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Sicherheitskonferenz: Generalangriff der Kriegstreiber

Von Jürgen Wagner

Überraschend war es nicht, empörend ist es dennoch: Auf der an diesem Wochenende stattfindenden Münchner Sicherheitskonferenz wird versucht, der deutschen Bevölkerung den Sinn eines Elitenkonsenses einzuhämmern, der sich schon seit einiger Zeit herausgebildet hat. Angeführt von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Außenminister Frank-Walter Steinmeier wird gefordert, Deutschland müsse seine - angebliche - "Kultur militärischer Zurückhaltung" - zugunsten einer offensiven Weltmachtpolitik aufgeben (siehe IMI-Standpunkt 2014/005 ).

Unmittelbar vor Konferenzbeginn meldete sich etwa Steinmeier im Handelsblatt (30.01.2014) folgendermaßen zu Wort: "Es wird zurecht von uns erwartet, dass wir uns einmischen. […] So richtig eine Politik militärischer Zurückhaltung ist, so darf sie nicht missverstanden werden als ein Prinzip des Heraushaltens." Deutschland sei "zu groß, um die Weltpolitik nur zu kommentieren", so Steinmeier weiter. Ganz wesentlich waren und sind in dieser Debatte auch der Konferenzleiter (und Tübinger Honorarprofessor) Wolfgang Ischinger sowie Bundespräsident Joachim Gauck. Insofern konnte einem schon Übles schwanen, als klar wurde, dass Gauck, der schon mehrfach durch militärfreundliche und chauvinistische Aussagen unangenehm auffiel, die Eröffnungsrede auf der Sicherheitskonferenz halten sollte (siehe IMI-Standpunkt 2014/002 ).

Vorbereitende Arbeiten

Schon in Gaucks Rede zum Tag der deutschen Einheit am 3. Oktober 2013 wurde der programmatische Boden bereitet: "Ich mag mir nicht vorstellen, dass Deutschland sich groß macht, um andere zu bevormunden. Aber ich mag mir genauso wenig vorstellen, dass Deutschland sich klein macht, um Risiken und Solidarität zu umgehen." Wie zumindest in den deutschen Eliten dieser Satz verstanden wurde, untermauerte Wolfgang Ischinger, indem er Gaucks Satz in seiner Dezember-Kolumne auf der Sicherheitskonferenz-Seite erst vollständig zitierte und gleich im Anschluss folgendermaßen auslegte: "War das eine Absage an die überstrapazierte sogenannte Kultur der militärischen Zurückhaltung?"

Die Frage war natürlich rein rhetorischer Natur und wo Ischinger selbst hier steht, ließ er sowohl dadurch durchblicken, dass er einen FAZ-Artikel von Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe prominent auf der Internetseite der Sicherheitskonferenz platzieren ließ, in dem es hieß: "In einer Zeit, in der die Vereinigten Staaten ihr Engagement für Europa reduzieren und viele Staaten der EU finanziell am Ende sind, ist es die Aufgabe des Starken, mit Beispiel zu führen und Europas Handlungsfähigkeit zu sichern. Deutschland muss führen, damit Europa nicht schwächer wird." Unmittelbar vor Konferenzbeginn beschwerte sich der Tübinger Honorarprofessor dann auch noch ganz direkt über die aus seiner Sicht unzureichende deutsche Bereitschaft, eine aktive Weltmachtpolitik zu betreiben und die scheinbare Zurückhaltung was den Einsatz militärischer Gewalt anbelange.Obwohl inzwischen immer mehr Beweise ans Licht kommen, dass die Angriffe anders als vom Westen behauptet wohl nicht von Regierungstruppen verübt wurden (siehe IMI-Aktuell 2014/025 ) beklagt sich Ischinger in der Welt , dass die EU-Staaten nicht bereit gewesen seien, die USA bei einem Einmarsch in Syrien nach dem Giftgasangriffen im Sommer 2013 zu unterstützen: "Weniger Solidarität mit den USA von europäischer Seite als nach dem Chemiewaffeneinsatz Assads im vergangenen Sommer ist ja kaum vorstellbar. Die Bundesregierung hat mit der Kultur der militärischen Zurückhaltung die Entscheidung begründet, sich von vornherein ganz herauszuhalten. Die Franzosen wollten zwar, aber die Briten konnten nach der Entscheidung im Unterhaus nicht. Präsident Obama war in einer schwierigen Lage: Sollte er alleine eingreifen ohne Europa an seiner Seite? Ich finde es schwierig, ihm deshalb einen Vorwurf zu machen."

Natürlich bricht diese Debatte jetzt nicht aus heiterem Himmel über uns ein, vielmehr wurde sie von langer Hand vorbereitet. Wesentlich hierfür war das Papier "Neue Macht - Neue Verantwortung" , das von 50 führenden Mitgliedern des außen- und sicherheitspolitischen Establishments im September 2013 veröffentlicht wurde. Schon darin wurde mit dem Argument, die wirtschaftliche Größe Deutschlands erfordere, dass es mehr (auch militärische) Verantwortung in der Welt übernehme, der Boden bereitet. Etwas verklausuliert floss dieses Konstrukt dann auch in den neuen Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD mit ein (siehe hierzu ausführlich IMI-Analyse 2013/036 ).

Auf dieser Basis wurde dann in den letzten Wochen eine Kanonade nach der anderen abgefeuert, die alle darauf abzielten, die "Kultur militärischer Zurückhaltung" zugunsten einer "Kultur kriegerischer Verantwortung" abzuschießen. Die ganzen Bemühungen leiden aber unter einem eklatanten Schönheitsfehler: Einer aktuellen Umfrage zufolge haben sie es bislang nicht geschafft, die Bevölkerung vom Sinn häufigerer Militäreinsätze zu überzeugen: "Die meisten Deutschen sind gegen eine Ausweitung der Auslandseinsätze der Bundeswehr. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov sagten 45 Prozent der Befragten, Deutschland tue hier bereits zu viel. 30 Prozent halten das derzeitige Engagement für genau richtig."

Angesichts dieses Problems war schon einige Tage vor Beginn der Münchner Sicherheitskonferenz klar, dass Bundespräsident Gauck es als seine Aufgabe erachtete, in seiner Eröffnungsrede die Bevölkerung vom Sinn des ganzen Unterfangens zu überzeugen: "Joachim Gauck will, so legen es Planungen aus dem Präsidialamt nahe, in seiner Eröffnungsrede in München an die Deutschen appellieren, sich ihres Platzes in der Welt bewusst zu werden. Das liegt genau auf der Linie Steinmeiers und von der Leyens." (Der Spiegel, 27.01.2014Laut der Welt soll sich Gauck auf für seine Rede auf der Sicherheitskonferenz eng mit Steinmeier und von der Leyen beraten haben.)

Gauck: Verantwortung predigen - Imperialismus ausschenken

Mit einem schier unerträglichen Pathos bemühte sich der Bundespräsident in seiner Rede auf der Sicherheitskonferenz penetrant darum, das "gute" heutige vom "schlechten" nationalsozialistischen Deutschland abzusetzen: "Eines gleich vorweg: Dies ist ein gutes Deutschland, das beste, das wir kennen. Das auszusprechen, ist keine Schönfärberei." Und weil Deutschland ganz grundsätzlich geläutert sei, könne nun auch mit einem lange dominierenden Pazifismus gebrochen werden, der heute überholt sei, so die Kernbotschaft, die augenscheinlich auch genau so verstanden wurde: "[Gauck] erkannte an, dass militärische Beiträge von Deutschland wegen seiner historischen Schuld aus der Zeit des Nationalsozialismus lange nicht verlangt worden seien. Doch nun dürfe Pazifismus kein Deckmantel für Bequemlichkeit werden. Er bestritt, dass Deutschland wegen seiner Geschichte dauerhaft ein ‚Recht auf Wegsehen’ erworben habe. Dies führe zu ‚so etwas wie Selbstprivilegierung’". ( FAZ , 31.01.2014)

Darüber hinaus lieferte Gauck in seiner Rede zwei konkrete Begründungen, weshalb Deutschland künftig häufiger zur Waffe greifen müsse:

Einmal postuliert er unter Rückgriff auf das "Konzept der Schutzverantwortung" eine moralische Pflicht, im Falle von schweren Menschenrechtsverletzungen militärisch einzugreifen: "Das Prinzip der staatlichen Souveränität und der Grundsatz der Nichteinmischung dürfen gewalttätige Regime nicht unantastbar machen." Die vielfältigen Bedenken gegenüber diesem Konzept, insbesondere dass damit versucht wird, die völkerrechtlich bislang extrem engen Grenzen für die Anwendung militärischer Gewalt aufzuweichen, wodurch es Großmächten erleichtert würde, ihre Interessen gewaltsam durchzusetzen, streift Gauck nur am Rande (siehe zur Kritik an der Schutzverantwortung ausführliche IMI-Analyse 2011/32 ). Solche Bedenken seien zwar berechtigt, aber hierfür gebe es eine einfache Lösung: "[E]s gilt, den potentiellen Missbrauch des Schutzkonzepts zu expansionistischen oder gar imperialen Zwecken auszuschließen." Und gleich im nächsten Satz präzisiert der Bundespräsidenten welches Land aus seiner Sicht geradezu dazu prädestiniert ist, einen solchen Missbrauch zu vereiteln - ja, man ahnt es bereits: das geläuterte Deutschland: "Ich begrüße deshalb, dass sich die Bundesregierung an der Fortentwicklung des Konzepts beteiligt und dabei besonders auf Prävention, auf internationale Zusammenarbeit sowie auf die Entwicklung von Frühwarnsystemen gegen Massenverbrechen setzt."

Als zweite Begründung für eine ambitioniertere militärisch gestützte Politik führt Gauck an, Deutschland trage als einer der ökonomisch mächtigsten Staaten in der Welt eine Verantwortung für die Stabilität des globalen Systems, von dem es ja schließlich mit am meisten profitiere: "Deutschland ist überdurchschnittlich globalisiert und profitiert deshalb überdurchschnittlich von einer offenen Weltordnung - einer Weltordnung, die Deutschland erlaubt, Interessen mit grundlegenden Werten zu verbinden. […] Die Beschwörung des Altbekannten wird künftig nicht ausreichen! Die Kernfrage lautet doch: Hat Deutschland die neuen Gefahren und die Veränderungen im Gefüge der internationalen Ordnung schon angemessen wahrgenommen? Reagiert es seinem Gewicht entsprechend? […] Ich meine: Die Bundesrepublik sollte sich als guter Partner früher, entschiedener und substantieller einbringen. […] Manchmal kann auch der Einsatz von Soldaten erforderlich sein. […] Auch wer nicht handelt, übernimmt Verantwortung. Es ist trügerisch sich vorzustellen, Deutschland sei geschützt vor den Verwerfungen unserer Zeit - wie eine Insel. Denn Deutschland ist so tief verwoben mit der Welt wie wenige andere Staaten. Somit profitiert Deutschland besonders von der offenen Ordnung der Welt. Und es ist anfällig für Störungen im System. Eben deshalb können die Folgen des Unterlassens ebenso gravierend wie die Folgen des Eingreifens sein - manchmal sogar gravierender."

Zweifellos ist es richtig, dass Deutschland von diesem System profitiert - und an der Ausbeutung und Unterprivilegierung von Milliarden Menschen aktiv beteiligt ist. Und zweifellos ist dieses System "störanfällig", es mit militärischen Mitteln notdürftig zu stabilisieren stellt dabei aber einzig den Versuch dar, die herrschenden Ungerechtigkeiten aufrechtzuerhalten. Gauck redet damit einer imperialistischen und expansionistischen Gewaltpolitik das Wort, von der er sich vermeintlich in derselben Rede so vehement distanziert. Und wie man mit "Störern" des für Deutschland so hochprofitablen Systems umzugehen gedenkt, dafür reicht ein Blick in das Papier "Neue Macht - Neue Verantwortung" , mit dem der von Gauck nun der Öffentlichkeit präsentierte Elitenkonsens erstmals umfänglich zum Ausdruck gebracht wurde: "Da aber, wo Störer die internationale Ordnung in Frage stellen; wo sie internationale Grundnormen (etwa das Völkermordverbot oder das Verbot der Anwendung von Massenvernichtungswaffen) verletzen; wo sie Herrschaftsansprüche über Gemeinschaftsräume oder die kritische Infrastruktur der Globalisierung geltend machen oder gar diese angreifen; wo mit anderen Worten Kompromissangebote oder Streitschlichtung vergeblich sind: Da muss Deutschland bereit und imstande sein, zum Schutz dieser Güter, Normen und Gemeinschaftsinteressen im Rahmen völkerrechtsgemäßer kollektiver Maßnahmen auch militärische Gewalt anzuwenden oder zumindest glaubwürdig damit drohen zu können."

Wie zu befürchten war, wurde Gaucks Rede in Politik und Medien begeistert aufgenommen. Unmittelbar im Anschluss sprach Ischinger - offensichtlich angetan, dass genau das geliefert worden war, was er auch bestellt hatte - von einer "sehr wichtige Rede". Auch die US-Seite war voll des Lobs, war sie sich doch der möglichen Tragweite des Auftritts bewusst: "Kennern der europäischen Szene war deshalb die historische Bedeutung der Gauckschen Akzentverschiebung nicht entgangen. Kaum hatte der Präsident geendet, twitterte etwa der ehemalige US-Botschafter bei der Nato, Ivo Daalder schon: ‚Das ist tatsächlich das erste Mal, dass ein führender deutscher Politiker argumentiert, Deutschland müsse die Konsequenzen aus seiner Macht ziehen - in Europa und darüber hinaus.’"

Es steht zu hoffen, dass wenigstens die bislang skeptische Bevölkerung dem Bundespräsidenten und seinem Geschwätz nicht auf den Leim geht. Denn der ehemalige Pfarrer predigt zwar Moral und Verantwortung - ausgeschenkt werden aber Imperialismus und Krieg.

Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - IMI-Analyse 2014/004.

Fußnoten

Veröffentlicht am

03. Februar 2014

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