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Andreas Buro: Überlegungen zum Ukraine-Konflikt

Die Diskussion über den Konflikt um die Ukraine und ihre autonome Provinz die Krim ist voll entbrannt. In der öffentlichen Berichterstattung dominiert die Verurteilung des russischen Vorgehens. Härteres Auftreten gegen Russland als Brecher des Völkerrechts wird gefordert. Der friedenspolitische Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie, Andreas Buro, legt ein Papier als Diskussionsgrundlage für eine konstruktive Erörterung dieser bedrohlichen Situation vor.

Überlegungen zum Ukraine-Konflikt

Von Andreas Buro (Stand: 13. März 2014)

Es war am Ende des West-Ost-Konflikts als US-Präsident Bush sen. und US-Außenminister Baker Michael Gorbatschow versicherten, die Staaten des ehemaligen Warschauer Pakts würden nicht Mitglieder der NATO werden. Die NATO würde also nicht an die Grenzen der Sowjetunion rücken. Man konnte sich demnach vorstellen, es würde ein cordon sanitaire entstehen - bestenfalls sogar eine Zone der Vermittlung zwischen West und Ost.

Nichts dergleichen geschah. NATO und EU expandierten gen Osten. Nach 1999 traten Polen, Tschechien, Ungarn, nach 2004 Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowakei, Slowenien und nach 2009 Albanien und Kroatien der NATO bei. Alles Länder die einst zum sogenannten Ostblock gehörten. Beitrittsbemühungen gab es ferner um Georgien und Armenien. Vor diesem historischen Hintergrund wird der Kreml nicht die Perspektive akzeptieren, die Ukraine solle der nächste NATO-Kandidat werden.

Diese Annahme ist angesichts der vehementen Unterstützung der aufständischen Kräfte aus dem Westen keineswegs abwegig. Die für Europa und Eurasien zuständige Abteilungsleiterin des US-Außenministeriums Victoria Nuland hat am 13. Dezember 2013 in Washington vor der "U.S.-Ukraine Foundation" berichtet, die US-Regierung habe seit 1991 mehr als fünf Milliarden US-Dollar für eine "wohlhabende und demokratische Ukraine" investiert. Mit dieser Summe sollten die Voraussetzungen geschaffen werden, die Ukraine der EU anzugliedern. Die westliche Strategie beruht in dem ausgehandelten aber vom damaligen ukrainischen Präsidenten Janukowitsch nicht unterzeichneten Partnerschaftsvertrag mit der EU auf dieser Perspektive. Der Vertrag hätte eine Westorientierung der Ukraine bewirkt. Die bisherige starke Bindung an Russland wäre deutlich verringert worden. Muss man das nicht als eine Politik des ‚regime change’ bezeichnen? Das Vordringen des Westens in den ehemaligen Herrschafts- und nun zumindest Einflussbereich Russlands ist die dominante strategische Komponente der aktuellen Auseinandersetzung über die Krim und die Ukraine.

Die Bürgerinnen und Bürger, die vor allem in Kiew und den westlichen Landesteilen der Ukraine den Protest gegen die korrupte Janukowitsch-Präsidentschaft getragen haben, fürchteten zu Recht, ihre demokratischen Freiheiten würden zunehmend erstickt werden. Sie hofften wohl auch auf eine bessere wirtschaftliche Entwicklung durch den Assoziierungsvertrag. Ihr Aufstand wurde jedoch von sehr unterschiedlichen politischen Kräften getragen. Das bewirkt ihre Schwäche, und macht sie abhängig von westlicher Unterstützung. Während der westliche Teil schon seit langer Zeit trotz einer furchtbaren Vergangenheit kulturell und sprachlich auf Mittel- und Westeuropa ausgerichtet ist, orientiert sich der östliche Teil einschließlich der Krim überwiegend nach Russland und spricht auch Russisch. Die großen Bodenschätze liegen im östlichen Teil des Landes. Zu erinnern ist, dass die Krim nach der Vertreibung der Krim-Tataren durch Stalin während des Zweiten Weltkrieges vorwiegend von russischen Kriegsveteranen besiedelt wurde. Sie standen in Feindschaft gegen die rückkehrenden Krim-Tataren, von denen sie Land und Häuser übernommen hatten. Eine höchst heterogene Mischung von Interessen und Zuwendungen.

Der Konflikt bewirkt auch Befürchtungen in den ehemaligen Mitgliedsländern des Warschauer Pakts wie Polen und den baltischen Ländern. Könnten russische Übergriffe auch sie treffen? Sie fordern eine militärische Verstärkung. Doch haben sie wirklich als NATO-Mitglieder einen Angriff zu erwarten? Das wäre nur vorstellbar, falls es zu einer großen kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Russland und der NATO käme. Weder Russland noch der Westen können und vermutlich werden sie sich das nicht leisten können.

Der Kreml will nun offensichtlich den Marsch des Westens nach Osten nicht länger hinnehmen. Er nutzt dazu die Heterogenität der Bevölkerung der Ukraine. Nach dem Aufstand gegen die korrupte Janukowitsch-Regierung und der zweifelhaften Legitimität und demokratischen Bonität der neuen Regierung in Kiew spielt Russland die alte Regierung gegen die neue aus. Janukowitsch lässt aus dem Exil im russischen Rostow die neue Regierung in Kiew als faschistisch und anti-semitisch, sowie sich selbst weiterhin als rechtmäßigen Präsidenten der Ukraine bezeichnen. Damit hält sich Moskau Ansprüche auf weitere Teile oder sogar die ganze Ukraine offen. Auf der Krim, wo Russland mit einem großen Sympathiepotenzial rechnen kann, schafft es Voraussetzungen, die Situation notfalls auch militärisch zu beherrschen. Sewastopol, der Stützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte, ist aus der Sicht Moskaus von überragender Bedeutung. Ginge er verloren, wäre die russische Präsenz im Mittelmeer höchst bedroht. Die Sicherung des Flottenstützpunktes Sewastopol dürfte deshalb ein zentrales Interesse der russischen Politik sein.

Wenn die hier dargestellten Grundkonstellationen zutreffen, steht ein schwerer europäischer Konflikt ins Haus, nicht jedoch unbedingt ein Krieg, wie einige Medien befürchten. Ereignisse, die vielleicht falsch interpretiert werden und zu Eskalationen führen, die eigentlich keiner will oder einige aus Partikularinteressen vielleicht doch wollen, sind dennoch immer möglich.

Was kann also getan werden, um Deeskalation voranzutreiben? Hier nur eine Aufzählung von Möglichkeiten:

  • Auf keinen Fall darf man mögliche Verbindungen zwischen den Konfliktpartnern abreißen lassen. Ausladung bei den G 8: Nein, danke!
  • Sanktionen gegen Konfliktpartner auf keinen Fall! Das führt zu Eskalationen. Wie will man dann noch einen Dialog auf Augenhöhe zustande bringen? Der durch Sanktionen Bestrafte wäre ja vorverurteilt. Russland ist eine Großmacht, die man nicht demütigen darf, wenn man mit ihr ernsthaft verhandeln will.
  • Kiew vorschlagen, auf alle Provokationen zu verzichten. Wie konnte man dort auf den Gedanken kommen, Russisch als offizielle Zweitsprache verbieten zu wollen - haarsträubend! Auch könnten West und Ost Kiew empfehlen, die ukrainische Mobilisierung der Streitkräfte aufzuheben und den Flottenvertrag anzuerkennen, den der ehemalige ukrainische Präsident Janukowitsch mit Russland geschlossen hat.
  • Sollte nicht der Westen Russland eine gemeinsame Verhandlungsrunde vorschlagen, vielleicht unter Anknüpfung an die ehemals erfolgreichen KSZE-Verhandlungen, über Gemeinsamkeiten und gemeinsame Interessen in der Gestaltung des Europäischen Hauses. Unter Bezug also auf einen Begriff, der seinerzeit ausführlich diskutiert wurde. Dabei ging es nicht nur auf beiden Seiten um wirtschaftliche Interessen, sondern auch um die Errichtung eines Systems kollektiver Sicherheit. Diese Perspektive geriet aber mit der westlichen Expansionspolitik nach Osten außer Sicht. Hier wieder anzuknüpfen wäre ein Signal, das allerdings die USA nicht erfreuen würde, stellte jedoch eine erhebliche Emanzipation europäischer Politik dar. Dabei könnte eine revitalisierte OSZE eine wichtige Rolle spielen.
  • Johan Galtung wirft die Frage auf, ob eine ukrainische Föderation aus zwei Teilen, nicht gleichzeitig Mitglied der EU und der Russischen Föderation (oder eines GUS-Staaten-Zusammenhangs, A. B.) sein könne. Damit könnte aus Konfrontation ein kooperativer Dialog-Zusammenhang werden. Eine interessante Perspektive, die Galtung auch für Georgien in Betracht zieht.
  • Die Medien, die auf beiden Seiten eher konfliktverschärfend berichtet haben, sollten stärker das Friedensbedürfnis der Bevölkerungsgruppen herausstellen. Eine Flut von Leserbriefen wäre dazu nützlich, ebenso entsprechende Aussagen aus vielen Teilen der Gesellschaften. Dabei sollten auch Eigeninteressen angesprochen werden, denn Krieg löst keines der großen gesellschaftlichen Probleme hier und dort, sondern wird sie nicht nur für alle Ukrainer verschärfen.
  • Deutschland kommt anscheinend in der Wahrnehmung der Konfliktpartner eine besondere Rolle zu, nämlich als EU-Führungsmacht und als ein Staat, der in Russland Gehör finden kann. Doch ist zweierlei nicht zu vergessen. Deutschland ist ein gewichtiges Mitglied der NATO, das die bisherige NATO-Expansionspolitik bedingungslos mitgetragen hat. Deshalb ist es als Vermittler schwer belastet. Belastet ist es auch durch seine blutige Vergangenheit bei der Eroberung von Sewastopol im Zweiten Weltkrieg Damals wurde die Stadt fast völlig zerstört. Etwa 80% der Bevölkerung überlebten die Kämpfe nicht. Ein weiterer Kniefall wäre geboten, nicht aber ein Auftritt als Ritter der Gerechtigkeit.

Meine Schlussfolgerung lautet: Eine friedliche Lösung ist möglich, wenn die alten Verhaltensweisen der Konfrontation zugunsten einer Politik der Kooperation und der zivilen Konfliktbearbeitung in Europa aufgegeben werden. Abbau von Misstrauen und Aufbau von Vertrauen sind erforderlich. Wie können die Zivilgesellschaften aller beteiligten Länder dazu beitragen?

Quelle:  Komitee für Grundrechte und Demokratie - 12.03.2014.

Veröffentlicht am

13. März 2014

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