Jürgen Grässlin: Trauerrede für Ulli ThielJürgen Grässlin hielt im Namen der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) am Mittwoch, den 16. April 2014, in der Großen Kapelle des Hauptfriedhofs Karlsruhe, eine Trauerrede für Ulli Thiel. Dabei würdigte er insbesondere dessen jahrzehntelanges Engagement für diese älteste Organisation der deutschen Friedensbewegung, aber auch seine Rolle für das Zustandekommen der Menschenkette von Stuttgart nach Neu-Ulm 1983 und als Erfinder des Mottos "Frieden schaffen ohne Waffen".
Von Jürgen Grässlin Liebe Sonnhild und Kinder, liebe Angehörige, liebe Bekannte, Ulli hat mich vor dreieinhalb Wochen - knapp drei Wochen vor seinem Tod - gebeten, die Trauerrede im Namen der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) zu halten. Einem Ansinnen, dem ich einerseits gerne, andererseits mit einem tiefen inneren Schmerz nachkomme. Vieles von dem, was ich von Ullis friedenspolitischem Engagement erzählen möchte, trifft auch auf seine Ehefrau Sonnhild zu. Du, liebe Sonnhild, hast mit Ulli - ich zitiere - "in einer Einheit gelebt". Ihr habt im Friedensbereich nahezu alles gemeinsam geplant und umgesetzt. Als junger Mensch wurde Ulli Thiel geprägt durch die kirchliche Jugendarbeit. In einer Zeit, da die Jugendlichen in seinem Umfeld alle zur Bundeswehr gingen, sagte ein Pfarrer zu ihm: "Es gibt auch einen anderen Weg." Gemeint war der der Kriegsdienstverweigerung. Das war der Anstoß für Ulli, sich mit dieser Frage ernsthaft auseinanderzusetzen. Friedenspolitisch geprägt hat ihn vor allem der US-amerikanische Bürgerrechtler, Pfarrer und Friedensnobelpreisträger von 1964: Martin Luther King. Von dem er schon in jungen Jahren Bücher las, Ideen in sich aufsog und somit Kraft für die spätere Friedensarbeit schöpfte. Mehr als drei Jahrzehnte danach reisten Ulli und Sonnhild mit Friedensfreunden auf Kings Spuren durch die USA. Im Jahr 1968 wurde der Kriegsdienstverweigerer Ulli Thiel Mitglied bei der Ortsgruppe der DFG-IdK Karlsruhe. Ulli hat sich mit seiner ganzen Kraft auf allen Ebenen - in der Ortsgruppe Karlsruhe, im Landesverband Baden-Württemberg und im Bundesverband - bei uns eingebracht. Im Bundesvorstand saß er gemeinsam mit Martin Niemöller - eine beeindruckende und prägende Erfahrung. "Niemöllers Wort hatte Gewicht", sagte Ulli. Seines nicht minder. Allerdings ist ihm im Bundesverband, was ich nicht verschweigen will, leider nicht immer nur Gutes widerfahren. Mit seiner starken Stimme für den Pazifismus und die Gewaltfreiheit eckte er vor allem in den Siebzigerjahren auf Bundesebene an. Er war und blieb standhaft. Für viele von uns war er ein Fels in der Brandung. "Der Weg muss dem Ziel entsprechen", meinte Ulli zu Recht. Mehr als der Bundesverband waren die Ortsgruppe Karlsruhe und der hiesige Landesverband seine politische Heimat. Seit Mitte der Siebzigerjahre befand sich die Geschäftsstelle des Landesverbands in Karlsruhe, bis 1988 in Sonnhilds und Ullis Haus in der Alberichstraße. Friedenspolitisch bekannten die Thiels in vielen Bereichen Farbe. Bei der Aktion "Koffer packen" unterstützten sie Zivildienstleistende. Diese forderten, dass der Zivildienst genau so lange - und eben nicht länger - als der Kriegsdienst dauern sollte. Wer den Zivildienst vorzeitig abbrach, machte sich strafbar. Das aufrichtige und mutige friedenspolitische Engagement von Ulli und Sonnhild zeitigte zuweilen dramatische Folgen. Zweimal mussten die Thiels Hausdurchsuchungen über sich ergehen lassen. Im Jahr 1978 erfand Ulli Thiel den Slogan der Friedensbewegung: "Frieden schaffen, ohne Waffen!" Er musste "knobeln um eine griffige Formulierung", sagte mir Ulli, dessen Slogan sich erst einmal durchsetzen musste. Lächelnd erzählte er, wie er mit zwei Leuten in einem Auto saß, seinen Slogan verkündete und einer der beiden Mitfahrer meinte: "Reimt sich, klingt gut, aber populär wird das nicht." Der Mitfahrer sollte sich irren. Kein anderer Slogan beeinflusste die westdeutsche Friedensbewegung mehr als dieser. Kein anderer sollte mehr Aktionen und Kampagnen prägen, wie der des DFG-VK-Aktivisten Ulli Thiel. "Frieden schaffen ohne Waffen" wurde zum ausdrucksstarken Motto der Friedensbewegung in der BRD gegen die Militarisierungspolitik unter der Ägide von Helmut Kohl. Der Bundeskanzler sah sich gezwungen, auf Ullis Vorgabe zu reagieren. Doch das Regierungsmotto "Frieden schaffen mit immer weniger Waffen" war - angesichts der Steigerung bei den Rüstungsexporten, der forcierten Aufrüstung und dem menschheitsbedrohenden atomaren Overkill in der Ära des Kalten Krieges - schlichtweg verlogen. Was dank dir und deinen Aktivitäten, lieber Ulli, offenbar wurde. Bei der Versammlung der süddeutschen Friedensbewegung in Ulm mit mehr als tausend erregten Aktivistinnen und Aktivisten, an die sich Ulli bis zuletzt bestens erinnerte, spielte er eine entscheidende Rolle. Die Fragen, ob es im Herbst 1983 in Süddeutschland nur in Stuttgart eine Großkundgebung oder - so die harte Linie - ausschließlich Blockaden gegen die atomare Hochrüstung geben sollte, beantwortete Ulli Thiel mit einem differenzierten Vorschlag: ja, eine Großkundgebung in Stuttgart - ja, Blockaden auch in Neu-Ulm - und beide Aktionen als Einheit der Friedensbewegung verbunden durch eine Menschenkette von Stuttgart bis Neu-Ulm. Ein waghalsiges Unterfangen. "Alle wollten mitreden. Ich wollte niemanden außen vor lassen", beschrieb Ulli sein damaliges Vorgehen auf dem Ulmer Friedenstreffen. "Ich kam mir vor wie ein Löwenbändiger." Sagte Ulli mit einem Grinsen im Gesicht, da der Löwenbändiger erfolgreich handelte. Bis heute ist die 108 Kilometer lange, lückenlose Menschenkette - bei der viele Wegabschnitte sogar doppelt und dreifach besetzt waren - die längste in der Geschichte der bundesdeutschen Friedensbewegung. Und sie ist bis zum heutigen Tag die beeindruckendste Machtdemonstration der Friedensbewegung in Deutschland. Über die Jahre hinweg hat Ulli Thiel aberhunderte von Friedensveranstaltungen, Aktionsstände und Mahnwachen, Schweigestunden und Podiumsdiskussionen organisiert. Er hat zahllose Leserbriefe geschrieben und sich in so vielen Redebeiträgen kraftvoll zu Wort gemeldet. Immer klar in der pazifistischen Position, nie den politischen Gegner beleidigend, immer die Würde des anderen achtend. Nicht nur uns in der DFG-VK wird er mit so viel Positivem, so viel Aufbauendem und so viel Mutmachendem in Erinnerung bleiben. Lasst mich zum Schluss noch ein paar persönliche Worte anmerken: Meine Karlsruher Buchlesung zum Thema Waffenhandel am 12. September vergangenen Jahres, die auf Ullis Initiative zustande kam, war seine letzte öffentliche Veranstaltung - wie er betonte. Tosend war der Beifall, der ihm und Sonnhild an diesem Abend gezollt wurde. Am intensivsten aber bleibt mir die Erinnerung an unser zweieinhalbstündiges Gespräch, unser letztes Treffen im Wohnzimmer von Sonnhild und Ulli, das längst zum Aufenthalts- und Schlafraum umfunktioniert worden war. Hier befand sich einst die Landesgeschäftsstelle unseres Verbandes. Hier haben wir lange Jahre unsere Landesaktiventreffen abgehalten. Von der schweren Krankheit gezeichnet, der du mehr als ein Vierteljahrhundert erfolgreich entgegen getreten bist, machtest du bei diesem langen Gespräch und intensiven Gedankenaustausch selbst im Angesicht des nahenden Todes einen gefassten Eindruck. Ich habe auch dein Lächeln vor Augen angesichts der erbaulichen Erinnerungen an die unendlich vielen erfolgreichen Aktivitäten und gewaltfreien Aktionen für Frieden und Gerechtigkeit. Lieber Ulli, du warst ein über alle Maßen engagierter Pädagoge, ein bewundernswerter Aktivist, ein standhafter Pazifist, Humanist und Christ. Ein Vorbild in allerbestem Sinne. Du bist und bleibst unersetzlich, du wirst uns fehlen. Die DFG-VK, die Friedensbewegung, wir alle verdanken dir unendlich viel. Liebe Sonnhild, mein Schlusssatz aber gilt dir: Wann immer du unsere Unterstützung und Hilfe benötigst, lass es uns wissen. Wir wollen jederzeit für dich da sein.
Jürgen Grässlin
ist Bundessprecher der
Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK)
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