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Atomkrieg wäre humanitäre Katastrophe

Von Wolfgang Kötter

Millionen Opfer ohne medizinische Hilfe

Heute beginnt im Baderesort Nuevo Vallarta an der mexikanischen Pazifikküste eine internationale Staatenkonferenz zu den humanitären Folgen eines Nuklearkrieges. Die Regierung Mexikos hat gemeinsam mit der "Internationalen Kampagne zur Abschaffung der Kernwaffen" (International Campaign to Abolish Nuclear Weapons - ICAN) zu dieser Tagung eingeladen. Bereits seit einiger Zeit bemühen sich die Anhänger der nuklearen Abrüstung darum, das Weltgewissen aufzurütteln und Politiker zum Handeln zu zwingen, indem sie vor den verheerenden humanitären, medizinischen, klimatischen und wirtschaftlichen Folgen eines Kernwaffenkrieges warnen. Ihre Schlussfolgerung besteht darin, dass die Abschaffung der Atomwaffen die einzige Möglichkeit ist, um sicherzustellen, dass sie nie eingesetzt werden. Darum sollten unverzüglich Verhandlungen für eine weltweite Nuklearwaffenkonvention beginnen. Als VertreterInnen der Zivilgesellschaft Deutschlands nehmen der Bremer Arzt Dr. Lars Pohlmeier, Europapräsident und Vorsitzender der Organisation Internationale Ärzte gegen den Atomkrieg IPPNW, Xanthe Hall, IPPNW-Abrüstungsreferentin aus Berlin, sowie Martin Hinrichs von ICAN an der Konferenz teil.

Wachsende Besorgnis vor Atomkriegsgefahr

Bereits im vergangenen März hatte in Oslo eine Vorgängerkonferenz zum gleichen Thema stattgefunden, an der 132 Staaten, mehrere UN-Organisationen wie das Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten OCHA, die Weltgesundheitsorganisation WHO, das Entwicklungshilfswerk UNDP, das Flüchtlingshilfswerk UNHCR und auch das Internationale Rote Kreuz teilnahmen. Die Kernwaffenstaaten USA, Russland, Frankreich, Großbritannien und China boykottierten die Konferenz mit der Ausrede, dass sie sich "nicht von bisherigen, praktischen Schritten zur nuklearen Abrüstung ablenken lassen" wollten. Demgegenüber unterstützten 137 Delegationen auf der UNO-Vollversammlung im Dezember die von den nichtpaktgebundenen Staaten initiierte Resolution 68/32 über die humanitären Folgen eines Kernwaffenkrieges, die einen Auftrag an die Genfer Abrüstungskonferenz zur unverzüglichen Aufnahme multilateraler nuklearer Abrüstungsverhandlungen enthält. Deutschland stimmte gemeinsam mit den Nuklearmächten Frankreich, Großbritannien, Russland, USA und anderen NATO-Staaten dagegen.

Besorgniserregende Entwicklungen in der Weltpolitik wie die anhaltenden Krisen um die Atomprogramme Nordkoreas und des Iran lassen immer mehr Zweifel daran aufkommen, ob die seit langem betriebene Politik der Abschreckung der gegenwärtigen Kernwaffenbesitzer und ihrer Destruktivhaltung gegenüber der nuklearen Abrüstung wirklich geeignet ist, neue Atomwaffenstaaten zu verhindern. Vielmehr wächst die Wahrscheinlichkeit, dass, wenn auch nur ein weiterer Staat Atomwaffen erlangt, andere folgen werden und eine Kettenreaktion auslösen. Gerade in hochexplosiven Regionen wie im Nahen Osten oder in Asien würde das Risiko eines Einsatzes von Atomwaffen ins Unermessliche steigen.

So verwundert es nicht, dass in der Zivilgesellschaft und bei vielen Regierungen die Sorge vor einem Kernwaffeneinsatz wächst. Sie drängen auf ein Verbot wie auch die Vernichtung sämtlicher Atomwaffen und der Verweis auf die verheerenden humanitären Folgen eines Nuklearkrieges gehört zu ihren stärksten Argumenten. In einem von 80 Staaten auf dem jüngsten Vorbereitungstreffen zur Überprüfung des Atomwaffensperrvertrags in Genf gemeinsam eingebrachten Papier heißt es: "Auf die katastrophalen Folgen einer Atomwaffenexplosion - egal, ob unabsichtlich, aus Kalkül oder weil der Eskalationspfad einen Einsatz vorsieht - ist keine angemessene Reaktion möglich. Es müssen sämtliche Anstrengungen unternommen werden, um diese Gefahr zu beseitigen. Es gibt nur einen Weg, um sicherzustellen, dass Atomwaffen niemals wieder eingesetzt werden: sie vollständig abzuschaffen."

Alarmierende Studien zu Folgen regionaler Kernwaffenkriege

"Angesichts der extrem angespannten Lage auf der koreanischen Halbinsel kann derzeit jegliche militärische Handlung in einen Atomkrieg münden", erklärt Dr. Alex Rosen von IPPNW. Jeder Atomwaffeneinsatz hätte katastrophale humanitäre Folgen. Die Ärzteorganisation appelliert dringlich an die Konfliktparteien Nordkorea, Südkorea und die USA, militärische Übungen oder Tests einzustellen und an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Aufgrund der anhaltenden koreanischen Krise hat IPPNW die humanitären Folgen eines Angriffs auf Seoul und Pjöngjang mit einer Zehn-Kilotonnen-Bombe untersucht Das ist etwas weniger als die Hiroshima-Bombe und eine Bombengröße, über die Nordkorea nach Meinung von Experten verfügen könnte. Seoul hat eine sehr hohe Bevölkerungsdichte. Daher hätte eine Atomwaffe hier besonders schwere Folgen: 140 000 Menschen würden binnen weniger Tage sterben, und mehr als eine Million würde teils schwere gesundheitliche Schäden davontragen. In Pjöngjang kämen fast auf der Stelle etwa 11 000 Menschen um.

Doch ein nuklearer Angriff würde nicht nur die Bevölkerung treffen, sondern auch die Rettungsdienste, medizinisches Hilfspersonal, die Kommunikations- und Transportwege. Erste Hilfe zu leisten, wäre eine fast unlösbare Herausforderung. Schon die Versorgung der vielen Opfer der Hitzewelle mit Verbrennungen zweiten und dritten Grades wäre praktisch unmöglich. Die Behandlung einer akuten Strahlenkrankheit ist sehr aufwendig und dient in der Regel lediglich palliativen Zwecken. Die Krankenhäuser, die nicht zerstört oder beschädigt sind, wären dem Ansturm Hilfesuchender nicht gewachsen.

Auch ein regionaler Atomkrieg in Südasien mit weniger als 100 Atomwaffen würde das Klima und die landwirtschaftliche Produktion so gravierend verändern, dass die daraus folgende Hungersnot zwei Milliarden Menschenleben gefährden würde, schlussfolgern die Autoren einer Aktualisierung der IPPNW-Studie "Nukleare Hungersnot". Die Studie, die von einem Szenario von je 50 eingesetzten Atomwaffen mit der Stärke der Hiroshima-Atombombe zwischen Indien und Pakistan ausgeht, ist eine Analyse der humanitären, ökonomischen und ökologischen Kosten eines regionalen Atomkrieges. Die Expertengruppe fand heraus, dass sinkende Temperaturen und reduzierte Niederschläge in Folge eines Atomkrieges in wichtigen landwirtschaftlichen Regionen den Anbau von Getreide, Mais und Reis gravierend stören und weltweit zur Nahrungsmittelknappheit und Preiserhöhungen führen würden. Der US-amerikanische Arzt Dr. Ira Helfand mahnt: "Die Ergebnisse der Studie belegen, dass auch relativ kleine atomare Arsenale - über die beispielsweise Indien und Pakistan verfügen - unser Ökosystem im Falle eines begrenzten Atomkrieges dauerhaft verändern können. Deswegen muss sich unser Denken über Atomwaffen grundlegend verändern."

Die Nuklearwaffenkonvention - ein Modellentwurf

Rechtsexperten der "Internationalen Vereinigung Rechtsanwälte gegen Atomwaffen" (IALANA) erarbeiteten einen Modellentwurf für eine Nuklearwaffenkonvention. Er sieht einen zeitlich befristeten Stufenplan zur Beseitigung aller Atomwaffen vor.

  • Die Konvention verbietet die Entwicklung, das Testen, die Produktion, die Lagerung und den Transfer von Atomwaffen sowie deren Einsatz oder dessen Androhung.
  • Die Atommächte werden verpflichtet, ihre Arsenale und Sprengköpfe sowie ihre Transportsysteme in festgelegten Fristen zu zerstören.
  • Internationale Kontrollen einschließlich Satellitenaufnahmen und Strahlungssensoren werden überprüfen, ob die Staaten ihre Verpflichtungen einhalten.
  • Gleichzeitig werden Anreize für die Einhaltung der Vereinbarungen, wie z.B. der Austausch von Technologien, geschaffen, aber auch Mechanismen um Vertragsverletzungen vorzubeugen oder abzuwenden. Diese beinhalten den Verlust von Privilegien, Abstriche bei der technologischen Hilfe, Handelssanktionen oder ein Eingreifen des Sicherheitsrates bzw. der Vollversammlung, die weitere Sanktionen beschließen.
  • Personen, die einen Verstoß durch Regierungen aufdecken, werden geschützt.
  • Die Entwicklung, der Besitz und der Einsatz von Atomwaffen durch Einzelne oder nichtstaatliche Gruppen wird dadurch zum internationalen Verbrechen erklärt. Es werden Vorkehrungen getroffen, um solche Straftäter zu fassen, strafrechtlich zu verfolgen und zu bestrafen.
  • Der Modellentwurf sieht 6 Phasen für die weltweite Zerstörung aller Atomwaffen vor:

1. Reduzierung der gelagerten Arsenale,

2. Löschen der Alarmbereitschaft atomarer Waffen,

3. Rückzug aller Atomwaffen aus ihren Stationierungsorten,

4. Entfernung der Sprengköpfe von den Trägermitteln,

5. Verschrottung der Sprengköpfe und

6. internationale Kontrolle über sämtliches Nuklearmaterial.

  • Zuerst werden von den USA und Russland tiefe Einschnitte in ihre atomaren Arsenale verlangt, dann folgt ein umfassender Plan, der für alle Nationen gleich gelten wird. Er ermöglicht, dass die weltweite Abrüstung von Atomwaffen in schnellstmöglicher Zeit Realität wird.
  • Die Produktion von jeglichem waffenfähigen Spaltmaterial ist verboten.
  • Zum Ausgleich wird ein Energieprogramm erneuerbarer Energiequellen eingerichtet, das Staaten beim Atomausstieg unterstützt.

Ein mögliches Szenario eines Atomkrieges zwischen den USA und China

Die Resultate eines nuklearen Konflikts zwischen beiden Ländern basierten auf einer Analyse von Daten über die Kräfte der nuklearen Abschreckung der Befreiungsarmee der VR China, schreibt das russische Internetportal mail.ru unter Berufung auf einen Beitrag von defensenews.com. Die Studie wurde von einem Expertenteam der Georgetown University unter der Leitung von Philip Karber erstellt.

Demnach werden etwa 50 Millionen der 315 Millionen Amerikaner gleich nach dem ersten chinesischen Atomschlag ums Leben kommen. 25 Millionen bis 50 Millionen würden eine extrem hohe Strahlungsdosis abbekommen und bald sterben. Zwei Drittel der Krankenhäuser würden zerstört und die Hälfte der Ärzte getötet. Die USA verlören rund die Hälfte der Energiequellen und 40 Prozent der Lebensmittelbetriebe. Von den restlichen 200 Millionen Amerikanern werde etwa die Hälfte hungern. Die Lebensqualität werde wie im Mittelalter sein. Es gebe keinen Strom und wenig Nahrung, geschweige denn medizinische Versorgung, hieß es.

Bislang gingen die USA davon aus, dass China zwischen 200 und 300 atomare Gefechtsköpfen besitzt. Die Analyse der Infrastruktur der chinesischen Abschreckungskräfte, darunter eines etwa 4 500 Kilometer langen Tunnel-Systems, lässt vermuten, dass die Zahl der Gefechtsköpfe um ein Mehrfaches höher ist. Der russische Generaloberst a. D. Viktor Jessin spricht sogar von rund 3 600 chinesischen Gefechtsköpfen.

Quelle: Nachrichtenagentur RIA nowosti

Atomwaffenarsenale weltweit (2014)

Land Anzahl
Russland ca. 8.500
USA ca. 7.400
Frankreich 300
China ca. 250
Großbritannien ca.180
Pakistan 90 - 110
Indien 80 - 100
Israel 80
KDVR 6 - 10
gesamt ca. 17.000

Quellen: SIPRI 2013 / Bulletin of the Atomic Scientists 2014

Veröffentlicht am

13. Februar 2014

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