen, Medikamenten, Drogen und Zigaretten hält zusammen, was sich gegenseitig die Taschen oder Kriegskassen füllt. Das Potenzial dieser Netzwerke geht weit über den Finanzbedarf der islamistischen Guerilla hinaus, wird ihm aber vorzüglich gerecht. Das EU-Militärkontingent in Mali - der Westen überhaupt - täte gut daran, diese Konfliktfähigkeit zur Kenntnis zu nehmen. Man hat es bei den islamistischen Organisationen im Maghreb nicht mit Hasardeuren zu tun, die eine kategorische Unbedingtheit und der Wille antreiben, sich als Märtyrer zu opfern. Dieser Gegner ist zu einem wirtschaftlich abgesicherten, taktisch versierten und instrumentell variablen Handeln fähig. Religiöser Dogmatismus hindert ihn nicht, darauf zurückzugreifen. Müßiger StreitDer Angriff auf den algerischen Gaskomplex In Aménas hat demonstriert, wie klar erkennbare politische Ziele die Attitüde des Glaubenskriegers überwölben. Die Operation - ausgeführt von der Gruppe und mutmaßlichen Al-Qaida-Filiale Muwaqiun bi-l Dam (Die mit Blut unterzeichnen) - war als Vergeltung für Frankreichs Mali-Intervention gedacht. Der algerische Staat sollte an seiner schwächsten Stelle getroffen werden: an der inneren Sicherheit, die zu fragil ist, um unverwundbar zu sein, und der nationalen Versöhnung, die Präsident Bouteflika mit den Führern der einstigen Front Islamique du Salut (FIS) betreibt, um nicht erneut in einen Bürgerkrieg abzurutschen. Die Botschaft von Muwaqiun bi-l Dam lautete, Algerien büße für Frankreich in Mali und müsse sich entscheiden, wo es steht! Es ist müßig, darüber zu streiten, ob es sich bei diesem Unternehmen um "illegitimen" Terrorismus handelte - oder um eine "legitime" Operation innerhalb einer asymmetrischen Konfrontation. Solange es für Letzteres keine rechtliche Kodifizierung gibt, fällt ein Urteil schwer. Im Übrigen gab es in der Geschichte immer wieder Akteure, die sich darauf beriefen, bestehende Ordnungen durch Gewalt zu verändern. Mancher, der so handelte, hat sich später als respektierter Staatsmann etabliert. Algeriens heutiger Präsident Abd al-Aziz Bouteflika kämpfte zwischen 1954 und 1962 als FLN-Kommandeur gegen Frankreichs Kolonialregime, das ihn als "Terroristen" stigmatisierte. Israels einstiger Premier Menachem Begin verübte in den vierziger Jahren mit seinen Irgun-Brigaden Sprengstoffanschläge gegen die britische Mandatsmacht in Palästina. Das geltende Völkerrecht stammt aus einer Zeit der symmetrischen Kriege, als Staaten gegen Staaten antraten. Oder als - um im Bilde zu bleiben - Goliath gegen Goliath kämpfte. Sieg und Niederlage entschieden über den Ausgang eines bewaffneten Konflikts. Verträge besiegelten Waffenstillstandsbedingungen, Grenzverläufe und Tribut-Pflichten. Die vorherrschende Konfliktkultur korrespondierte mit einer adäquaten Rechtskultur. Nichts davon lässt sich auf Mali übertragen. Die EU-Mission versteht sich als militärische Entwicklungshilfe, um die malische Armee in einen kriegstauglichen Zustand zu versetzen. Wenn das misslingt, könnte den Europäern nichts anderes übrig bleiben, als selbst in diese Konfrontation einzusteigen, wie das Frankreich bereits getan hat. Bestenfalls lässt sich der islamistische Herausforderer damit zurückdrängen, besiegen aber kaum. Seine Ressourcen sind nicht mit verlorenen Bastionen in Timbuktu oder anderswo erschöpft, sondern auf einen asymmetrischen Konflikt eingerichtet, der länger dauern kann als ein Menschenleben. Das sollte bedenken, wer sich auf einen Gegner einlässt, dessen Konfliktkultur schon am Hindukusch nur schwer beizukommen war. Exit-Strategien sind das Mindeste, um sich darauf einzustellen. Am besten, sie münden in Verhandlungsbereitschaft, um einem Gegner gewachsen zu sein, der längst dem David-Goliath-Spiel entwachsen ist. Quelle: der FREITAG vom 22.04.2013. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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