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Zur neuen Diskussion um die Folter im Rechtsstaat

Von Ullrich Hahn

1.

Es gibt verfassungs- u. völkerrechtlich keine staatliche Handlungsweise, die so geächtet ist, wie die Folter:

a.) Art.104 Abs.1 Satz 2 GG: "Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich misshandelt werden."

Art.5 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: "Niemand darf der Folter oder grausamer unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden." (Ebenso Art.7 der Konvention über bürgerliche und politische Rechte und fast identisch Art.3 EMRK).

b.) In besonderer Weise sehen die UN-Folterkonvention vom 10.12.84 und die Europäische Folterkonvention vom 26.11.87 die Möglichkeit von Kontrollbesuchen durch internationale Kommissionen vor.

c.) Anders als viele andere Menschenrechte darf vom Folterverbot auch in Kriegs- u. Notstandszeiten keine Ausnahme gemacht werden (z.B. Art.15 Abs.2 EMRK).

d.) Nach Art.4 der UN-Folterkonvention soll sogar sichergestellt werden, dass die Anwendung von Folter oder die Teilnahme daran weltweit bestraft wird; so auch in § 343 StGB.

2.

Trotz dieser unzweideutigen Rechtslage vermutete amnesty international noch vor dem 11.09.01, dass in mehr als 100 Staaten der Welt systematisch, d.h. nicht nur durch einzelne, eigenverantwortliche Übergriffe von Amtsträgern, gegen das Folterverbot verstoßen werde.

Diese Folterpraxis wurde von den angeprangerten Staaten jedoch offiziell bestritten. Das Bestreben der international damit befassten Gremien (UN-Ausschuss gegen die Folter, Europäischer Ausschuss zur Verhütung von Folter sowie Internationales Komitee vom Roten Kreuz und andere Menschenrechtsorganisationen) war deshalb darauf gerichtet, eine solche offiziell verschwiegene Praxis im Einzelfall aufzudecken und zu unterbinden.

3.

Seit Beginn des von der USA propagierten "Krieges gegen den Terrorismus" nach dem 11.09.2001 hat sich diese Situation dadurch geändert, dass nunmehr der mächtigste Staat der Welt mit dem Anspruch, ein demokratischer Rechtsstaat zu sein, selbst die Folter einsetzt, um bei denjenigen Menschen, die er als Terrorverdächtige aus der Rechtsgemeinschaft ausgegrenzt hat, Aussagen zu erzwingen (in Afghanistan, im Irak, auf Guantanamo u. in anderen von der CIA geführten geheimen Gefängnissen, oft in Zusammenarbeit mit Staaten, in denen die Folter schon zuvor praktiziert wurde).

4.

Auch in der bundesdeutschen Gesellschaft ist seither eine sich verstärkende Akzeptanz der - offiziell nach wie vor verbotenen - Folter in Einzelfällen zu bemerken. Bezeichnend hierfür ist die nach einer entsprechenden Anordnung durch den damaligen Frankfurter Vizepolizeipräsidenten Daschner am 01.10.02 folgende öffentlichen Diskussion.

Den Boden hierfür bereitetet hat eine schon lange vor 2001 eingesetzte Veränderung des Verhältnisses der Bürger zum Staat.

Während noch zur Zeit des Inkrafttretens des Grundgesetzes 1949 die Grundrechte vornehmlich als Abwehrrechte gegen die Staatsgewalt verstanden und gewünscht wurden, wird bei zunehmendem Abstand zur Geschichte des Dritten Reiches - und zwischenzeitlich wohl auch von den Erfahrungen der früheren DDR - die Gefahr von staatlichen Übergriffen immer geringer empfunden. Stattdessen wird vom Staat vielmehr Schutz vor privaten Übergriffen gefordert und werden ihm immer neue Eingriffsbefugnisse zur Herstellung von "Sicherheit" zugestanden.

Opferschutz bekommt Vorrang vor "Täterschutz". Der von der Öffentlichkeit schon vorverurteilte Verdächtige soll nicht mit "Samthandschuhen" angefasst werden, es soll ihm vor allem nicht besser gehen als seinem Opfer.

5.

In dieser Atmosphäre ist es zunehmend weniger selbstverständlich, das Verbot der Folter als einer absoluten und ausnahmslosen Grenze staatlicher Gewalt zu verteidigen.

Da auch in anderen Bereichen der Gesellschaft (Forschung, Medizin) letztlich alles gemacht und meist auch erlaubt wird, was machbar ist, wird Ethik nur noch schwer verstanden als ein bewusster Verzicht auf das, was ich zu meinem augenblicklichen Vorteil tun könnte.

6.

Viele Verteidiger des Folterverbots verweisen auf die Gefahr des Missbrauchs, auf die Möglichkeit, Unschuldige zu treffen, auf die mangelnde Qualität einer so erzwungenen Aussage.

Aber nicht nur der "Missbrauch", sondern schon der Gebrauch der Folter im bestmöglichen Einzelfall entwürdigt nicht nur den davon Betroffenen, sondern auch die Folterer und die ganze Gesellschaft, die ein solches Tun billigt.

Dass einzelne Menschen abscheuliche Gewaltverbrechen begehen können, ist schlimm genug. In der Regel ist ihnen das Unrecht ihres Tuns selbst bewusst.

Noch schlimmer ist jedoch, wenn eine Gesellschaft solche Verbrechen als "Recht" legitimiert und gutheißt, weil damit das Recht nicht nur im Einzelfall gebrochen wird, sondern eine Umwertung von dem vorgenommen wird, was überhaupt Recht ist.

Bei einem Straftäter kann ich auf Reue und Umkehr hoffen, beim Beamten, dem zugesichert wird, er handle bei der Misshandlung von Menschen recht, nicht.

7.

Wer die Folter für ein angestrebtes gutes Ziel rechtfertigt (etwa für die Rettung eines oder vieler Opfer), stellt den Zweck über die hierfür eingesetzten Mittel ("der Zweck heiligt die Mittel").

Bei diesem Denken gibt es dann keine absoluten Grenzen für die eingesetzten Mittel, sondern nur noch den Maßstab der Verhältnismäßigkeit: Je gewichtiger der Zweck, desto schlimmer dürfen die Mittel sein, dürfen auch Menschen als Mittel zum Zweck (z.B. zur Wahrheitsfindung) gebraucht und durch die Folter auch verbraucht werden.

8.

Dem steht eine Ethik entgegen, die nicht am Zweck, d.h. am angestrebten Erfolg, sondern an den eingesetzten Mitteln orientiert ist.

Der Erfolg gibt nicht Recht. Er sagt lediglich etwas über die Macht aus. Wer aber die größere Macht hat, muss nicht Recht haben.

Orientierung für das Recht ist vielmehr die für das Leben aller Menschen gemeinsame Grundlage: Die Achtung vor ihrem Leben, d.h. vor ihrer Integrität und Würde als Mensch.

Deshalb begeht der Gewalttäter -wie wir alle wissen- Unrecht, wenn er Leben zugunsten anderer Interessen verletzt.

Deshalb handeln wir Recht, wenn wir solches nicht tun, sondern auch das Leben des Straftäters und seine Integrität achten.

Immanuel Kant drückte diese Haltung so aus: "Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst."

9.

Zum gesetzlichen Schutz des Folterverbots bedarf es nicht einer höheren Strafdrohung, sondern

a.) einer öffentlichen Meinung, die die Misshandlung von Menschen auch in Ausnahmefällen nicht billigt,

b.) beamtenrechtlicher Folgen: Wer eine festgenommene Person misshandelt oder ein solches Tun anordnet oder unterstützt, darf nicht länger Polizist sein und ist aus dem Dienst zu entfernen,

c.) der Zivilcourage innerhalb der Polizei, damit entsprechendes Handeln nicht "übersehen" und durch Falschaussagen gedeckt, sondern offen angesprochen und angezeigt wird,

d.) der strafprozessualen Folge, dass Aussagen, die entgegen dem Folterverbot erzwungen wurden, ungeachtet der Schwere der dem Verdächtigen vorgeworfenen Tat zur Einstellung des Strafverfahrens führen. Aussageerpressung darf sich für die Ermittlungsbehörden nicht "lohnen" (Nach bisheriger Rechtspraxis darf die erzwungene Aussage zwar gem.§ 136 a III StPO einer Verurteilung nicht direkt zu Grunde gelegt werden, wohl aber die aufgrund dieser Aussage weiter erlangten Erkenntnisse, Indizien, Zeugen etc.).

Veröffentlicht am

03. Mai 2008

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