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Leonardo Boff: Eine Herrschaft von der schlimmsten Sorte: die der Geschäftsleute

Von Leonardo Boff

Wir haben uns bereits zuvor mit dem Reich der multinationalen Konzerne befasst, die den ökonomischen Fluss steuern und dadurch andere Aspekte der globalen Gesellschaft. Dieses perverse Reich konnte errichtet werden, weil es keine globale Regierung gibt, derer wir von Tag zu Tag dringender bedürfen. Es gibt Probleme, die den Frieden betreffen, die Welternährung, das Wasser, den Klimawandel, die Migration von Völkern etc. Da diese Probleme global sind, bedürfen sie globaler Lösungen. Doch der Egoismus und der Individualismus der Großmächte verhindern eine solche Weltregierung.

Die Errichtung einer Weltregierung setzt voraus, dass jedes Land ein bisschen von seiner Souveränität aufgibt, um einen kollektiven und pluralistischen Raum zu schaffen, in dem die Lösungen für die globalen Probleme global gesucht werden können. Doch keine Regierung möchte auch nur auf ein Stückchen ihrer Macht verzichten, obwohl sich die Probleme verschärfen, insbesondere solche, die mit den physikalischen Begrenzungen der Erde zu tun haben, die sich für uns alle in Form von extremen Naturereignisse negativ auswirken können.
Nebenbei erwähnt gibt es eine bedauerliche Blindheit unter der Mehrheit der Ökonomen. In ihren Debatten - beispielsweise im wöchentlichen Programm Globonews Pinel - wird der Ökonomie eine bevorzugte Stellung eingeräumt. Doch bisher habe ich keinen einzigen Diskussionsteilnehmer in seinen Analysen von den Grenzen der Erneuerbarkeit des Lebenssystems und des Erdsystems, welche die Reproduktion des Kapitals verhindern, reden hören. Sie halten an ihrem langweiligen wirtschaftlichen Diskurs des alten Paradigmas fest, als wäre die Erde eine unerschöpfliche Schatztruhe an Ressourcen und als ließe sich die Wirtschaftskraft am Bruttosozialprodukt messen, gleich einem Kapitel aus Mathematik und Statistik. Es mangelt ihnen am Denken. Ihnen ist nicht bewusst, dass wir unsere schon schlechte Situation nur noch verschlimmern, wenn wir weiterhin besessen sind von der Vorstellung eines unbegrenzten materiellen Wachstums und wenn wir nicht nach sozialer Gleichheit und Ausgeglichenheit streben.

An dieser Stelle wollen wir einen weiteren Aspekt des perversen Reichs der multinationalen Großkonzerne berühren, der sich als noch dreister erweist. Es handelt sich um das Streben nach einem multilateralen Investmentvertrag. Fast alles wird hinter verschlossenen Türen verhandelt. Doch sobald etwas von diesem Vertrag ans Tageslicht gerät, zieht er sich wieder zurück, um gleich wieder unter einem anderen Namen aufzutauchen. Es geht darum, ein Freihandelsabkommen zwischen den Staaten und den Großkonzernen zu treffen. Die infrage stehenden Begriffe wurden bereits von Lori Wallach, dem Herausgeber von Public Citizen’s Global Trade Watch, im Le Monde Diplomatique Brasilien vom November 2013 ausführlich vorgestellt.

Diese Konzerne streben danach, ihren Hunger auf Anhäufung besonders in den relativ schwach entwickelten Bereichen der armen Länder zu stillen: die sanitäre Infrastruktur, die Krankenversicherung, Ausbildungsschulen, Rohstoffe, öffentliche Einrichtungen, Urheberrechte und Patente. In den Verträgen wird von der Schwäche der entsprechenden Länder profitiert und es werden räuberische Bedingungen erzwungen. Da die Konzerne multinational sind, fühlen sie sich nicht an die nationalen Normen gebunden in Bezug auf Gesundheit, Umweltschutz oder Steuerrecht. Wenn sie einschätzen, dass aufgrund dieser Normen ihr gewünschter Profit nicht gewährleistet werden kann, können sie vor Gericht erreichen, dass der Staat (das Volk) ihnen eine Entschädigung zu zahlen hat, die die Höhe von mehreren Milliarden Dollar oder Euro erreichen kann.

Diese Konzerne gehen mit der Erde um, als gehöre sie niemandem, wie im alten Kolonialismus, und erreichen vor den Gerichten, dass sie sich Grundstücke aneignen können sowie Wasserquellen, Seen und andere Naturgüter. Wallach kommentiert: "Sie haben gegenüber dem Staat keine Verpflichtungen und können ihre Projekte starten, wann und wo immer es ihnen günstig erscheint." (S. 5). Ein typisches und lächerliches Beispiel dafür ist der Fall des schwedischen Energielieferanten Vattenfall, der von Deutschland mehrere Milliarden Euro für seine Energiewende verlangt, mit der Deutschland sich von der Kernenergie abgewandt hat und künftig die Kohlekraftwerke strenger kontrollieren will. Themen wie Umweltverschmutzung, Verringerung der Erderwärmung und Bewahrung der Biodiversität des Planeten sind für diese Raubtiere, denen es nur um den Profit geht, leere Worte.

Die kommerzielle Schande hat ein solches Niveau erreicht, dass Staaten, die diese Art von Vertrag unterzeichnen, "sich selbst verpflichten, nicht nur ihre öffentlichen Dienste unter die Logik des Marktes zu stellen, sondern auch auf jegliche Kontrolle über die ausländischen Dienstleister, die ihre Märkte begehren, zu verzichten" (S. 6). Der Staat hätte dann nur noch einen minimalen Kontrollspielraum in Fragen von Energie, Gesundheit, Bildung, Wasser und Transport, was genau die Themen sind, für die im Juni 2013 Tausende von Demonstranten auf die Straße gegangen sind.

Diese Verträge wurden mit den USA und Kanada, mit dem Freihandelsabkommen in Lateinamerika und insbesondere zwischen der EU und den USA verhandelt.

Was enthüllen uns diese Strategien? Eine Wirtschaft, die sich so verselbständigt hat, dass nur das Wirtschaftliche zählt, dass man die Souveränität der Staaten aufhebt, sich die Erde als Ganze aneignet und aus dem Verhandlungstisch eine enorme Geschäftemacherei macht. Alles verkommt zur Handelsware: Personen, ihre Organe, die Natur, die Kultur, die Unterhaltung, selbst Religion und der Himmel. Niemand macht sich Gedanken darüber, wie die Zivilgesellschaft unter Umständen darauf reagieren könnte, wenn sie, einmal in Rage gekommen, rebellieren und alles über Bord werfen könnte. Gott sei Dank verbergen sich diese Projekte schamhaft, wenn auch hartnäckig, hinter verschlossenen Türen.

Leonardo Boff ist Theologe und Philosoph; Mitglied der Erd-Charta Kommission

Quelle:  Traductina , 16.01.2014.

Veröffentlicht am

17. Januar 2014

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