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Stellvertreterkrieg: Postillon d’Arme

Kehrt mit dem bewaffneten Konflikt in der Ostukraine ein Phänomen des bipolaren Zeitalters zurück?

Von Lutz Herden

Selbst seine ärgsten Kritiker sollten inzwischen begriffen haben, dass Wladimir Putin über keinen Masterplan zum Umgang mit der Ukraine verfügt. Zumindest keinen, der dem Krim-Szenario folgt. Die Ostukraine anschließen zu wollen, käme weltpolitischem Harakiri gleich. Die Variante, dank vorwiegend russischer Aufständischer den ukrainischen Staat permanent zu destabilisieren, würde dessen Bankrott beschleunigen. Dies wäre ebenfalls kaum ratsam. Pleitiers begleichen keine Schulden, was russischen Gläubigern - von Banken bis zu Energieunternehmen - nicht gefallen wird. Sicher sind die Aufrührer in der Ostukraine auf Moskau angewiesen, aber nicht dessen willige Kreaturen. Allein, was ihnen mit den "Volksrepubliken" von Donezk und Lugansk an antioligarchischen Enteignungen vorschwebt, dürfte im durchkapitalisierten Russland auf wenig Gegenliebe stoßen.

Auf der anderen Seite vereinfacht genauso, wer die ukrainische Regierung zum Handlanger eines von den USA forcierten Rauswurfs der Russischen Föderation aus Europa erklärt. Auch wenn nicht zu leugnen ist, dass die Interessen Kiews und Washingtons derzeit mehr denn je korrespondieren.

Das Verhältnis zwischen Russland und den Donezker Sezessionisten sowie zwischen den USA und den Kiewer Nationalisten auf das Rollenspiel Herr und Knecht zu reduzieren, würde den Realitäten nur in Maßen gerecht. Ungeachtet dessen spricht einiges dafür, dass die Stellvertreterkriege des Ost-West-Konflikts eine Renaissance erleben wie dieser selbst. Auch der Kampf um Syrien scheint in dieses Raster zu passen. Wer die dort Beteiligten an und hinter den Fronten aufzählt, kommt weit herum in der arabischen Welt und Nordamerika, in der EU und in Russland.

Es gab Stellvertreterkriege zuhauf, als Amerikaner und Sowjets während des Kalten Krieges gegeneinander die Hand erhoben, aber nie mit letzter Kraft zuschlugen, um den heißen Krieg zu vermeiden. Allzu schnell und unwiderruflich konnte der in eine thermonukleare Konfrontation und Selbstvernichtung münden. Doch fehlte es zwischen 1945 und 1990 nicht an Konfliktherden, bei denen die USA und UdSSR als Schutzmächte bzw. Verbündete von Konfliktparteien aufeinanderstießen. Es war üblich, strategischen wie ideologischen Interessen über Drittstaaten Geltung zu verschaffen, so jedenfalls das Prinzip, dem die Praxis nie vollends gehorchte.

Jeder gegen jeden

Man denke an Vietnam zwischen 1965 und 1975, als gut 500.000 US-Soldaten die offene Feldschlacht mit einer Nationalen Befreiungsfront und der nordvietnamesischen Regierungsarmee suchten, die sich beide von der Sowjetunion finanziell und militärisch alimentiert fanden. Ein typischer Stellvertreterkrieg, den die USA aufgaben, weil sie das opferreiche Patt mit ihren Gegnern nicht durchhielten. Freilich ließ sich schon bei der Frage, wer hat 1975 gesiegt, das Muster vom Meister und seinem Helfer nicht aufrechterhalten. So sehr Vietnams nationalkommunistische Führung den Beistand der Sowjetunion schätzte, so wenig wollte sie deren Paladin in Indochina, sondern vielmehr souverän sein. Bis heute schmücken noch die kleinste Gemeinde im Großraum Hanoi Graffiti, die an das Vermächtnis des Staatsgründers Ho Chi Minh erinnern: "Nichts ist wertvoller als Unabhängigkeit und Freiheit!" Der Stellvertreterkrieg hinterließ in Indochina keinen Stellvertreterstaat.

Ab 1979 wiederholte sich in Afghanistan Vergleichbares unter umgekehrten Vorzeichen. Als Moskau intervenierte, verhielten sich die USA wie die Sowjets in Vietnam. Durch Waffen und Geld wurde dem "Heiligen Krieg" afghanischer und pakistanischer Mudschaheddin gegen die Ungläubigen zu mehr Wucht verholfen und das sowjetische Afghanistan-Korps zermürbt. Islamistische Rebellen avancierten zu Vorposten einer antisowjetischen, teils westlichen Staatenkoalition, ohne je deren Stellvertreter zu sein. Es kam zueinander, was nicht zusammengehörte. Der Dschihad behauptete seine fundamentalistische Agenda und ließ sich von den Amerikanern dabei helfen, diese mit materieller Gewalt auszustatten. Prompt hatte sich das Arrangement erledigt, als die Taliban 1996 ihr afghanisches Kalifat ausriefen und Freunde wieder zu Feinden wurden - zu Todfeinden, wie der 11. September 2001 zeigen sollte.

Wurde am Hindukusch wirklich ein Stellvertreterkrieg geführt - wer hat dann wen vertreten? Vor allem, wer wen instrumentalisiert? Offenbar jeder jeden. Was darauf hindeutet, dass Stellvertreterkriege ein irrlichterndes Phänomen sind, Begriff und Mythos zugleich. Konflikte mit diesem Etikett zu versehen, das heißt, von vielem zu abstrahieren, was diese tatsächlich prägt. Auch wenn die Taliban den Transfer von US-Militärtechnologie gern in Anspruch nahmen, bewahrten sie dabei ihre religiöse wie politische Authentizität, waren nicht Stellvertreter der USA, sondern allein Vertreter ihrer selbst.

Festzuhalten bleibt, der lupenreine Stellvertreterkrieg, bei dem sich temporäre Bundesgenossen von Großmächten als Werkzeug fremder Interessen verstanden und eigene Ziele verleugneten, blieb Fiktion. Auf die Ukraine übertragen bedeutet das: Der Irredentismus im Osten ist unzulänglich beschrieben, wird darin nur Erfüllungshilfe großrussischer Ambitionen vermutet. Die Aufständischen gebieten über eigene Programmatik, die aus der Zeit gefallen wirkt, weil sie sowjetisch anmutet. Kein Zufall, denn in der Ukraine entladen sich seit langem schwelende postsowjetische Konflikte. Sie gehen darauf zurück, dass der Staat Sowjetunion in den mehr als 70 Jahren seiner Existenz eine historische Identität erwarb, die sich 1991 nicht einfach verscharren ließ. Sie war mehr als die Summe der 15 Sowjetrepubliken, aus denen schwerlich 15 Nachfolgestaaten werden konnten, deren territoriale Integrität allzeit gesichert blieb. Vielfach wurde durch Einwirkung von außen - nicht nur Russlands, auch der USA und der EU - eine ohnehin fragile Staatlichkeit zusätzlich erschüttert. Das war in Armenien und Aserbaidschan nicht anders als in Moldawien und Georgien. Oder in der Ukraine, die ein Vierteljahrhundert lang zwischen Russland und dem Westen lavierte, bis klar wurde, wie sehr staatliche Existenz und territoriale Integrität auseinanderfallen können. Wie unwiderruflich weit - darum wird gerade gekämpft. Auch durch Zweckallianzen, mit denen der Stellvertreterkrieg der bipolaren Ära als postpolares Phänomen zurückkehrt.

Quelle: der FREITAG vom 21.07.2014. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

21. Juli 2014

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