Auf den Spuren des Ersten Weltkriegs unterwegsVon Michael Schmid (aus: Lebenshaus Schwäbische Alb, Rundbrief Nr. 82 vom September 2014. Der gesamte Rundbrief Nr. 82 kann hier heruntergeladen werden: PDF-Datei , 654 KB.) Liebe Freundinnen und Freunde, vor einigen Wochen haben wir eine kleine Reise in die Vogesen gemacht. Unsere Absicht war es, uns 100 Jahre nach Beginn des Ersten Weltkriegs auf die dort noch vielerorts sichtbaren Spuren zu begeben. Unser erstes Ziel war der knapp 1.000 Meter hohe Hartmannsweilerkopf in den Südvogesen, im Ersten Weltkrieg zwischen Deutschen und Franzosen erbittert umkämpft. Die Soldaten beider Seiten gruben, mauerten, betonierten Bunker und Schützengrabennetze, die teilweise kaum 30 Meter voneinander entfernt waren. Die deutsche wie die französische Seite hat am Hartmannsweilerkopf immer wieder Offensiven und Gegenoffensiven gestartet, jede mit noch größerer Feuerkraft und mit noch höheren Opfern als die vorherige. Tonnen von Bomben, Minen und Granaten machten aus dem Wald so etwas wie eine Mondlandschaft. Obwohl nur Nebenkriegsschauplatz an der Westfront, starben etwa 30.000 französische und deutsche Soldaten auf dem Hartmannsweilerkopf. Und dies letztlich für nichts als Prestige und Symbolik. Als wir das Hochplateau dieses "Menschenfresser"-Berges erklommen hatten, stießen wir auf ein noch gut erhaltenes System von Schützengräben, das wir begehen konnten. Der Wahnsinn, der sich an diesem Ort vor 100 Jahren abgespielt hat, war zu erahnen, die ganze Absurdität des Ersten Weltkriegs hier abzulesen. Erschütternde Zeitzeugen der "ersten industriellen Massenabschlächterei"Nachdem wir unsere Reise durch die herrliche Vogesenlandschaft fortgesetzt hatten, kamen wir schließlich zum Lingekopf. Hier in der Nähe war ich bereits als 16-jähriger Jugendlicher mit den Pfadfindern zum Zelten und auch später als junger Erwachsener zeltete ich noch zwei Mal mit Freunden auf der Anhöhe, die weit oberhalb des Städtchens Munster liegt. Natürlich tauchte bei der jetzigen Reise die Frage auf, ob und welche Rolle es damals vor Jahrzehnten für mich spielte, dass wir inmitten eines im Ersten Weltkrieg massiv umkämpften Gebiets zelteten. Soweit ich mich erinnere, nahm ich damals zwar ein paar Spuren dieses furchtbaren Krieges wahr. Was ja aber auch nahelag, zumal wir unsere Zelte unmittelbar an der Kante von tiefen Mulden aufschlugen, welche durch Bomben und Granaten tief in den Boden hineingefressen waren. Aber um die Bedeutung dieser ehemaligen Kriegslandschaft zu begreifen, dazu haben mir damals wohl zumindest die Informationen gefehlt. Und ein kritisches Nachdenken über den Krieg spielte damals, 1967, ganz sicher keine Rolle. Also am Lingekopf besuchten Katrin und ich bei unserer jetzigen Reise ein weiteres Schlachtfeld des Ersten Weltkrieges, auf dem bei besonders verlustreichen Kämpfen zwischen Franzosen und Deutschen alleine von Juli bis Oktober 1915 17.000 Soldaten beider Seiten ihr Leben verloren. Danach folgte ein bis zum November 1918 dauernder Stellungskrieg zwischen den deutschen und französischen Kräften. Wir ließen das heute unter Denkmalschutz stehende Schlachtfeld des Lingekopfes auf uns wirken. Die sehr gut erhaltene Infrastruktur des Verteidigungssystems der deutschen Streitkräfte und die Überreste der französischen Schützengräben im unbefestigten Erdreich sind erschütternde Zeitzeugen dieses sogenannten "Schützengrabenkrieges". Ein eindrückliches Zeugnis eines eher kleinen Kriegsschauplatzes im Rahmen der "ersten industriellen Massenabschlächterei auf unserem Kontinent." (Peter Bürger) Was war das Fazit unserer kleinen Exkursion zu den Kriegsschauplätzen in den Vogesen? Menschenrechte oder Wirtschaftsinteressen?Nur ein paar Wochen nach unserem Besuch auf dem Hartmannsweilerkopf waren Bundespräsident Gauck und der französische Präsident Hollande ebenfalls dort, um gemeinsam der Opfer des Krieges zu gedenken. Vor dem Hintergrund einer furchtbaren Geschichte von katastrophalen Kriegen gegeneinander ist dieses gemeinsame Gedenken an die Opfer beider Seiten wichtig und die deutsch-französische Versöhnung sehr wertvoll. Doch welche weiteren Lehren werden daraus gezogen? Welche Lehren zieht zum Beispiel der deutsche Bundespräsident? Bundespräsident Gauck fordert in seinen Reden die Deutschen immer wieder zu größerer Offenheit für Auslandseinsätze der Bundeswehr auf. So erklärte er im Juni, Deutschland "steht an der Seite der Unterdrückten. Es kämpft für Menschenrechte. Und in diesem Kampf für Menschenrechte oder für das Überleben unschuldiger Menschen ist es manchmal erforderlich, auch zu den Waffen zu greifen." Dies meint für Gauck eine höhere Bereitschaft für Bundeswehreinsätze im Ausland "als Ultima Ratio-Element einer Gesamtstrategie". In Reaktion auf solche Forderungen von Bundespräsident Gauck stellte Gerhard Kern, einer unserer Lebenshaus-Unterstützer, in einem Leserbrief an die Frankfurter Rundschau treffend fest: "Das Perfide an der ständig wiederholten Ultima-Ratio-These, also der Meinung, im äußersten Fall müsse auch Krieg geführt werden, ist, dass es ihren Verfechtern weniger um Humanität oder Verantwortung, sondern um das Durchsetzen eigener wirtschaftlicher Interessen weltweit geht. Nach ihrem Verständnis sollen um den Besitz der letzten Ressourcen auf unserem Erdball auch Kriege geführt werden." Letzteres sagt Gauck natürlich nicht so deutlich, zumal er ja darum weiß, wie es seinem Vor-Vorgänger im Amt, Horst Köhler, ergangen ist. Dieser war so "unvorsichtig", das beim Namen zu nennen, was deutsche Politik in den vergangenen über zwei Jahrzehnten immer deutlicher und offensiver verfolgt. Eine Exportnation wie die Bundesrepublik müsse wissen, so Köhler, dass "im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege". Genau das fand statt, als Köhler das Interview gab: Die deutsche Marine sicherte am Horn von Afrika die Handelswege gegen Piratenüberfälle ab. Daraufhin gab es massive Angriffe auf Köhler. Schließlich trat er vom Amt des Bundespräsidenten zurück. Da bemäntelt der aktuelle Bundespräsident seine Forderung nach größerer Unterstützung von Kriegseinsätzen der Bundeswehr dann doch lieber als "Kampf für Menschenrechte oder für das Überleben unschuldiger Menschen". Konstruktive Antworten auf WeltkriegskatastrophenWürde es um das Wahrnehmen einer echten Verantwortung gegenüber gering entwickelten Ländern, z.B. in Afrika, gehen, dann könnte ein erster Schritt darin bestehen, "unsere dorthin gelieferten Überproduktionen an Nahrungsmitteln zu stoppen und damit der dortigen Wirtschaft überhaupt erst einmal eine Entwicklungsmöglichkeit zu geben." (Gerhard Kern) Solche Schritte zu mehr weltweiter Gerechtigkeit und einem wirklichen Frieden, entwickelt ohne Waffengewalt, Rüstungsproduktion und Rüstungsexporten - das wären wirklich weiterführende, konstruktive Antworten auf die beiden Weltkriegskatastrophen, die vor 100 bzw. vor 75 Jahren begonnen wurden. Zugleich müsste es auch darum gehen, die real existierende Weltunordnung, die nur relativ wenige Menschen auf dem Globus reich macht und dabei buchstäblich über Leichen geht, zu überwinden. Das würde natürlich tief greifende Veränderungen auch bei uns erforderlich machen. Denn, wie stellt Peter Bürger zurecht fest: "Europa und unser Land gehören auf dem Kriegsschauplatz des unaufhörlichen Hungertodes zur Täterseite." Einstweilen ist aber zumindest zu hoffen, dass eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung weiterhin das Verlangen von Bundespräsident Gauck, Bundesaußenminister Steinmeier und der Militärministerin von der Leyen nach größerer Wahrnehmung militärischer Aktivitäten, die letztlich nichts anderes bedeuten als Kriegführung, eindeutig ablehnt. Und um die Vision einer Welt ohne Kriege voranzubringen, in der gerechte Verhältnisse selbstverständlich sind, brauchen wir ein Engagement mit langem Atem. Herzliche Grüße Euer / Ihr Michael Schmid Stärken Sie bitte das Engagement von Lebenshaus Schwäbische AlbUnser ganz großer Dank gilt allen jene tollen Menschen, die unsere Arbeit unterstützen. Ohne Sie/Euch wäre sehr vieles nicht möglich. Herzlichen Dank! Da wir unseren Weg möglichst konsequent und unabhängig weiter gehen möchten, ist Lebenshaus Schwäbische Alb fast ausschließlich auf Spenden, Mitgliedsbeiträge und zinslose Darlehen angewiesen. Unsere Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit, Aktionen und Veranstaltungen wie etwa die für diesen Herbst geplante Tagung und zwei Veranstaltungen mit Andreas Zumach, die Unterstützung von Menschen in schwierigen Lebenssituationen, die Personalkosten für eine 30-Prozent-Teilzeitstelle und einen Minijob sowie möglichst Abbau von Schulden erfordern erhebliche Finanzmittel. Und nun kommen - plötzlich und völlig ungeplant - noch einige Kosten im Zusammenhang mit dem Gebäude auf uns zu. Denn durch die Erneuerung der Bubenhofenstraße und der Leitungen, die dort geführt werden, müssen wir als Anlieger auch einige nicht gerade billige Arbeiten machen lassen (neue Zuleitungen zum Haus für Frischwasser, Strom, Breitbandkabel; Entwässerung der Hofeinfahrten). 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