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Gewaltfreie Bewegungen und ihre Jahres- und Geburtstage: “Marsch auf Washington” - “Prominentenblockade” - “Menschenkette” - Andreas Buro

Von Michael Schmid (dieser Beitrag erscheint ebenfalls in: Lebenshaus Schwäbische Alb, Rundbrief Nr. 78 vom Sept. 2013)

Daran zu erinnern, woher wir kommen, dass also gewaltfreie Bewegungen eine lange Geschichte haben, ist uns als Lebenshaus Schwäbische Alb ein wichtiges Anliegen. Natürlich sind auch einzelne Personen wichtig für solche Bewegungen. Deshalb möchte ich im Folgenden an den "Marsch auf Washington" der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung vor 50 Jahren, an die "Prominentenblockade" in Mutlangen und die Menschenkette von Stuttgart nach Neu-Ulm vor 30 Jahren und 85 Jahre Andreas Buro erinnern.

50 Jahre: "Marsch auf Washington" und Martin Luther Kings Rede "Ich habe einen Traum"

Vor 50 Jahren, am 28. August 1963, hat Martin Luther King, charismatischer und wortgewaltiger Führer der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, in Washington seine weltberühmt gewordene Rede "I have a dream" gehalten. Die Bürgerrechtsbewegung hatte am 22. August 1963 ihren historischen "Marsch auf Washington" zur Durchsetzung der Bürgerrechte gestartet. Unter Kings Führung erreichte dieser am 28. August 1963 die Hauptstadt. Aus allen Staaten der USA sind die Afroamerikaner gekommen und auch viele Weiße. Am Lincoln Memorial versammelten sich rund 250.000 Menschen, darunter 60.000 Weiße, zu einer großen Kundgebung. Joan Baez sang "We shall overcome" - "Wir werden es überwinden" - und machte den Song damit berühmt. Die Rede von Martin Luther King, dem jungen, mitreißenden Pfarrer aus Alabama, in welcher er seine Vision einer Gesellschaft ohne Rassenschranken ausbreitete, wurde zum Höhepunkt der 9-stündigen Veranstaltung. Damals im August 1963 lag so etwas wie Enthusiasmus in der Luft.

Doch King kämpfte nicht nur für ein Ende der Rassendiskriminierung. Seit Ende 1966 thematisierte er ständig den Zusammenhang von Rassismus, Armut und Krieg. Er wurde zum schärfsten Kritiker der Vietnampolitik seines Landes, rief zur Wehrdienstverweigerung und zum Zivilen Ungehorsam gegen Bundesgesetze auf und attackierte die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich in Amerika. Am Abend des 4. April 1968 wurde Martin Luther King auf dem Balkon seines Zimmers im "Lorraine"-Motel in Memphis durch einen gezielten Kopfschuss niedergestreckt. Ein Geschworenengericht stellte im Jahr 1999 fest, dass Martin Luther King einem Mordkomplott zum Opfer fiel, bei dem die amerikanische Regierung, das Militär, sowie FBI und CIA die Strippen zogen.

Seit 1986 wird jeweils der Montag nach Kings Geburtstag als offizieller Nationalfeiertag in den USA begangen. Ausgerechnet diesem ungeliebten und bis zum Tod bekämpften Vertreter eines anderen, eines auf Gewaltfreiheit ausgerichteten Amerika wird in einer sich als Weltpolizei verstehenden USA ein Feiertag gewidmet? Dies geht nur, indem King in seiner Radikalität entschärft und gebändigt wird. Vincent Harding, erster Direktor des King-Zentrums, meinte einst dazu, das ginge nur, indem der King von 1963 in einem Schrein verwahrt werde. "In gewisser Weise ist das für uns ein bequemeres Bild: der triumphierende King ‘Des Marsches auf Washington’. Aber dieser ziemlich geglättete nationale Held ist nicht der King der Rede ‘Jenseits von Vietnam’." In jener Rede vom 4. April 1967 in der New Yorker Riverside Church hatte King seine Regierung als "die größte Gewaltausüberin in der heutigen Welt" angeklagt.

Wenn wir also Kings Leben angemessen würdigen wollen, dann darf die große Herausforderung an uns nicht verharmlost werden - nämlich die nach einer gewaltfreien revolutionären Umgestaltung von gesellschaftlichen Verhältnissen, die Krieg und Armut beinhalten. Und so wie es King und die Bürgerrechtsbewegung waren, die durch ihre Aktionen die Verantwortlichen immer wieder zum Handeln zwangen, so müssen wir auch heute selber handeln, um Veränderungen bewirken zu können.

30 Jahre: "Prominentenblockade" in Mutlangen und "Menschenkette" von Stuttgart nach Neu-Ulm

Die gewaltfreien Aktionen, mit denen King und die Bürgerrechtsbewegung gegen Rassismus, Armut, Krieg und für eine "Revolution der Werte" in den westlichen Industrienationen kämpften, wurden auch zum Vorbild für Teile der bundesdeutsche Friedensbewegung in den 1980er Jahren. In ihrem Kampf gegen neue Atomraketen gab es verschiedene Höhepunkte. Zweifelsfrei gehört eine weltweit Aufsehen erregende Aktion vor 30 Jahren dazu: Vom 1.-3. September 1983 wurden die Einfahrtstore zum US-Airfield in Mutlangen blockiert, eines jener Depots, das für die Stationierung von neuen Pershing II-Atomraketen vorgesehen war. Rund 1.000 Menschen, die alle in Bezugsgruppen organisiert waren, nahmen daran teil. Darunter befanden sich bekannte Persönlichkeiten wie Heinrich Albertz, Heinrich Böll, Günter Grass, Dietmar Schönherr, Oskar Lafontaine und Erhard Eppler, Walter und Inge Jens, Petra Kelly und Gert Bastian. Insbesondere Klaus Vack, damals Sekretär des Komitees für Grundrechte und Demokratie und heute noch Mitglied beim Lebenshaus, hatte mit seinem organisatorischen Geschick dafür gesorgt, dass weit über 100 "Promis" an der Aktion teilnahmen, weshalb sie auch als "Prominentenblockade" in die Geschichtsbücher einging.

Da das Lager bereits vorher von allen Pershing IA-Raketen geräumt worden war, griff die Polizei nicht ein. Von Roman Herzog, dem damaligen Innenminister von Baden-Württemberg, ist der Ausspruch überliefert: "Ich werde der Weltpresse doch nicht das Schauspiel bieten, den Nobelpreisträger Böll von deutschen Polizisten von der Straße tragen zu lassen." Hubschrauber hielten die Verbindung zum Depot aufrecht.

Die Protestform der direkten gewaltfreien Aktion und des Zivilen Ungehorsams gegen Umweltzerstörung und Massenvernichtungsmittel in der Bundesrepublik hatte erst eine recht junge Geschichte. Die Mutlanger "Prominentenblockade" machte nun die breite Akzeptanz deutlich, auf die diese gewaltfreie Aktionsform inzwischen stieß. Sie wurde zum massenhaften, gewaltfreien Zivilen Ungehorsam.

Eine weitere aufsehenerregende Aktion, um gegen die geplante Stationierung neuer Atomraketen zu demonstrieren, war die 108 Kilometer lange Menschenkette zwischen Stuttgart und Neu-Ulm mit 400.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer am 22. Oktober 1983. Die Idee dazu hatte der Karlsruher Ulli Thiel von der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), der auch Mitglied von Lebenshaus Schwäbische Alb ist. Gerade dem baden-württembergischen Landesverband der DFG-VK kommt ein großes Verdienst zu, dass diese herausragende Aktion, die auch eine organisatorische Meisterleistung darstellte, damals so eindrucksvoll gelang.

Trotz dieser und weiterer beeindruckender Aktionen der Friedensbewegung im Herbst 1983 billigte der Deutsche Bundestag am 22.11.1983 den sogenannten NATO-Doppelbeschluss und genehmigte die Stationierung von Pershing II-Raketen und Cruise Missiles. Nur wenige Tage später, nämlich am 25. November 1983, trafen die ersten Atomraketen in Mutlangen ein.

Die Stationierung von Pershing II-Raketen wurde von einem großen Teil der zuvor engagierten Menschen als eine Niederlage der Hauptforderung der Friedensbewegung angesehen, die zu vielfacher Resignation führte. Dennoch gab es in den Jahren zwischen 1983 und 1987 vielfache Aktionen des gewaltfreien Zivilen Ungehorsams gegen die Atomraketen. Diese wurde schließlich wieder abgezogen und verschrottet. Dass die Friedensbewegung an diesem Erfolg und an der Überwindung der Ost-West-Konfrontation maßgeblich beteiligt war, hat unter anderem Georgi Arbatow, ehemaliger Nordamerika-Experte des Kreml und Gorbatschow-Berater, betont.

85 Jahre: Andreas Buro

Eng mit der Geschichte der Friedensbewegung und den sozialen Bewegungen der Bundesrepublik verbunden ist das Leben von Prof. Dr. Andreas Buro, dem wir am 15. August zu seinem 85. Geburtstag gratulieren durften. Andreas Buro wurde 1928 in Berlin geboren. Den Bomben der Alliierten sollte er auf der Ritterakademie in Brandenburg entgehen. 1944 folgten für den Jugendlichen Einberufung und Kriegseinsatz. Ab Ende der 1950er Jahre engagierte sich Andreas Buro in der Internationale der Kriegsdienstgegner und wurde Mitbegründer der Ostermarschbewegung, sowie der Kampagne für Demokratie und Abrüstung, des Sozialistischen Büros, des Komitees für Grundrechte und Demokratie und der Deutschen Sektion der "Helsinki Citizens Assembly". Heute ist er immer noch unter anderem als friedenspolitischer Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie aktiv und als Koordinator des Dialogkreises zum türkisch-kurdischen Konflikt.

Fast sein ganzes Leben lang hat Andreas Buro für die Friedensbewegung und andere soziale Bewegungen enorm Wichtiges geleistet: als jemand, der unermüdlich und unverzagt auf emanzipatorische Bewegungen von unten setzt und sich unentwegt in solchen engagiert; als jemand, der scharfsinnig die jeweilige politische und gesellschaftliche Situation analysiert und daraus Aufgaben für die sozialen Bewegungen ableitet; der der Gewalt eine entschiedene Absage erteilt, auf Gewaltfreiheit setzt und Zivile Konfliktbearbeitung als Alternative zu militärischen "Lösungen" vertritt und methodisch ausarbeitet; als Ermutiger auch in schwierigeren Zeiten. Ohne ihn wäre unsere Gesellschaft wahrlich um Vieles ärmer! 2008 wurde sein Engagement mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet und 2013 mit dem Göttinger Friedenspreis.

Ausführlich nachlesen lässt sich in seiner Autobiographie "Gewaltlos gegen Krieg. Lebenserinnerungen eines streitbaren Pazifisten" (Frankfurt am Main: Brandes & Apsel Verlag 2011. 325 Seiten), wie Andreas Buro zu seiner Lebensaufgabe fand, Frieden zu fördern und Krieg zu überwinden in einem spannungsreichen, oft riskanten und doch erfüllten Leben.

Zahlreiche Artikel zu allen hier angesprochenen Ereignissen und Personen finden sich hier:

 

Veröffentlicht am

27. August 2013

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