Strafe muss sein! - Muss Strafe sein?Von Ullrich Hahn, Rechtsanwalt und Präsident des Deutschen Zweiges des 1. Strafe muss nicht sein. Sie ist keine notwendige Konsequenz unrechten Tuns. Sie heilt nicht die Wunde, die zuvor geschlagen wurde, sondern schlägt eine neue Wunde. Strafe ist ein Übel. Sie gehört nicht zur Schöpfungsordnung, auch wenn wir uns an das Strafen ebenso gewöhnt haben, wie an Krieg und Ausbeutung. Beim Nachdenken über unsere Strafbedürfnisse und die staatliche Strafpraxis soll es deshalb nicht darum gehen, bessere, im Sinne von humanere, Strafen zu suchen, sondern etwas, das besser ist als die Strafe. 2. Das Mittel der Strafe zur Überwindung von Kriminalität ist nicht nur ein Übel, sondern hält auch nicht, was man sich von ihr verspricht. a. Strafe erschreckt zwar alle, die sie trifft, die Bestraften und deren Angehörige, aber sie schreckt nicht ab. Das belegen nicht nur alle Straftaten, die begangen wurden, obwohl die Täter zuvor von der Strafbarkeit wussten, sondern auch eine Vielzahl kriminologischer Studien und Kriminalstatistiken. Soweit ein Täter überhaupt vorher nachdenkt, ist es die Entdeckungswahrscheinlichkeit, die abschreckend wirkt, nicht aber die Höhe der Strafe. b. Strafen bessern auch nicht. Wenn Menschen nach einer vollzogenen Strafe nicht rückfällig werden, liegt dies oft an vielen anderen glücklichen Umständen, die dazu beitragen, die seelischen Wunden der Vergangenheit und der erlittenen Strafe zu überwinden: dem eigenen starken Willen, familiären und anderen guten Beziehungen, einer eröffneten Lebensperspektive etc. c. Strafen und insbesondere Gefängnisse machen unser Leben nicht sicherer. Je länger Menschen eingesperrt sind und die Demütigung der Bestrafung erfahren, desto schwieriger wird es für sie, sich draußen in Freiheit wieder zurechtzufinden und ein Leben ohne Straftaten zu führen. Am deutlichsten ist dies bei den Straftätern, die auch nach Verbüßung ihrer Strafe noch eine unbestimmt lange Zeit in Haft bleiben müssen. Die Praxis der Sicherungshaft ist unser eigenes Guantanamo. 3. Die Strafe dient überwiegend anderen als den offiziell genannten rationalen Zwecken: a. zur Herrschaftssicherung gegen oppositionelle Bestrebungen; b. dem Vergeltungsbedürfnis der Öffentlichkeit, welches vor allem bei schweren Straftaten oder prominenten Tätern durch die Medien geschürt wird. Wie wir aus kriminologischen Studien wissen, entspricht dieses Vergeltungsbedürfnis weniger dem Rehabilitierungsinteresse der Opfer als vielmehr einer in ihrem Ausmaß irrationalen Verbrechensfurcht in der Bevölkerung, derer sich die Politik nur zu gerne bedient. 4. Verzicht auf Strafe meint demgegenüber nicht einen Verzicht auf die notwendige Reaktion auf unrechtes Verhalten. Notwendig bleiben a. die Feststellung der Verantwortlichkeit des Täters in einem justizförmigen Verfahren; hierzu gehört auch die vorangegangene Ermittlungstätigkeit der Polizei. Die Auseinandersetzung mit dem erfahrenen Unrecht ist nicht nur die Privatsache des Opfers, sondern steht auch in der Verantwortung der Gesellschaft. b. die Vergewisserung dessen, was Recht ist, indem der Täter sich zu verantworten hat und das Opfer ihm und der Allgemeinheit gegenüber rehabilitiert, d. h. ins Recht gesetzt wird. c. die Verpflichtung des Täters zu Schadensersatz, zur Wiedergutmachung, eventuell auch der Entzug missbrauchter Rechte und Positionen (Fahrerlaubnis, Berufserlaubnis etc.) d. In Bezug auf den Täter geht es dabei vor allem auch um die Vermittlung von Einsicht in sein Tun und um die notwendige Hilfe, den - oft vorhandenen - guten Willen bei willensschwachen Menschen zu stärken und zu unterstützen. 5. Politisch muss es darum gehen, Vergehen und Verbrechen vorzubeugen, statt sie anschließend zu bestrafen. Dazu gehört a. das Streben nach sozialer Gerechtigkeit, d. h. einer Gesellschaftsordnung, in der jeder Mensch Anerkennung und Aufnahme in der Gemeinschaft erfährt und eine Perspektive für gelingendes Leben finden kann; b. eine Erziehung zur Eigenverantwortung, z. B. auch durch Gleichbehandlung der noch illegalen mit den legalen Drogen und entsprechender Endkriminalisierung des Betäubungsmittelrechts. Gegen die Selbstschädigung durch Drogenkonsum helfen keine Strafen, sondern - nicht anders als bei Nikotin und Alkohol - die Information für die Allgemeinheit über die darin liegenden Gefahren und im Einzelfall sozialpädagogische, psychotherapeutische und ärztliche Hilfe. 6. Zur Aufklärung im Rahmen einer vernünftigen Kriminalpolitik gehören auch a. das Wissen darum, dass es vollkommene Sicherheit vor Straftaten weder mit noch ohne Gefängnisse gibt und b. wir auch als unbescholtene Bürger dunkle Seiten in der eigenen Seele besitzen, die zu Projektionen und dem Verlangen nach Sündenböcken führen. 7. Die Kirchen könnten eine solche Aufklärung unterstützen, indem sie Abschied nehmen von den Bildern eines strafenden Gottes einerseits und eines bösen Menschen andererseits, der als Kind schon Züchtigung und als Erwachsener Strafe verdient. Richtig dürfte sein, dass wir als Menschen immer wieder der Vergebung bedürfen, weil wir nicht alle unsere Versprechen halten können. 8. Die Vorstellung einer Gesellschaft, die nicht mehr straft, scheint utopisch zu sein. Mit einer schnellen Überwindung unseres Strafsystems können wir deshalb nicht rechnen und wenn überhaupt, dann nur in kleinen Schritten. Hoffnung gibt allerdings das Wissen darum, dass es keine Sachzwänge sind, die für die Aufrechterhaltung des herkömmlichen Strafrechts sprechen, sondern eine öffentliche Meinung und unsere persönlichen Schwierigkeiten, mit fremder und eigener Schuld und Unrecht umzugehen. Diese sind aber veränderbar. Dazu müssen wir keine anderen Menschen werden als wir es sind, sondern nur bereit sein, umzudenken. Donaueschingen, den 21.09.2010 Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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