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Der Wunderknabe

Porträt: Al Sharpton ist der Sprecher der Afroamerikaner im aufgewühlten Ferguson. Er hat eine schillernde Karriere hinter sich

Von Konrad Ege

Charismatisch, viel Selbstvertrauen, wendefähig: Der Lebenslauf des Bürgerrechtlers Al Sharpton, der gegenwärtig in den USA eine der zentralen Figuren bei der Auseinandersetzung um den Tod von Michael Brown ist, gäbe genug Material für einen Spielfilm. Kinogänger würden die wilde Geschichte kaum glauben wollen.

"Keine Gerechtigkeit, kein Frieden" - Pastor Sharpton, Chef des in New York ansässigen Verbandes National Action Network und Moderator beim Kabelkanal MSNBC, ist scheinbar allgegenwärtig auf den Bildschirmen, seit eine Jury die Entscheidung traf: Der Polizist Darren Wilson, der am 9. August in Ferguson den schwarzen, unbewaffneten Teenager erschossen hat, wird nicht angeklagt. Wie schon vor drei Monaten entladen sich daraufhin Protest und Wut in langen Nächten der Gewalt. Menschen verschwinden in Tränengasschwaden, und Präsident Barack Obama räumt ein, dass es bei der Polizei Rassismus gäbe, aber dieses Problem nicht gelöst werde, "indem man Flaschen wirft oder gar Menschen verletzt".

Al Sharpton hatte im August bei der Trauerfeier für Michael Brown die "Militarisierung der Polizei" angegriffen, sich sonst aber in die Tradition der Bürgerrechtsführer der sechziger Jahre gestellt, die einst vermittelten, nur sie könnten Gewalt auf der Straße verhindern. Auch Sharpton hält sich in dieser Hinsicht für prädestiniert und ist wenig beeindruckt, wenn ihn der konservative Fernsehsender Fox einen "Scharlatan" nennt.

79 Prozent der schwarzen Bewohner von New York City sagten bei einer Umfrage, Sharpton habe eine "positive Wirkung" auf die Stadt. Ungeachtet dessen schleppt der Gepriesene schweres Gepäck aus der Vergangenheit mit sich herum. Dieser Mann habe sich mehrmals neu erfunden, schrieb Newsweek bereits 2010 in einer Titelgeschichte, zu der das National Action Network noch heute verlinkt. Das hochgeföhnte Haar aus Sharptons jungen Jahren ist längst streng zurückgekämmt. Die bombastische Rhetorik gegen weiße Ausbeuter ist verklungen. Er habe es "von der Straße in die oberen Etagen" gebracht, so Sharpton kürzlich bei seinem 60. Geburtstag. Mehrmals hat er als Senator für New York kandidiert, 2004 sogar für das Präsidentenamt. Bei der Party stifteten McDonald’s, ATT und General Electric eine Million Dollar für Sharptons Aktionsnetzwerk. Barack Obama sprach bei der Jahresversammlung dieser Organisation.

In manchen Pfingstkirchen gibt es Kinderprediger - wortgewaltige Knirpse, von denen gesagt wird, sie verfügten über eine besondere Gabe des Heiligen Geistes. Al war so ein "wonder boy". Mit vier fing er an, probehalber predigte Sharpton zunächst zu den Puppen seiner Schwester. Mit zehn Jahren wurde er zum Pastor geweiht, dann ging es auf Tournee mit der legendären Gospel-Sängerin Mahalia Jackson. Mitte der Siebziger war Sharpton dann Manager bei James Brown. Sharpton schrieb über diese Zeit in seiner Autobiografie: "Ich war dabei, als er losflog zum Konzert vor dem Muhammad-Ali-gegen-George-Forman-Boxkampf 1974, dem Rumble in the Jungle. Ich war 19 und ein Player bei einem der berauschendsten kulturellen Ereignisse unserer Zeit."

Das organisierte Verbrechen habe die Musikindustrie kontrolliert, sagte Sharpton im April dem Hörfunksender NPR. Er habe mit Gangstern verhandeln müssen, das FBI wurde aufmerksam. Anfang der achtziger Jahre wurde Sharpton Informant. In seiner Autobiografie heißt es: "Ich wusste, dass Gott etwas anderes für mich wollte?… Er hatte Größeres vor mit mir." So beschloss er, Bürgerrechtler zu werden. Der Rassismus war oft roh zu dieser Zeit in New York. 1984 hatte ein weißer U-Bahn-Passagier vier "bedrohlich wirkende" schwarze Jugendliche angeschossen.

Früher oder später kommt beim Thema Sharpton der Name Tawana Brawley hoch. Zeitungsberichte vom November 1987: Die als vermisst gemeldete 15-Jährige sei in dem Dorf Wappingers Falls benommen und mit Ku-Klux-Klan-Schmierereien auf ihrem Körper in einem Müllsack aufgefunden worden. Das afroamerikanische Mädchen gab an, sie sei von sechs weißen Männern vergewaltigt worden, einer davon Polizist. Die Empörung war so massiv wie Jahrzehnte später in den Tagen nach der Erschießung von Michael Brown. Pastor Al wurde Brawleys Sprecher, um zu verkünden, er habe Beweise gegen einen Staatsanwalt, "der das getan hat". Und er legt sogar noch nach: Tawana Brawley werde nicht mit dem Justizminister des Staates New York sprechen; die Aufforderung dazu sei wie eine "Aufforderung an jemanden, der Menschen in einer Gaskammer sterben sah, sich mit Mr. Hitler zu treffen". Es kam ganz anders: Die junge Frau hatte sich mit ihrem Freund verabredet und aus Angst vor den Eltern alles erfunden, stellte ein Untersuchungsausschuss fest. Sharpton wurde wegen Verleumdung zu einer Zahlung von 65.000 Dollar an den örtlichen Staatsanwalt Steven Pagones verurteilt. Er hoffe, dass man ihm seinen lebenslangen Einsatz für soziale Gerechtigkeit anrechnen werde, sagte Sharpton dazu.

Das ist geschehen. In New York und wohl in der gesamten Demokratischen Partei führt kein Weg vorbei an Sharpton. Der New Yorker Bürgermeister Bill de Blasio nimmt ihn in Schutz gegen einen Bericht in der New York Times, Sharpton habe Steuerschulden von4,5 Millionen. Er wisse "von vielen guten Leuten" mit Steuerproblemen. Barack Obama nimmt große Rücksicht auf seinen Freund Al, lädt ihn häufig ins Weiße Haus. Beide profitieren voneinander - Sharpton von der Nähe zur Macht, und Barack Obama vom schwarzen Aktivisten, der Einfluss hat auf die so wichtigen afroamerikanischen Wähler. Und der auch mal sagen kann, was der Präsident nicht sagen darf.

Quelle: der FREITAG vom 10.12.2014. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Konrad Ege und des Verlags.

Veröffentlicht am

10. Dezember 2014

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