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Ukraine: Ringen um die Machtgeometrie

Neoliberales Assoziationsabkommen und europäisch-russische Machtkonflikte

Von Jürgen Wagner, IMI-Studie 2014/02b

Inhaltsverzeichnis

  1. Neoliberales Assoziationsabkommen
  2. Geopolitisches Filetstück: Heute die Ukraine…
  3. Testlauf für die neue deutsche Weltmachtpolitik
  4. Innerimperialistische Reibereien
  5. Eskalation oder Politik der Äquidistanz

Die komplette Studie gibt’s hier:

Einleitung

Im November 2013 fällte der ukrainische Präsident Wiktor Janukowitsch die Entscheidung, die Verhandlungen seines Landes über die Unterzeichnung eines Assoziationsabkommens mit der Europäischen Union auf Eis zu legen. Für die daraufhin erfolgte gewaltsame Eskalation, die zum Sturz des Präsidenten sowie zu einer der schwersten Krisen zwischen dem Westen und Russland seit Ende des Kalten Krieges führte, sind eine Reihe von Faktoren verantwortlich. Zunächst einmal gilt es festzuhalten, dass solche Assoziationsabkommen das zentrale Expansionsinstrument der Europäischen Union in den erweiterten Nachbarschaftsraum darstellen. Sie zielen darauf ab, die angrenzenden Länder als Investitions- und Absatzmärkte, als Niedrigsteuerländer und verlängerte Werkbänke dauerhaft in den großeuropäischen Wirtschaftsraum und damit in die EU-Einflusszone zu integrieren. Allein deshalb war es aus westlicher Sicht hochgradig ärgerlich, dass sich die Ukraine diesem Bestreben verweigerte.

Hinzu kam aber noch, dass es sich bei der Ukraine um ein Land von herausragender geopolitischer Bedeutung in den Auseinandersetzungen zwischen zwei sich zunehmend feindlich gegenüberstehenden Blöcken handelt, der Europäischen Union und der von Moskau initiierten Zollunion. Auffällig ist dabei, dass Deutschland hier buchstäblich an vorderster Front agiert: "Der Kampf um die Ukraine ist einer zwischen dem russischen Präsidenten und der deutschen Kanzlerin. […] Fast 25 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges geht es darum, wer es schafft, die früheren Sowjetrepubliken der Region in seinen Einflussbereich zu ziehen. Es geht um Geopolitik, um das ‚Grand Design’, wie es die Experten gern nennen." (Spiegel 50/2013)

Die Ukraine ist somit auch zu einer Art Testlauf für den seit Anfang des Jahres vollmundig erklärten Anspruch geworden, Deutschland müsse künftig eine ambitioniertere und stärker an der Durchsetzung eigener Interessen orientierte Weltmachtpolitik betreiben. Neu ist dabei allerdings vor allem, dass nun offen ausgesprochen und aggressiver betrieben werden soll, was ohnehin seit Jahren stattfindet. Denn was die Ukraine anbelangt, haben dort nicht nur die USA, sondern auch die Europäische Union und vor allem Deutschland über viele Jahre hinweg beträchtliche Summen in den Aufbau und die Stärkung pro-westlicher Oppositionsparteien investiert.

Diese "Vorarbeiten" stießen angesichts der problematischen sozialen Situation auf einen fruchtbaren Boden.[1] Doch auch wenn es vollkommen nachvollziehbar war, dass zahlreiche Menschen gegen die hochgradig korrupte Janukowitsch-Regierung auf die Straße gegangen sind[2], repräsentierten die Parteien, die als Dreierbündnis die Führung der Proteste an sich rissen, weder die Mehrheit der Bevölkerung und noch weniger deren Interessen. Dazu gehört einmal die faschistische Partei "Swoboda" ("Freiheit") mit Oleg Tjagnibok an der Spitze. Sie sorgte während der Proteste mit ihren Schlägertrupps unter anderem dafür, dass linke Studenten und Gewerkschafter regelrecht vom zentralen Protestplatz, dem Maidan in Kiew, weggeprügelt wurden und stellt mittlerweile mehrere Minister in der neuen "Regierung" (siehe Kasten "Braune Revolution"). Washington setzt vor allem auf die Partei "Batkiwschtschina" ("Vaterland"), die Teile der Oligarchie repräsentiert und von der ebenfalls korrupten Julia Timoschenko angeführt wird. Deutschland machte sich wiederum vor allem um "Udar" ("Schlag") mit dem Aushängeschild Witali Klitschko "verdient". Vor diesem Hintergrund kam es bereits während der Proteste zu heftigen innerimperialistischen Reibereien, wessen Protegé künftig in der Ukraine das Sagen haben soll. Diese endeten vorläufig mit einem Punktsieg für Washington, nachdem die Timoschenko-Partei alle wesentlichen Posten besetzte und nun - unter maßgeblicher Beteiligung der Faschisten - faktisch die Kontrolle übernommen hat, während "Udar" weitgehend außen vor blieb. Wichtiger als diese innerimperialistischen Auseinandersetzungen sind jedoch die nahezu deckungsgleichen Ziele, die von der neuen "Regierung" in Kiew pflichtschuldig kurz nach ihrer Machtübernahme in Angriff genommen wurden: Schnellstmöglich sollen "schmerzhafte" Sozialkürzungen vorgenommen, der Ausverkauf des Landes auf den Weg gebracht, das Assoziationsabkommen schnellstmöglich komplett unter Dach und Fach gebracht und die Mitgliedschaft in der NATO angestrebt werden.

Wie spätestens die Reaktion auf der Krim-Halbinsel zeigte, ist Russland offensichtlich nicht gewillt, dem Westen das Feld zu überlassen. So droht im schlimmsten Fall eine weitere Eskalation, zumindest aber dürfte die Ukraine und ihre Bevölkerung auf absehbare Zeit als Spielball und Schauplatz der Konflikte zwischen dem Westen und Russland zu leiden haben. Die einzig andere gangbare Option wäre, wenn sich die interessierten Großmächte auf eine kategorische Blockfreiheit der Ukraine verständigen würden, auch wenn dies zum gegenwärtigen Zeitpunkt eher unrealistisch erscheint.

Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - IMI-Studie 2014/02b.

Veröffentlicht am

27. März 2014

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