Uri Avnery: Das Monstrum auf dem HügelVon Uri Avnery NICHTS IST besser als wöchentlich ein Skandal. Ein saftiger Skandal regt die Leute auf, gibt den Medien etwas zu tun und lenkt uns von Themen wie Krieg und Frieden, Besetzung und Apartheid ab. Wie panem et circenses (Brot und Spiele) im antiken Rom. In dieser Woche hatten wir einige Skandale, die uns in Anspruch genommen haben. Der ehemalige Ministerpräsident Ehud Olmert wurde schuldig befunden, riesige Bestechungssummen angenommen zu haben, als er Bürgermeister von Jerusalem war. Er wurde dafür bezahlt, dass er den Bau eines von Weitem sichtbaren monströsen Gebäudekomplexes auf dem höchsten Hügel Westjerusalems genehmigt hatte. Als ob das nicht genügt hätte, wurde der Minister Sylvan Schalom, der ein halbes Dutzend Funktionen ausübt, sexueller Gewaltanwendung beschuldigt. Eine frühere Sekretärin erinnert sich, dass er sie vor 15 Jahren in ihrem Hotelzimmer angegriffen habe. Wer hat bei dermaßen aufregenden Nachrichten noch Zeit und Energie dafür übrig, über die Krise in den israelisch-palästinensischen Verhandlungen nachzudenken, die ja niemals wirklich in Gang gekommen sind? Die Öffentlichkeit weiß sehr gut, dass diese Verhandlungen eine Farce sind, die von einer amerikanischen Regierung aufgeführt wird, die sich nicht traut, gegen die Mietlinge der israelischen Regierung im Kongress aufzubegehren und Benjamin Netanjahu irgendetwas aufzuzwingen. FALLS IRGENDJEMAND tatsächlich noch irgendwelche Illusionen über die amerikanische Politik hatte, dem sind sie diese Woche ausgetrieben worden. Der Kasino-Mogul Sheldon Adelson veranstaltete eine öffentliche Darbietung seiner Macht. Er bestellte die vier Republikaner ein, die wahrscheinlich in den nächsten Präsidentschaftswahlen kandidieren werden, um einen von ihnen auszuwählen. Alle Geladenen folgten natürlich der Einbestellung. Es war eine schamlose Ausstellung. Die Politiker katzbuckelten vor dem Kasino-Lord. Mächtige Gouverneure wichtiger Staaten taten ihr Bestes, um sich zu verkaufen, wie Arbeitssuchende bei einem Bewerbungsgespräch. Jeder versuchte die anderen bei dem Versprechen, dem Geheiß des Moguls Folge zu leisten, auszustechen. Adelson ließ sich von israelischen Bodyguards flankieren und nahm die amerikanischen Kandidaten in die Mangel. Und was verlangte er von dem künftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten? Zuallererst und vor allem anderen blinden und bedingungslosen Gehorsam gegen einen anderen Staat: Israel. Adelson ist einer der reichsten Juden der Welt. Er ist ein fanatischer Rechter - nicht nur ein amerikanischer Rechter, sondern auch ein israelischer Rechter. Während er jetzt den besten amerikanischen Präsidenten sucht, der für Geld zu haben ist, hat er seinen israelischen Handlanger schon erwählt. Er hat etwas in der Geschichte Israels noch nie Dagewesenes getan: Er hat ein Werkzeug geschaffen, um damit seine ultra-rechten Ansichten dem israelischen Volk aufzudrängen. Zu diesem Zweck hat er große Geldsummen in eine Tageszeitung seiner Machart investiert. Sie heißt "Israel Hajom" (Israel heute) und ist buchstäblich unbezahlbar: Sie wird kostenlos im ganzen Land verteilt. Ihre Leserschaft ist jetzt die größte im Land, das bedroht die Existenz der ehemaligen Nummer 1 "Jedioth Achronoth" und bringt gerade die nächste Zeitung um: "Maariv". Der einzige Zweck von Adelsons Zeitung ist es, Benjamin Netanjahu persönlich und politisch bedingungslos und vorbehaltlos zu dienen. Das ist ein derartig himmelschreiender Eingriff eines ausländischen Milliardärs in die israelische Politik, dass er Reaktionen hervorgerufen hat: Alle Knesset-Parteien, sowohl rechte als auch linke (natürlich außer dem Likud), haben eine Forderung unterschrieben, diese Korrumpierung der Demokratie zu beenden. SELTSAMERWEISE wurde die zionistische Bewegung in einem Kasino gegründet. So hieß der Saal in Basel in der Schweiz, in dem 1897 der erste Zionistenkongress stattfand. Aber mit Glücksspiel hatte er nichts zu tun. Das Stadtcasino war nur ein zentral gelegener Saal. Später wurden Kasinos zu Glücksspiel-Orten und waren im Bewusstsein der Öffentlichkeit mit der Mafia verbunden. In den USA scheinen sie jetzt koscher zu sein, in Israel allerdings sind sie streng verboten. Las Vegas ist nun zur Hauptstadt der amerikanischen Politik geworden. Alles, was Adelson tut, tut er offen, stolz und schamlos. Ich frage mich, wie normale Amerikaner auf das Spektakel eines Milliardärs reagieren - noch dazu eines jüdischen -, in dem er zeigt, wie er ihnen den nächsten Präsidenten aussucht. Man sagt uns, in Europa und in der ganzen Welt nehme der Antisemitismus zu. In der verrückten Vorstellungswelt der Antisemiten kontrollieren die Juden den Kosmos. Und hier haben wir einen Juden, der gerade den Seiten der Protokolle der Weisen von Zion entsprungen zu sein scheint, denn er versucht, den Lenker des mächtigsten Landes auf dem Planeten zu bestimmen. In der Vergangenheit hatte Adelson keinen Erfolg. Letztes Mal gab er riesige Summen für einen hoffnungslosen Kandidaten aus und dann für den Republikaner, der bei der Nominierung gewonnen hatte, aber der wurde von dem liberalen schwarzen Gräuel Barack Obama gründlich verdroschen. Niemand kann jedoch sicher sein, dass sich das noch einmal wiederholt. Für Adelson kann der Wahlspruch lauten: "Wenn es mit dem Geld nicht geklappt hat, versuch’s mit mehr Geld!" DAS GRUNDPROBLEM ist, dass der amerikanische politische Prozess vollkommen korrupt ist. Man kann es nicht anders ausdrücken. Um für eine große Partei nominiert und dann zum Präsidenten gewählt zu werden, braucht man riesige Summen Geld. Da das Hauptschlachtfeld das Fernsehen ist und die Kandidaten die Sendezeit bezahlen müssen, werden diese Summen immer größer. Es ist nett zu denken, dass normale Bürger mit ihren bescheidenen Spenden genügend Geld zusammenbringen können, aber das ist eine Illusion. Spenden dieser Größenordnung können nur von den Reichen, besonders von den sehr, sehr Reichen, kommen. (Amerikaner mögen dieses verräterische Wort nicht mehr und sprechen deshalb von "den Wohlhabenden". Aber das ist nur eine Beschönigung.) Die sehr Reichen nannte man früher Millionäre, dann Multimillionäre und jetzt Milliardäre. Adelson ist ein Multimilliardär. Ein Milliardär gibt für einen Präsidentschaftskandidaten ein Vermögen nicht umsonst aus. Auf diese Weise ist er schließlich nicht Milliardär geworden. Wenn er erst einmal erreicht hat, dass sein Kandidat oder seine Kandidatin gewählt worden ist, fordert er sein Pfund Fleisch, viele Pfunde. Man hat mir erzählt, dass Adelson will, dass das Glücksspiel im Internet verboten wird, damit die normalen, waschechten Kasinos florieren können. Ich zweifele jedoch nicht daran, dass ihm seine rechten zionistischen Leidenschaften wichtiger sind. Wenn es ihm gelingt, seinen Mann im Weißen Haus unterzubringen, werden die USA der extremen Rechten in Israel vollkommen dienstbar werden. Er könnte ebenso gut gleich Netanjahu ins Oval Office setzen. (Und warum auch nicht? Da wäre nur eine kleine Verfassungsänderung nötig. Was mag die kosten?) Das wäre mir schon recht, wenn Adelson wirklich irgendetwas vom israelisch-arabischen Konflikt verstände. Mit der für sehr Reiche typischen Arroganz denkt er, er verstände etwas davon. Er scheint jedoch nicht die geringste Vorstellung von den Ursachen des Konflikts, seiner Geschichte und den akuten Gefahren zu haben, die in unserer Zukunft lauern. Wenn Adelson unsere Zukunft bestimmen könnte, würde das für unser Land die Katastrophe bedeuten. UNSER POLITISCHES System ist nicht ganz so korrupt wie das amerikanische, aber es ist schon schlecht genug. Israelische Parteien, die an den Wahlen teilnehmen, bekommen, ihrer Größe in der letzten Knesset entsprechend, kostenlose Sendezeiten im Fernsehen. Etwas Sendezeit wird auch den neuen Parteien eingeräumt. Das genügt aber bei Weitem nicht, um einen Wahlkampf zu führen. Die Parteien dürfen nur eine bestimmte Spendensumme annehmen und auch nur eine bestimmte Summe ausgeben. Die Rechnungsprüfer kontrollieren streng. Und damit kommen wir auf Olmert zurück. Kein ehrgeiziger Politiker gibt sich mit der erlaubten Summe zufrieden. Viele suchen nach Tricks, um die Rechnungsprüfungen zu umgehen, indem sie manchmal die Grenzen der Legalität ausnutzen, sie aber auch oft überschreiten. Olmert wurde in der Vergangenheit einige Male verdächtigt, illegales Geld eingesetzt zu haben, es gelang ihm jedoch immer, sich aus der Affäre zu ziehen. Auf diese Weise gegen das Gesetz verstoßen ist eine Straftat, aber in der Vergangenheit verurteilte die israelische Öffentlichkeit diese nicht allzu heftig. Die allgemeine Haltung war: "Politiker sind eben Politiker". Diese Haltung änderte sich, als zum ersten Mal herauskam, dass Politiker nicht zugunsten ihrer Partei, sondern zu ihren eigenen Gunsten Bestechungsgelder angenommen hatten. Den ersten großen derartigen Skandal deckte mein Magazin 1976 auf. Er betraf Ascher Jadlin, einen Führer der Arbeitspartei, der gerade zum Direktor der Bank von Israel ernannt worden war. Anscheinend hatte er das Bestechungsgeld für sich und nicht für seine Partei genommen und er kam ins Gefängnis. Seitdem sind viele derartige Fälle aufgedeckt worden. Einige Minister wurden ins Gefängnis gesteckt. Einer hat seine Haftzeit abgeleistet, ist wieder zurück und spielt eine wichtige Rolle in der Knesset. Ariel Scharon und Avigdor Lieberman entgingen nur mit knapper Not einer Anklage. (Die Geschichte über einen ehemaligen Erziehungsminister habe ich schon einmal erzählt. Ein Kollege sagte zu ihm: "Gratulieren Sie mir! Ich bin freigesprochen worden!" Er hatte ihm trocken geantwortet: "Komisch. Ich bin noch nie freigesprochen worden!") Olmert ist der neueste Fall und er stellt alle anderen in den Schatten, weil er Ministerpräsident war. Das Land ist schockiert. Sein langer Berufsweg ist jedoch mit Anklagen befleckt, aus denen ihn seine Verteidiger immer gerettet haben. Zuerst nahm er Geld für seinen Wahlkampf, später nahm er Geld für sich privat. ES GIBT keine Möglichkeit, die Korrumpierung des politischen Prozesses in den USA - oder hier - rückgängig zu machen, ohne das Wahlsystem zu verändern. Solange jemand riesige Geldsummen braucht, um gewählt zu werden, wird Korruption uneingeschränkt herrschen. So lange, wie keine derartige Reform stattfindet, werden die Adelsons und die Olmerts die Demokratie korrumpieren Und das Monstrum auf dem Hügel in Jerusalem steht dort zur Warnung. Aus dem Englischen von Ingrid von Heiseler Weblinks: Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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