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Syrien: Entsorgung mit Hindernissen fast am Ziel

Bislang mehr als 92 Prozent der syrischen Chemiewaffen außer Landes gebracht

Von Wolfgang Kötter

Nach anfänglichen Schwierigkeiten darf die Abrüstung der chemischen Waffen Syriens als Erfolgsgeschichte gewertet werden. Der Abtransport der syrischen Chemiewaffen zur Vernichtung außer Landes ist auf der Zielgeraden: Bis Ende Juni soll die anspruchsvolle Mission abgeschlossen sein. So haben es der UNO-Sicherheitsrat und die Chemiewaffenorganisation OPCW beschlossen. Bis zum Donnerstag waren 92,5 Prozent oder rund 1139 Tonnen der Bestände geschafft, wie die OPCW in Den Haag mitteilte. "Zwei bis drei letzte Transporte" seien noch notwendig, sagte Generalsekretär Ahmet Üzümcü und sprach von einer "ermutigenden Beschleunigung" auf der syrischen Seite.

Die Operation erweist sich als außerordentlich kompliziert und gefährlich. Im August vergangenen Jahres waren bei wiederholten Angriffen mit Chemiewaffen in Syrien mehrere Hundert Menschen getötet und verwundet worden. Die Täter konnten bis heute nicht eindeutig bestimmt werden, denn Regierung und Opposition beschuldigen sich gegenseitig. Dennoch drohten die USA der Assad-Regierung militärische Vergeltungsschläge an. Durch eine auf nachdrücklichen russischen Druck zustande gekommene Bereitschaftserklärung, der Chemiewaffenkonvention beizutreten und alle Kampfstoffe unter internationaler Kontrolle vernichten zu lassen, konnte Syriens Regierung die Militäraktion jedoch abwenden.

Internationale Verpflichtung Syriens zur chemischen Abrüstung

Der UN-Sicherheitsrat und die OPCW beschlossen im September, dass die Kampfstoffe sowie ihre Ausgangsprodukte, Produktionsanlagen, Lagerstätten und Trägermittel bis Mitte 2014 zu vernichten sind. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon bildete zur Überwachung der Zerstörung aller syrischen Chemiewaffen ein gemeinsames Team der UNO und der Organisation für das Verbot chemischer Waffen mit insgesamt rund 100 Experten. Die OPCW übernahm die technische Führung und die UNO die strategisch koordinierende Rolle. Zur Sonderkoordinatorin der gemeinsamen Mission wurde die niederländische Diplomatin Sigrid Kaag ernannt.

Die syrische Regierung hatte zunächst innerhalb der gesetzten Frist eine Aufstellung ihres Chemiewaffenarsenals von 23 Lager- und Produktionsstätten für C-Waffen und rund tausend Tonnen Giftgas vorgelegt, die sich später aber eher als 1 300 Tonnen herausstellten. Darunter befanden sich Vorräte an Sarin, Senfgas und das Nervengas VX. Angesichts der Unwägbarkeiten durch die gewaltsamen militärischen Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Aufständischen bei einer Vor-Ort-Beseitigung der Chemiewaffen entschied man sich für eine Vernichtung außer Landes als erfolgversprechendere Option. An der Aktion nehmen mehr als 20 Staaten mit spezifischen Beiträgen teil.

Eine komplizierte und gefährliche Operation

Anfang Januar dieses Jahres begann der Abtransport von Kampfstoffen aus der syrischen Hafenstadt Latakia mit dänischen und norwegischen Frachtern über den Containerhafen im süditalienischen Gioia Tauro auf das im Mittelmeer stationierte US-Kriegsschiff "Cape Ray". Die Chemikalien werden dort durch das Hydrolyse-Verfahren neutralisiert und können anschließend als Sondermüll weiterverarbeitet werden. Die Vernichtung weiterer Kampfstoffe erfolgt in den USA und Finnland. Ein Teil der Chemiewaffen sowie anderer Vorprodukte und Abfälle, einschließlich der relevanten industriellen chemischen Stoffe, werden außerdem von privaten Unternehmen entsorgt, wozu sich weltweit rund 35 Unternehmen bereit erklärten. Die britische Regierung übernahm bis zu 150 Tonnen aus Syrien abtransportierter Chemiewaffen zur Entsorgung in Ellesmere Port bei Liverpool. Großbritannien stellt wie auch China Schiffe zum Schutz der Transportschiffe zur Verfügung. Die deutsche Fregatte "Augsburg" mit 190 Besatzungsmitgliedern wurde dem US-Spezialschiff "Cape Ray" zur Seite gestellt. Ursprünglich wollten die NATO und Russland gemeinsam dessen Begleitschutz gewährleisten. Wegen des Ukraine-Konflikts hat die NATO jedoch diesen Teil der Zusammenarbeit mit Moskau aufgekündigt. Russische Streitkräfte von der Marinebasis Tartus schützen aber weiterhin den Transport auf dem Landweg und im Hafen Latakia. Über eine Luftbrücke liefert Russland zudem Ausrüstungen und Spezialtechnik zur Entsorgung von C-Waffen, ebenso wie Schützenpanzerwagen sowie 65 LKW als Transportmittel.

Nachdem Deutschland seine Hilfe zunächst auf technische und logistische Unterstützung für die Vernichtung außerhalb Deutschlands beschränkt hatte, ging Berlin dann doch einen Schritt weiter und erklärte sich bereit, Reststoffe syrischer Chemiewaffen in der Bundesrepublik zu vernichten. Dabei handelt es sich um 370 Tonnen sogenanntes Senfgas-Hydrolysat, das im Zuge der irreversiblen Neutralisierung chemischer Kampfstoffe entsteht. Die Chemikalie ist vergleichbar mit flüssigen Industrieabfällen. Die Verbrennung übernimmt die bundeseigene Gesellschaft zur Entsorgung von chemischen Kampfstoffen und Rüstungsaltlasten (GEKA) im niedersächsischen Munster. Das Hydrolysat wird in Tanks mit Schiffen nach Deutschland gebracht und dann per LKW und Bahn weiter zur Verbrennungsanlage in die Lüneburger Heide nach Munster transportiert. Die Chemikalie wird bei der Verbrennung vollständig zerstört. Es bleiben nur 30 bis 40 Tonnen ungefährliche Salze übrig, die in der Sondermülldeponie Sondershausen entsorgt werden.

Trotz internationaler Schutzmaßnahmen kam es wiederholt zu militärischen Angriffen auf Chemiewaffentransporte, auf zu schleifende Produktionsstätten, auf Wohnquartiere der Inspektoren und sogar erneut zum Einsatz von Giftgas. Darüber hinaus verzögerten schlechtes Wetter, logistische Probleme und fehlende Ausrüstung den ursprünglichen Zeitplan, sodass immer wieder ursprünglich festgelegte Termine nicht eingehalten wurden.

Syriens Chemiewaffenprogramm wurde auch aus dem Ausland gefördert

So begrüßenswert die internationalen Bemühungen auch sind. Es sollte nicht vergessen werden, dass Firmen aus zahlreichen Ländern das Chemiewaffenarsenal Syriens mit der Lieferung von Bauteilen und Stoffen für Waffenfabriken erst ermöglichten. Auch deutsche Firmen haben eine große Rolle beim Aufbau des syrischen Giftgas-Programms gespielt. Das Ausmaß geht Medienberichten zufolge aus einer Mitteilung der OPCW an die Bundesregierung hervor. Auf der Liste werden mehr als 50 Lieferungen deutscher Firmen aufgezählt, die 1982 bis 1993 an Syrien gegangen sein sollen. Dem Dokument zufolge wurden über ein Jahrzehnt lang Dual-Use-Güter wie Steuerungsanlagen, Pumpen, Kontrollventile, Gas-Detektoren, eine Chemiewaschanlage und 2 400 Tonnen einer Schwefelsäure, die zur Produktion des Giftgases Sarin genutzt werden kann, nach Syrien verkauft. Erwähnt werden ebenfalls deutsche Projektskizzen für den Bau von zwei Anlagen zur Produktion von Vorstoffen für den Nervenkampfstoff Sarin aus den Jahren 1983 und 1984. Neben deutschen Unternehmen waren auch Firmen aus anderen Staaten wie Indien, China, Libanon, Russland, Frankreich und den USA am Aufbau des syrischen Giftgasprogramms beteiligt. Die Namen der betroffenen Unternehmen allerdings blieben ungenannt.

Chemiewaffen

Unter chemischen Waffen werden Substanzen zusammengefasst, die zur Tötung oder Verletzung von Menschen eingesetzt werden. In der Chemiewaffenkonvention werden zudem die zur Produktion verwendeten Vorgängerstoffe und die Verteilungsgeräte (Granaten, Raketen oder Sprühvorrichtungen) zu den chemischen Waffen gezählt.

In der Konvention verpflichten sich die Mitgliedstaaten, ihre chemischen Waffen zu vernichten, ihre Herstellung zu stoppen und die Produktionsanlagen zu vernichten. Die Chemiewaffenorganisation OPCW mit Sitz in Den Haag kontrolliert die Umsetzung des Abrüstungsabkommens, dem derzeit 190 Staaten angehören.

Senfgas

Senfgas, auch unter den Namen Lost, Yperit oder Gelbkreuz bekannt, ist ein hochwirksames Hautgift, das 1822 entdeckt wurde. Die Verbindung gehört zu den organischen Schwefelverbindungen. Das Kontaktgift dringt innerhalb von Minuten durch Kleidung und Haut in den Körper ein. Der Hautkontakt mit flüssigem Senfgas verursacht schmerzhaft brennende Blasen und Verätzungen. Zudem kann der übermäßige Kontakt der Augen mit Senfgas zum Erblinden führen. Durch das Einatmen von Giftgasschwaden wird das Lungengewebe zerstört. Das Gas schädigt jedoch auch Nerven sowie das Herzkreislauf-System, erhöht das Krebsrisiko und kann sogar tödlich sein.

Sarin

Sarin ist eine geruch- und farblose Phosphorverbindung und zählt zu den giftigsten Kampfstoffen, die je hergestellt wurden. Der Stoff kann durch Einatmen und über die Haut in den Körper gelangen und kann schon bei einer Menge von einem Milligramm in Minuten zu Atemlähmung und Herzstillstand führen. Das Gas wurde Ende der 1930er Jahre von dem deutschen Chemiker Gerhard Schrader bei IG Farben als Insektenvernichtungsmittel entwickelt und im Zweiten Weltkrieg als Kampfstoff produziert, jedoch nicht eingesetzt.

VX

Der Nervenkampfstoff VX wurde 1952 entdeckt. Es handelt sich um eine farb- und geruchlose, durch Verunreinigungen oft leicht gelbliche, ölige Flüssigkeit. Das Gift dringt über die Haut, die Augen und die Atemwege in den Körper ein und verursacht zuerst Husten und Übelkeit. Dann lähmt es die Atemmuskulatur und führt innerhalb weniger Minuten unter starken Krämpfen und Schmerzen zum Tod.

Veröffentlicht am

01. Mai 2014

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