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Kriegsverbrechen nicht mit Krieg bekämpfen

Stellungnahme des Bundes für Soziale Verteidigung zu den Ereignissen in Syrien

Der Bund für Soziale Verteidigung (BSV) warnt entschieden vor einer Militärintervention in Syrien. Der Einsatz von Giftgas ist ein Kriegsverbrechen, egal von welcher Seite er erfolgt ist. Aber Kriegsverbrechen mit Krieg zu bekämpfen hat nur eine vorhersehbare Folge: Noch mehr Tote, Verletzte, Obdachlose und Flüchtlinge. Der BSV fordert die deutsche Bundesregierung, die USA, die NATO und die Mitglieder der EU auf, auf jedes militärische Eingreifen zu verzichten. Stattdessen müssen bilaterale und internationale Verhandlungen mit allen Staaten geführt werden, die derzeit durch Waffenlieferungen oder Parteinahme den Konflikt eskalieren, mit dem Ziel, mit diesen gemeinsam ein Ende der Gewalt zu fordern und den Waffennachschub zu unterbinden.

Damit kann ein Raum geschaffen werden, in dem oppositionelle Kräfte und VertreterInnen der derzeitigen syrischen Regierung über die Zukunft ihres Landes verhandeln können. Ein begrenzter Schlag gegen syrische Militäreinrichtungen, quasi als Strafaktion der USA und ohne die Erwartung, dass sich damit an dem Krieg in dem Land etwas entscheidend ändert, wie er jetzt anscheinend überlegt wirdZum Beispiel siehe: http://www.spiegel.de/politik/ausland/militaerschlag-gegen-syrien-obama-setzt-auf-tomahawks-a-918752.html ., würde stattdessen die Fronten zwischen dem Westen und den Unterstützern des Assad-Regimes verhärten und die Unterstützung einer friedlichen Lösung von außen unmöglich machen.

Am vergangenen Mittwoch (20.8.13) wurden zwischen 90 und 1.300 Menschen in der Region Ghuta nahe Damaskus getötet; Fotos und Filmaufnahmen zeigten äußerlich unverletzte Tote und Menschen in Krankenhäusern, die mit dem Erstickungstod zu kämpfen schienen. Ärzte ohne Grenzen spricht von 3.600 Menschen, die mit Vergiftungen in Krankenhäusern in Damaskus behandelt werden. http://www.msf.org/article/syria-thousands-suffering-neurotoxic-symptoms-treated-hospitals-supported-msf . Die Reaktionen in Syrien selbst folgten dem traurigen, inzwischen bekannten Ritual der gegenseitigen Beschuldigungen: Rebellenorganisationen sprechen von einem Giftgasangriff durch die Regierung in der Nacht zum Mittwoch. Die Regierung bestreitet einerseits, dass es sich um Giftgas gehandelt habe, behauptet aber andererseits auch, dass die Rebellen für dessen Einsatz verantwortlich seien, und führt angeblich beschlagnahmte Fässer mit giftigen Substanzen der Presse vor. Auf Facebook soll kurzfristig am Mittwoch eine Meldung gepostet worden sein, in der sich Anhänger des Regimes zu dem Angriff mit Giftgas bekannten. http://www.spiegel.de/politik/ausland/aktivisten-in-syrien-neuer-giftgasangriff-von-assads-armee-a-917699-druck.html . Und dass Syrien über Giftgas verfügt und es auch schon eingesetzt hat, wird eigentlich von keinem seriösen Beobachter bestritten. Und in einer saudischen Zeitung wird behauptet, dass eine syrische Eliteeinheit gegen den Willen ihres Kommandanten Giftgas entwendet und zum Einsatz gebracht habe. http://www.taz.de/Debatte-Buergerkrieg-in-Syrien/!122490/ .

Andererseits kann gefragt werden, wie dumm die Regierung Assad sein muss, um solch einen Angriff genau in dem Zeitpunkt zu fliegen, wo UN-Inspektoren zur Überprüfung der Vorwürfe früherer Giftgaseinsätze im Land waren? Die Rebellen fordern seit Beginn des Bürgerkrieges eine internationale Militärintervention, und obschon sie inzwischen die Hoffnung auf ein solches Eingreifen weitgehend aufgegeben haben schienen: Der Krieg lief die letzten Monate nicht gut für sie, und ein militärischer Sieg scheint in weiter Ferne. Es hat auch in der Vergangenheit schon viele Fälle gegeben, wo in einem Krieg eine Seite einen Angriff auf sich selbst vortäuschten oder Zivilbevölkerung zum Ziel nahmen, um entweder einen Grund zu haben, in den Krieg zu ziehen oder eine dritte Seite zum militärischen Eingreifen zu bewegen. Die bekanntesten Beispiele für die erste Variante sind von Deutschland inszenierte Angriff auf den Sender in Gleiwitz an der polnischen Grenze 1939 und die von den USA vorgetäuschte Attacke auf ein US-Kriegsschiff im Golf von Tonkin vor Vietnam 1964, was den USA den Vorwand lieferte, Nordvietnam anzugreifen. Beispiele für das zweite wurden in den Konflikten in Bosnien-Herzegowina zwischen 1992 und 95 (Beschuss des Marktes in Sarajevo) und im Kosovo (Massaker von Racak) vor dem. Eingreifen der NATO 1998-99 zumindest vermutet, wenngleich nicht ohne jeden Zweifel belegt. Natürlich gibt es auch noch weitere mögliche Erklärungen, etwa dass aus Versehen (oder Absicht) eine Pestizidfabrik oder ein Giftgaslager der Regierung getroffen wurde.

Wie man sieht: Spekulationen bezüglich der Urheberschaft des Giftgasangriffes (sofern dieser nachgewiesen werden kann, was man allerdings wohl erwarten darf) können viele aufgestellt werden. Was die Wahrheit ist, ist nicht bekannt. Und selbst wenn die Untersuchungen der UN-Inspektoren zweifelsfrei nachweisen, dass es sich um Giftgas handelte, ist damit noch nicht gesagt, von welcher Seite es eingesetzt wurde. Dass die USA jetzt anscheinend zu handeln beabsichtigen, ohne auch nur das Ergebnis der Untersuchungen abzuwarten, drückt nur einmal wieder die Verachtung aus, die diese Supermacht für die Vereinten Nationen übrig haben.

Weder die USA noch die EU hatten bislang ein echtes Interesse gezeigt, in Syrien einzugreifen. Sonst hätten sie das schon längst getan - die "rote Linie", die die USA bei dem Einsatz von Giftgas zu ziehen behaupteten, war bekanntlich schon vor Monaten überschritten. Und auch jetzt kündigte Obama zunächst lediglich ‚eine gründliche Prüfung der Vorwürfe und aller Optionen’ anTagesschau, 25.8.2013., um dann durch seinen Außenminister mit martialischen Worten einen begrenzten Militärschlag ankündigen zu lassen. http://www.washingtonpost.com/world/national-security/kerry-obama-determined-to-hold-syria-accountable-for-using-chemicalweapons/2013/08/26/599450c2-0e70-11e3-8cdd-bcdc09410972_print.html . In Europa schien es bis vor kurzem bestenfalls Frankreich zu sein, das Appetit auf einen solchen Krieg zu verspüren schien und schon des Öfteren mit Gewaltanwendung gedroht hat. http://www.bbc.co.uk/news/world-middle-east-23795088?print=true .

Wir haben aber auch schon damals anlässlich des Beschlusses der EU im Mai 2013, das Waffenembargo aufzuheben, darauf hingewiesen, dass es zwei mögliche Szenarien gebe, unter dem ein solches militärisches Eingreifen doch denkbar sei: "Das erste ist, dass … der öffentliche Druck so stark wird, dass sich die Politik zum Handeln gezwungen fühlt. In den Medien in vielen westlichen Ländern wird inzwischen vehement für eine Militärintervention plädiert; obschon dies - noch - kein großes Echo in der breiteren Bevölkerung zu wecken scheint. Das könnte sich ändern, falls z.B. große Massaker, u.U. unter unzweifelhaftem Einsatz von Giftgas durch die Regierung Assad, passieren.Der Mainzer Orientforscher Prof. Günter Meyer sprach im Mai von einer "Strategie des Massaker-Marketings", die die Aufständischen betreiben würden. (Syrien-Experte: "Giftgas-Einsatz nützt Aufständischen", schwäbische.de, 01.05.2013, http://www.schwaebische.de , [Zugriff: 12.05.2013]. Das zweite mögliche Szenario wäre eine weitere Eskalation vor Ort, besonders, falls Nachbarländer Syriens in den Konflikt mit hineingezogen werden, oder Israel attackiert wird, so dass aus Sicht der militärgestützten Realpolitik eine Intervention als das kleinere Übel erscheint."BSV: Syrien braucht ehrliche Makler, nicht noch mehr Waffen, 28.5.2013. Was sich im Moment abzuzeichnen scheint, ist das erste Szenario mit einigen Elementen des zweiten, da die von Syrien unterstützte Hisbollah im Libanon in letzter Zeit wieder Israel angegriffen hat.

Jetzt kann eine Militärintervention des Westens nicht mehr ausgeschlossen werden. Nach den heutigen Nachrichten scheint es, als ob die USA es bevorzugen werden, im Alleingang zu handeln und anstelle einer größeren Intervention einen kurzen gezielten Angriff aus der Luft auf Militäreinrichtungen des Assad-Regimes (unter Aussparung der Chemiewaffendepots) zu unternehmen. Früher nannte man so etwas "Strafexpedition". Ihre Präsenz im östlichen Mittelmeer haben sie bereits verstärkt. Militärisch würde dies an dem Bürgerkrieg in Syrien kaum etwas ändern. Aber der Angriff würde stattdessen die Fronten zwischen dem Westen und den Unterstützern des Assad-Regimes (Russland, China, Iran) verhärten und die Unterstützung einer friedlichen Lösung von außen unmöglich machen. Allerdings kann auch eine weitergehende Intervention nicht ausgeschlossen werden: VertreterInnen Frankreichs, Großbritanniens und der Türkei sprechen öffentlich darüber, militärisch und außerhalb der Vereinten Nationen zu handeln, da man davon ausgeht, dass der Sicherheitsrat einem militärischen Eingreifen nicht zustimmen dürfte. Derzeit finden Beratungen dieser Länder und der USA in Jordanien statt. http://www.bbc.co.uk/news/world-middle-east-23838900?print=true . Falls es zu einer solchen Militärintervention kommt, dann würde es auch aller Wahrscheinlichkeit nach in Form von Luftangriffen geschehen - den Einsatz von Bodentruppen scheinen alle Seiten auszuschließen. Die Parallele zum Kosovokrieg 1999 ist offensichtlich - auch damals stimmte der UN-Sicherheitsrat einem Eingreifen nicht zu, kämpften einheimische Rebellen auf dem Boden und die NATO flog Luftangriffe gegen militärische Stellungen Serbiens.

Wir warnen entschieden vor einem solchen militärischen Eingreifen. Der Einsatz von Giftgas ist ein Kriegsverbrechen, egal von welcher Seite er erfolgt ist. Aber Kriegsverbrechen mit Krieg zu bekämpfen hat nur eine vorhersehbare Folge: Noch mehr Tote, Verletzte, Obdachlose und Flüchtlinge. Im Falle Kosovos war es nicht der NATO zu verdanken, dass es letztlich nicht zu den gefürchteten genozidalen Angriffen Belgrads kam - verhindern hätte sie sie nicht können. In Syrien kommt noch dazu, dass es dort nicht mehr nur eine bewaffnete Rebellengruppe und eine funktionierende politische Führung gibt, sondern eine Unzahl von - vielfach aus dem Ausland gesteuerten - Gruppen mit sehr unterschiedlichen Agenden. Teilweise haben sie schon angefangen, sich gegenseitig zu bekämpfen. Sofern eine "Koalition der Willigen", wie es im Falle des (ebenfalls nicht von den Vereinten Nationen sanktionierten) Irakkriegs 2003 genannt wurde, Syrien aus der Luft angreift - was kommt danach? Die Chancen, dass aus den Trümmern eine gemeinsame Zukunft für alle SyrerInnen aufgebaut werden kann, sind klein und werden mit jeder Woche kleiner. Und wie soll ein solcher Angriff verhindern, dass erneut Giftgas eingesetzt wird? Giftgas benötigt keine Raketenbasen, die man aus der Luft zerstören kann, ja nicht einmal Flugzeuge - im 1. Weltkrieg wurde es schlicht mit Granaten verschossen. Und was passiert, wenn ein Giftgaslager von einer Bombe getroffen wird? Man muss keine Militärspezialistin sein, um sich auszumalen, wie leicht giftige Chemikalien durch eine Explosion und einen Brand freigesetzt werden - Unfälle in der zivilen Chemieindustrie legen dafür beredt Zeugnis ab.

Quelle:  Bund für Soziale Verteidigung (BSV) - Pressemitteilung vom 27.08.2013.

Fußnoten

Veröffentlicht am

27. August 2013

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