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Noam Chomsky: Die USA haben den Iran 60 Jahre lang - seit dem vom CIA geführten Umsturz 1953 - “gefoltert”

Von Noam Chomsky, 11.09.2013 - Democracy Now!

In diesem exklusiv im Internet verbreiteten Interview spricht der Emeritus vom MIT (Massachusetts Institute of Technology) Professor Noam Chomsky über die Beziehungen zwischen den USA und dem Iran seit dem Umsturz von 1953, der vom CIA organisiert worden war. "Die wichtigste Tatsache über den Iran, das, wobei wir anfangen sollten, ist, dass seit 60 Jahren kein Tag vergangen ist, an dem die USA die Iraner nicht gefoltert haben", sagt Chomsky. "Es hat mit einem Militärputsch begonnen, durch den 1953 die parlamentarische Regierung gestürzt wurde."

Amy GoodmanAmy Goodman (* 13. April 1957 in Bay Shore, New York) ist eine US-amerikanische Journalistin, Buchautorin und Fernsehmoderatorin. Bekanntheit erlangte sie durch die von Pacifica Radio WBAI präsentierte tägliche Sendung Democracy Now!. Amy Goodman setzt sich vor allem für Demokratie und Menschenrechte ein sowie für die Unabhängigkeit der Medien. http://de.wikipedia.org/wiki/Amy_Goodman .:Ich bin Amy Goodman, bei mir ist Nermeen ShaikhNermeen Shaikh ist Sendeleiterin von Radionachrichten und wöchentlich einmal Mit-Gastgeberin bei Democracy Now!, zuvor war sie Chefredakteurin in Asia Society. Sie hat Hunderte von Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Außenpolitik, Wirtschaft und den Künsten interviewt. Autorin von The Present as History: Critical Perspectives on Global Power, Columbia University Press. http://www.democracynow.org/about/staff .. Unser Gast ist Noam Chomsky. Noam, bitte sprechen Sie jetzt über den Iran und was der Konflikt in Syrien für den Iran bedeutet und darüber, was die USA im Großen und Ganzen tun könnten, um das Kräftespiel im Nahen Osten zu verändern!

Noam Chomsky: Die wichtigste Tatsache über den Iran, das, wobei wir anfangen sollten, ist, dass seit 60 Jahren kein Tag vergangen ist, an dem die USA die Iraner nicht gefoltert haben. Es sind jetzt genau 60 Jahre. Es hat mit einem Militärputsch begonnen, durch den 1953 die parlamentarische Regierung gestürzt und der brutale Diktator, der Schah, eingesetzt wurde. Amnesty International nannte ihn Jahr für Jahr als einen der schlimmsten, der extremsten Folterer in der Welt. Als er 1979 gestürzt wurde, wandten sich die USA fast unmittelbar der Unterstützung Saddam Husseins in seinem Angriff auf den Iran zu. Dabei wurden Hunderttausende Iraner durch den umfassenden Einsatz von Chemiewaffen getötet. Natürlich griff Saddam zur selben Zeit seine kurdische Bevölkerung mit furchtbaren Chemiewaffen an. Die USA unterstützten das alles. Die Reagan-Regierung versuchte sogar und hatte damit Erfolg, zu verhindern, dass der Irak dafür getadelt wurde. Im Wesentlichen waren es die Vereinigten Staaten, die durch ihre Unterstützung des Irak den Krieg gegen den Iran gewonnen haben. Saddam Hussein war ein Liebling der Regierungen Reagans und des ersten Bush, und zwar so sehr, dass George H.W. Bush, der erste Bush, gleich nach dem Krieg 1989 irakische Atom-Ingenieure zu einer Fortgeschrittenen-Ausbildung in der Produktion von Kernwaffen in die Vereinigten Staaten einlud. Dieses Land hat den Iran durch entsetzliche Angriffe und Krieg verwüstet. Gleich darauf wurde der Iran brutalen Sanktionen unterworfen. Und das geht bis zu diesem Augenblick so weiter. Wir halten jetzt also einen 60-jährigen Rekord der Folter von Iranern. Wir schenken dem keine Aufmerksamkeit, aber ganz gewiss hat die andere Seite gute Gründe, dem Aufmerksamkeit zuzuwenden. Das ist Punkt eins.

Warum dieser Anschlag auf den Iran? Wir stoßen hier wieder auf das Mafia-Prinzip. 1979 führten die Iraner eine "illegitime" Handlung aus: Sie stürzten einen Tyrannen, den die Vereinigten Staaten eingesetzt und unterstützt hatten, und beschritten einen Pfad der Unabhängigkeit, anstatt die Befehle der USA auszuführen. Das widerspricht der Mafia-Doktrin, nach der die Welt ziemlich stark regiert wird. Die "Glaubwürdigkeit" muss aufrechterhalten werden. Der Pate kann Unabhängigkeit und erfolgreichen offenen Ungehorsam nicht zulassen wie im Fall Kuba. Dafür muss der Iran bestraft werden.

Die gegenwärtige Ausrede ist, dass der Iran ein Kernwaffenprogramm hätte. Also, die New York Times berichtet, dass der Iran Kernwaffen entwickelt, andererseits weiß der US-Geheimdienst nichts davon. Der sagt: Vielleicht gibt es so ein Programm. Wenn der Iran - so der US-Geheimdienst, seine regelmäßigen Berichte an den Kongress -, wenn also der Iran Kernwaffen entwickelte, gehörte das zu seiner Abschreckungsstrategie, das heißt, das gehörte zu seiner Strategie der Verteidigung gegen Angriffe von außen. Der US-Geheimdienst weist darauf hin, dass der Iran wenig geeignet sei, Gewalt anzuwenden. Er hat niedrige Militärausgaben - sogar nach Maßstäben der Region -, aber er hat eine Abschreckungsstrategie - und zwar aus gutem Grund. Er ist von Atom-Mächten umgeben, die von den Vereinigten Staaten unterstützt werden, und die sich geweigert haben, den Atomwaffensperrvertrag zu unterzeichnen, und zwar alle drei. Israel, Indien und Pakistan haben mit Hilfe der USA Kernwaffen entwickelt. Indien und Israel werden weiterhin von den USA in ihrem Kernwaffenprogramm und anderen Programmen wesentlich unterstützt. Eines dieser Programme ist die Besetzung eines Teils Syriens, womit die Anordnungen des Sicherheitsrates verletzt werden. Und der Iran wird ständig bedroht. Die Vereinigten Staaten und Israel, zwei große Atommächte - ich meine: eine ist eine [Welt-]Supermacht und die andere eine regionale Supermacht - drohen ständig, den Iran anzugreifen, sie drohen täglich, den Iran anzugreifen. Auch das ist eine Verletzung der UN-Charta, die sowohl Gewalt als auch Gewaltandrohung verbietet. Aber die USA nimmt sich selbst von der Herrschaft des internationalen Gesetzes aus und seine Kunden erben dieses Recht. Der Iran steht also unter ständiger Bedrohung. Er ist von feindlichen Atom-Staaten umgeben. Vielleicht entwickelt er eine Fähigkeit zur Abschreckung. Wir wissen es nicht. Die New York Times weiß es, aber der Geheimdienst weiß es nicht. Das ist die Ausrede.

Kann man da irgendetwas machen? Und wir mögen uns fragen, wer - die Vereinigten Staaten betrachten den Iran als das, was sie "die schwerste Bedrohung für den Weltfrieden" nennen. So jedenfalls der Pressebericht nach der Präsidentendebatte, der endgültigen Präsidentendebatte über Außenpolitik, und damit wird recht genau der Konsens beschrieben, die Vereinbarung zwischen Obama und Romney, über die Bedrohungen im Nahen Osten: Iran ist die größte Bedrohung für den Weltfrieden, die größte Bedrohung in der Region, wegen seines Atomprogramms. Das ist die Position der USA. Wie ist die Position der Welt? Das ist leicht herauszufinden. Die meisten Länder der Welt gehören zur Bewegung der blockfreien Staaten. Diese hielten tatsächlich ihre turnusmäßige Versammlung in Teheran im Iran ab. Und wieder haben sie das Recht des Iran, Uran anzureichern, kräftig unterstützt - kräftig unterstützt -, als Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrags, zu denen der Iran im Gegensatz zu Israel und Indien gehört. Das ist die Position der Bewegung der blockfreien Länder.

Wie steht es nun mit der arabischen Welt? In der arabischen Welt ist der Iran unbeliebt, sie mögen ihn überhaupt nicht. Die Spannungen gehen viele Jahrhunderte zurück. Aber er wird nicht als Bedrohung empfunden. Sie mögen ihn nicht, aber sie betrachten ihn nicht als Bedrohung. Ein sehr kleiner Prozentsatz der arabischen Welt betrachtet den Iran als Bedrohung, ganz zu schweigen [davon, dass sie ihn] als die ernsteste Bedrohung des Weltfriedens [betrachten]. In der arabischen Welt nehmen sie durchaus Bedrohungen, ernste Bedrohungen wahr: die Vereinigten Staaten und Israel. Das zeigt sich in einer Umfrage nach der anderen, und zwar in Umfragen, die führende westliche Umfrageinstitute durchführen. Berichtet wird, dass die Araber die Vereinigten Staaten hinsichtlich des Iran unterstützen. Aber dabei geht es nicht um die arabischen Bevölkerungen, die als unwichtig betrachtet werden, sondern um die Diktatoren. Eine der extremsten Diktaturen und, vom Standpunkt der USA aus, die wichtigste, ist Saudi-Arabien. Saudi-Arabien ist der extremste fundamentalistische Staat der Welt. Es ist auch ein Missions-Staat. Seit vielen Jahren unternimmt das Land riesige Anstrengungen, seine wahhabisch-salafistische http://de.wikipedia.org/wiki/Wahhabiten . Version des Islam zu verbreiten, und das alles mit der Unterstützung der USA. Es ist eine Diktatur, dort gibt es keinen Arabischen Frühling. Und die Diktatoren dort und in anderen arabischen Emiraten unterstützen wahrscheinlich die USA-Politik dem Iran gegenüber. Und es genügt den USA und den Medien und Kommentatoren in den USA, dass uns die Diktatoren unterstützen. Es spielt keine Rolle, was die Bevölkerung denkt. So ist es also in der arabischen Welt. Und dasselbe trifft auf die übrige Welt zu. Die Besessenheit vom Iran ist eine Besessenheit der USA, vielleicht strahlt sie auch auf einige ihrer Verbündeten aus.

Die letztgültige Frage zum Iran ist: Was kann man angesichts der angeblichen Bedrohung tun? Also, es gibt Dinge, die man tun kann. Es gab zum Beispiel 2010 eine Resolution zum iranischen Atomprogramm. Es gab ein Abkommen zwischen dem Iran, der Türkei und Brasilien, dass der Iran seine - und zwar alle - Uran-Ressourcen zur Aufbewahrung in ein anderes Land, in die Türkei, schicken sollte. Der Iran würde in Zukunft kein Uran - entwickeln - anreichern. Im Gegenzug würde der Westen den Iran mit Isotopen versehen, die er für seine Atom- , seine medizinischen, Reaktoren brauchte. Gut, das war ein Handel. Sobald dieser Handel bekannt wurde, verdammten ihn Präsident Obama, die Presse und der Kongress vollkommen - besonders Brasilien und auch die Türkei wurden dafür verurteilt, dass sie dem zugestimmt hatten. Und Obama stürzte sich schnell auf noch härtere Sanktionen. Der brasilianische Außenminister war recht irritiert und er übergab der Presse einen Brief von Präsident Obama, in dem dieser Brasilien genau dieses Programm vorgeschlagen hatte. Er hatte es offenbar vorgeschlagen, weil er angenommen hatte, der Iran würde es nicht akzeptieren, und dann hätte er einen weiteren Propagandapunkt. Aber der Iran akzeptierte tatsächlich. Also mussten Brasilien und die Türkei deshalb verdammt werden, weil sie die Politik hatten umsetzen wollen, die Obama vorgeschlagen hatte. Dieses Programm könnte wiederhergestellt werden oder vielleicht eine Variante davon. Das wäre eine Möglichkeit, sich dem Problem zu nähern.

Es gibt einen viel breiteren Weg. Seit Jahren, seit 1974 -

Amy Goodman: Noam, wir haben noch zwei Minuten.

Noam Chomsky: Ja. Seit 1974 gibt es den Vorschlag, in der Region eine kernwaffenfreie Zone einzurichten. Das wäre der beste Weg, die - wie auch immer beschaffene - angebliche Bedrohung durch den Iran zu mildern oder vielleicht zu beenden. Diese Lösung wird international stark unterstützt. Die Unterstützung war so stark, dass die USA gezwungen waren, formell zuzustimmen, sie fügten jedoch hinzu, dass das nicht möglich sei. Das ist gerade jetzt ein sehr lebendiger Punkt. Im letzten Dezember sollte in Helsinki in Finnland eine Konferenz stattfinden, eine internationale Konferenz, die diesen Vorschlag vorantreiben sollte. Israel kündigte an, es werde nicht daran teilnehmen. Der Iran kündigte Anfang November an, dass er, ohne Bedingungen zu stellen, an der Konferenz teilnehmen werde. Als es so weit war, sagte Obama die Konferenz ab, also keine Helsinki-Konferenz. Als Grund dafür gaben die USA fast wörtlich denselben Grund wie die Israelis an: Wir können kein Abkommen über Atomwaffen schließen, ehe es einen allgemeinen regionalen Friedensschluss gibt. Und den wird es nicht geben, solange die USA weiterhin eine diplomatische Abmachung in Israel-Palästina blockieren, wie sie es seit 35 Jahren tun. An diesem Punkt stehen wir jetzt.

Amy Goodman: Noam, wir danken Ihnen dafür, dass Sie uns Ihre Zeit an diesem sehr bedeutsamen Tag, dem 11. September, gewidmet haben. Es gab einige 11. September - natürlich den Schrecken vom 11. September 2001 vor 12 Jahren und den 11. September 1973 in Chile, worauf Noam Chomsky hingewiesen hat und über die wir in den letzten Tagen und Jahren Sendungen gemacht haben. Sie können das auf unserer Website sehen: unsere besondere Seite über den 40. Jahrestag des Coups gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Salvador Allende. 1973 Chilean Coup .

Noam Chomsky, weltbekannter politischer Dissident, Linguist und Autor. Er ist Emeritus vom MIT (Massachusetts Institute of Technology ), an dem er länger als 50 Jahre gelehrt hat.

 

Aus dem Englischen von Ingrid von Heiseler

Quelle:  Democracy Now! vom 11.09.2013. Originalartikel:  Noam Chomsky: U.S. Has Been "Torturing" Iran for 60 Years, Since 1953 CIA-Led Coup .

Fußnoten

Veröffentlicht am

19. September 2013

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