Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Lebenshaus-Tagung 2014 “We shall overcome”

Zusammenfassung und Impressionen aus den Beiträgen der Referentin und der Referenten

Am 11. Oktober 2014 fand die Tagung "’We shall overcome!’ Gewaltfrei aktiv für die Vision einer Welt ohne Gewalt und Unrecht. Drei biographische Zugänge" in Gammertingen (Kreis Sigmaringen) statt. Im Mittelpunkt dieser Veranstaltung, die von 40 Organisationen unterstützt wurde, standen die Vorträge von Martin Arnold, Jutta Sundermann und Roland Blach. Im nachfolgenden Artikel hat Axel Pfaff-Schneider diese Vorträge zusammengefasst und ein paar Eindrücke wiedergegeben. Die Bilder stammen von Csilla Morvai.

Von Axel Pfaff-Schneider (aus: Lebenshaus Schwäbische Alb, Rundbrief Nr. 83 vom Dez. 2014 Der gesamte Rundbrief Nr. 83 kann hier heruntergeladen werden: PDF-Datei , 556 KB)

Zu Beginn der Tagung bin ich gespannt, ob die Beiträge genauso spannend, bewegend und bereichernd sein werden, wie im letzten Jahr und ob die Teilnehmenden auch bei der Neuauflage der Tagung genauso davon profitieren können. Die folgende Zusammenfassung beansprucht nicht, vollständig zu sein und ist gefärbt durch meine Brille.

Martin Arnold: Mein Weg zur Entdeckung der Gütekraft

Martin Arnold ist ein Mensch, der große Ruhe und Klarheit ausstrahlt. Man merkt ihm an, dass er gewohnt ist, als Pfarrer Menschen anzusprechen und zu berühren.

Seine Wegbeschreibung beginnt er mit Eindrücken aus seiner Kindheit. Er hatte zwei Brüder und eine 14 Jahre ältere Schwester, die wegen einer Behinderung an den Rollstuhl gefesselt war. Es ist ihm noch gut in Erinnerung, wie sie reagierte, wenn er und seine Brüder sich stritten. Sie brauchte oft nur einen einzigen Satz zu sagen und der Streit war beendet. Auf ihrem Grabstein steht ein Satz aus dem Korintherbrief von Paulus: Gott sagt: "Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig".

Die Erziehung in Martins Familie war sehr traditionell und von schwarzer Pädagogik geprägt. In der Schule ging es ähnlich zu, so dass er als junger Mann selbstverständlich zur Bundeswehr ging, wo er als Kommandant für den Kampfpanzer Leopard ausgebildet wurde. Zum Konzept der Abschreckung gab es keine ihm bekannte Alternative. Erst über Gespräche mit einer christlich geprägten Kusine überdachte er sein Leben und entschied sich 1967 bewusst dafür, als Christ zu leben und den Kriegsdienst zu verweigern. Das führte ihn zwangsläufig zu der Frage, was er selbst dazu beitragen kann, dass Frieden entstehen kann. Ganz besonders beschäftigte ihn dabei eine Frage, die bis heute Triebfeder für sein Suchen ist: Wie ist es möglich, Menschen, die bereit sind, Gewalt anzuwenden, ohne Gewalt davon abzuhalten?

Martin war über Jahre hinweg in vielerlei Zusammenhängen friedenspolitisch aktiv, doch erst bei der Friedensaktivistin Hildegard Goss-Mayr wurde er erstmals fündig. Sie erklärte: Wenn es gelingt, diejenigen Personen, die Unrecht tun oder es stützen, in ihrem Gewissen anzusprechen, dann wird ihre Motivation dazu bröckeln. Natürlich kann das in der Praxis schwierig sein, aber Martin leuchtete es ein.

Eine weitere für ihn wichtige Quelle war die Autobiografie Gandhis. Auch die vom Gandhi-Schüler Lanza del Vasto gegründete Arche in Frankreich war für ihn ein immer neuer Quell der Inspiration und ein Ort praktizierter Toleranz. Martin erlebte hier zum ersten Mal einen liebevollen Umgang mit anderen Religionen und Weltanschauungen.

Bei sich selbst anzufangen wurde für ihn wichtiger. Sich zu fragen: was trage ich zum Unfrieden oder gar zum Krieg bei? So kam er dazu, selbst Kriegssteuern zu verweigern und sich in seinem Beruf als Berufsschulpfarrer dafür einzusetzen, dass auch seine Kirche im Rahmen der Aktion Steuern zu Pflugscharen die Kriegssteuerverweigerung als christliches Zeugnis anerkennt und unterstützt.

In bewundernswerter Offenheit berichtet Martin dann von einer schweren Zeit, als trotz aller Aktionen und allem Widerstand 1984 die Mittelstreckenraketen in Deutschland stationiert wurden und er danach depressiv wurde. Neuen Mut fand er, als er die Gelegenheit bekam, Trainer für gewaltfreie Aktion zu werden. In den folgenden Jahren war Martin an zahlreichen gewaltfreien Aktionen beteiligt, u.a. am EUCOM in Stuttgart. Doch auch dort fand er keine befriedigende Antwort auf seine Fragen. Wie genau wirkt geübte Gewaltfreiheit, um ihre politischen Ziele zu erreichen? Wie funktioniert das, und worauf genau kommt es dabei an? Er staunt heute noch darüber, dass dies in der Bewegung selbst unter Insidern nicht bewusst war.

Ab 2004 ermöglichte ihm die Deutsche Stiftung Friedensforschung, dass er sich forschend auf die Suche machen konnte. Seine Idee war es, sich die Antworten von Personen genauer anzuschauen, die bereits eigene Konzepte für gewaltfreies Vorgehen entwickelt und diese erfolgreich angewandt hatten. Für seine Analysen wählte er Personen aus drei Kulturkreisen: den Hindu Gandhi, die Christin Hildegard Goss-Mayr und den weniger bekannten holländischen Atheisten Bart de Ligt. Im Vergleich dieser Antworten gelang es ihm, die Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten und eine weltanschaulich unabhängige Antwort zu formulieren. Seine Arbeit ist in vier Bänden veröffentlicht. (siehe auch …. Hinweis auf unsere Internetseiten)

Natürlich waren wir im Publikum sehr gespannt, Martins Ergebnisse zumindest in Kurzform zu erfahren.

Seiner Erkenntnis nach gingen die Menschen bei den erfolgreichen Aktivitäten von folgenden Annahmen aus: In jedem Menschen steckt eine Kraft und zumindest unbewusst eine Neigung zu Wohlwollen und Gerechtigkeit, zu Güte allen gegenüber. Martin nennt es die Gütekraft-Potenz. Wir können sie - einzeln und kollektiv - in uns entdecken, um sie bewusster anzuwenden. Ihre Wirkung beruht auf folgendem Prinzip: Wenn Menschen wahrnehmen, wie andere aus dieser Kraft und mit der ihr entsprechenden Haltung der Güte handeln, kommt es bei ihnen zu einem innerlichen Mitschwingen. Dies geschieht (mehr oder weniger) bei allen, weil alle Menschen diese Potenz in sich haben. Martin verwies hier, um dies etwas zu veranschaulichen, auf die erstaunliche Wirkung der jungen Friedensnobelpreisträgerin Malala.

Bloße Forderungen an andere zu stellen, regt kein Mitschwingen an. Das Mitschwingen bei anderen wird durch vorangehendes Handeln von engagierten Einzelnen oder Gruppen in Gang gesetzt. Dabei müssen sich Weg und Ziel entsprechen. Das, was werden soll, wird im eigenen Handeln vorweggenommen, z.B. durch Kriegsdienstverweigerung, oder in konstruktiver Weise etwa in sozialem Friedensdienst und Versöhnungsarbeit. Dieses Handeln aus Güte kann mit methodischer Bewusstheit verbunden werden und zu einem Gütekraft-Konzept entwickelt werden. Ein bekanntes Beispiel dafür ist Marshall Rosenbergs Gewaltfreie Kommunikation. Gütekräftiges Handeln wirkt durch das Mitschwingen ansteckend. Letztlich hängt die Wirkung aber auch von weiteren Einflüssen und den jeweiligen Umständen ab. Eine Ursache-Wirkungs-Garantie gibt es dabei natürlich nicht. Auch sind die Fähigkeiten der Menschen, in sich diese Kraft zu entfalten, verschieden. Aber es ist etwas, das man in Trainings für Gütekraft-Aktionen / gewaltfreie Aktionen üben und entwickeln kann. Martin ist überzeugt davon, dass die Kräfte des Wohlwollens und der Gerechtigkeit bereits in uns allen vorhanden sind. Kräfte, wie er sie u.a. bei seiner Schwester erlebt hatte.

Die an das Konzept anknüpfenden Fragen aus dem Publikum beziehen sich auf die Möglichkeiten und Grenzen der Gütekraft. Wie kann man schon in der Pädagogik, in der Arbeit mit Kindern, die Entfaltung einer solchen Kraft unterstützen? Und welche Chance hat das Konzept der Gütekraft, so eine Frage wörtlich, "wenn Terrororganisationen wie ISIS den Menschen massenweise die Köpfe abschlagen?". Martin hat auf diese Frage kein Patentrezept, macht aber eindringlich darauf aufmerksam, wie wir selbst, erkennbar an den in der Frage benutzten Vokabeln wie "allen" und "massenweise", auf das in den Massenmedien vermittelte Bild reagieren. Es gilt hellhörig zu sein, und wenn man genau hinschaut muss man feststellen, dass wir vieles nicht wissen. Angesichts der übertragenen Horrornachrichten gerät in den Hintergrund, dass viele Menschen, vielleicht auch von denen, die bei ISIS mitmachen, durch ihre Religion auch positive Gedanken mitbekommen haben. Martin macht darauf aufmerksam, dass es im Islam auch ein ausgeprägtes Selbstverständnis als Friedensreligion gibt. Pauschalisierungen sind deshalb in der öffentlichen Diskussion alles andere als hilfreich.

Das weitere Gespräch führt auch zu der kritischen Frage, ob der Faschismus mit Gütekraft hätte verhindert werden können und ob es für solche Situationen eine politische Strategie gibt? Martin nennt einige Beispiele, in denen Nazis durch intelligentes Dazwischen-gehen gestoppt oder zumindest behindert werden konnten. Doch damals gab es ein solches Konzept noch nicht, geschweige denn, dass es von genügend Menschen geübt und praktiziert worden wäre. Das ist sicher die große Herausforderung für unsere Zeit, die Möglichkeiten der Gütekraft in Aktionen und Kampagnen weiter zu üben und zu erproben. Auch wenn Martin mit dem Konzept der Gütekraft (noch) nicht auf alle Fragen schlüssige Antworten geben kann, so ist doch spürbar, wie tief er die Materie durchdrungen hat und welches Potential in dem Konzept steckt.

Jutta Sundermann: Kreativität, Widerstand und Freiheit - Miteinander zusammen die Welt verändern

Jutta Sundermann: Kreativität, Widerstand und Freiheit - Miteinander zusammen die Welt verändern

Wenn Jutta Sundermann vor ihrem Publikum steht, spürt man förmlich ihre Energie und ihren Ideenreichtum. Vielleicht sind ihre beiden verschiedenfarbigen Socken ein kleiner Ausdruck ihrer Kreativität. Vor allem aber wirkt sie auf uns mit ihrer lebhaften Körpersprache, mit der sie ihre Ausführungen unterstreicht.

Jutta ist seit 25 Jahren Vollzeitaktivistin und, wie sie selbst formuliert, immer neu auf der Suche danach, wie man jetzt und heute Menschen für ein soziales Engagement erreichen kann. Darin sieht sie ihre große Aufgabe und eine ständige, neue Herausforderung.

Ihre Kindheit und frühe Jugend hat sie im Odenwald verbracht. Das Interesse an der Natur und der starke Wunsch danach, dass Tiere nicht leiden sollen, führte sie zum Naturschutzbund. Als Teenagerin fuhr sie mit ihrer Mutter nach Mutlangen zu einem Prozess gegen eine "alte Dame" aus ihrem Dorf. Sie war tief beeindruckt und entschlossen, selbst mutig für Veränderungen eintreten zu wollen.

Ihr Motto wurde "Anders leben und anders arbeiten" und führte sie noch vor dem Abitur in aus dem Elternhaus in eine "Projektwerkstatt", in der junge Menschen verschiedene Umweltprojekte realisierten und zusammen lebten. Ein Jahr nach dem Abitur bekam sie ihr erstes Kind, drei Jahre später ihr zweites. Bei vielen anderen hätte das zwangsläufig zurück ins bürgerliche Leben geführt. Nicht aber bei Jutta, die sich bewusst dafür entschied, ihr Engagement zum Beruf zu machen. Sie verzichtete auf das Studium und stand fortan vor der Aufgabe, das bewegte Leben einer Aktivistin mit den Bedürfnissen als Familie zu vereinbaren. 1999 zog sie in das Ökologische Zentrum in der Kleinstadt Verden. Hier ging es zwar auch um Selber-machen und gelebte Basisdemokratie, aber noch mehr um die Frage, wie politische Wirkung erzeugt werden kann. Dazu brauchte es funktionierende Strukturen und natürlich Geld. Finanzen zu akquirieren wurde so zu einem wichtigen Teil der Arbeit.

Mit einer kleinen Gruppe Umweltbewegter, die immer wieder auf die "Sachzwänge" der Wirtschaftspolitik und der Globalisierung hingewiesen wurden, wollte sie von Verden aus ein "Greenpeace der Globalisierungskritik" gründen. Ähnliche Ideen hatten auch andere und so kam es, dass Jutta Mitbegründerin von Attac Deutschland wurde. Für sie war es eine Erfahrung von zentraler Bedeutung, dass soziale Bewegungen in einem gewissen Rahmen (Glück und Zufall spielen natürlich auch noch mit) geplant werden können. Es brauchte damals eine Weile, bis das junge Attac-Projekt bekannt wurde. Der Durchbruch kam mit den Aktionen zum EU-Gipfel in Genua. Die Power dieser ersten Jahre von Attac werden in Juttas Bericht noch einmal sehr lebendig.

Auch wenn finanz- und steuerpolitische Aspekte sehr wichtig sind, so merkte Jutta doch, dass ihr Hauptanliegen eher mit der Natur zu tun hat: über viele Jahre war es das Thema "Patente auf Saatgut", zu dem sie an vielfältigen Aktionen beteiligt war, vor allem in der Pressearbeit. Jutta schildert uns eindrücklich, unterstützt durch Original-Infomaterialien dieser Zeit, die Organisation und Wirkung verschiedener Aktionen und Kampagnen. Am Beispiel einer Lidl-Kampagne (Lidl macht Gewinn auf Kosten anderer) erläutert sie detailliert, wie die Kooperationsarbeit mit der Gewerkschaft Verdi, die Pressearbeit von Greenpeace zu Pestizidrückständen in Lebensmitteln und ihre Attac-Aktionen inhaltlich beispielhaft ineinander griffen und dadurch auch Pressepräsenz und Wirksamkeit erzeugten.

Auch der organisatorische Arbeitsalltag, mit vielen großen und kleinen Hindernissen und mit seinen witzigen und spannenden Momenten, werden in Juttas Bericht lebendig. Kein Zweifel für uns im Publikum, hier konnte und kann Jutta ihre Power und ihre Kreativität in vielfältigster Weise einbringen. Für sie selbst ist mit Blick auf das Gelingen von Kampagnen besonders wichtig, dass die Kampagne auf einer sauberen Analyse der Situation basiert, dass realistische, konkret erreichbare Ziele entwickelt werden und dass dann die Kampagne auch gut organisiert umgesetzt wird. Das kann bedeuten, dass einer öffentlichkeitswirksamen Aktion, wie etwa einer "Feldbefreiung" gegen gentechnisch veränderten Mais, monatelange Recherchen zum Thema und Vorbereitungen vor Ort vorausgehen.

Durch die Auseinandersetzung mit dieser Art politischer Arbeit wurde für Jutta mit der Zeit immer wichtiger, sich mit Fragen der Strategie und dem Lernen aus den Aktionen zu befassen. Dazu gehört auch, für einen stabilen organisatorischen Rahmen der politischen Arbeit zu sorgen. Hatte sie bis dahin von Honoraren für Presseartikel und Vorträge sozusagen von der Hand in den Mund gelebt, so entschied sie sich dann dafür, ihre eigene professionelle Arbeit auch finanziell verbindlicher und verlässlicher zu arrangieren. Auf Nachfrage aus dem Publikum erklärt sie, was es bedeutet, durch die Bewegungsstiftung als Bewegungsarbeiterin zwar unterstützt zu werden, aber ganz praktisch doch selbst die Leute finden zu müssen, die ihr "Gehalt" durch regelmäßige Spenden erst ermöglichen.

Auf die Frage nach ihrem inneren Antrieb für ihr Engagement verweist Jutta auf die Freude an der Zusammenarbeit mit anderen und eine unerschütterliche Zuneigung zu den Menschen im Allgemeinen. Sicher hat ihr Ansatz der politischen Arbeit einiges mit Lust an der Aktion und Spaß am Gestalten zu tun. Das gibt ihr Kraft und beflügelt ihre Kreativität. Doch ist das kein Selbstzweck, sondern ist es für sie auch ganz wesentlich, immer wieder den Sinn und die Wirkung der Aktionen in den Blick zu nehmen. Spannend ist ihre Antwort auf die kritische Frage danach, ob die starke Presseorientierung von Attac und diese spezielle Art der Öffentlichkeitsarbeit, nicht das Risiko beinhalten der Presse sozusagen hinterher zu hecheln. Jutta bestätigt, dass es durchaus schwierig sein kann, ein neues Thema in die Medien zu bringen, zumal wenn es den Erwartungen der Presse nicht entspricht. Da muss man schon bei der Entwicklung einer Kampagne aufpassen, die eigenen Ziele nicht aus den Augen zu verlieren. Umso wichtiger ist es, nicht nur auf Öffentlichkeitsarbeit zu setzen, sondern auch auf fundierte inhaltliche Arbeit, z.B. in Form von Konferenzen.

Den roten Faden in ihrem Leben, bei aller Unterschiedlichkeit der Themen und Aktivitäten, sieht sie durch die enge Verbindung aller Themen miteinander gewahrt. Ihre Vision ist eine Gesellschaft, die so funktioniert, dass ein gutes Leben für alle möglich ist, ohne den Planeten dabei zu Grunde zu richten.

Roland Blach: "Aus der Stille steigt die Kraft zum Kampf" (Gandhi) - Mit Kampagnen den Frieden voranbringen

Roland Blach ist bekennender Fan des VfB Stuttgart. Das ist für ihn ein geschickter Einstieg, um dem Publikum zu verdeutlichen, wie lange es brauchte, bis er überhaupt politisch aktiv wurde. Während viele Menschen aus der Friedensbewegung am 22. Oktober 1983 in einer großen Menschenkette ihren Widerstand gegen den Nato-Doppelbeschluss zum Ausdruck brachten, saß er im Fußballstadion in Stuttgart und fieberte dem Spiel seiner Mannschaft entgegen. Im Gegensatz zu Jutta Sundermann ging es bei Roland in kleinen, langsamen Schritten voran. In seiner Kindheit spielten Ängste vor weltweiter Vernichtung und Albträume eine große Rolle. Das war wohl sein Reflex auf eine Welt im Kalten Krieg und gegenseitiger atomarer Bedrohung. Er schildert seine Entwicklung entlang einzelner Stationen wie dem beeindruckenden Gandhi-Film, dem Schock über Tschernobyl, den Diskussionen im bürgerlichen Elternhaus über die Gewalt der RAF. Er berichtet von seinem Zivildienst, vom Mauerfall 1989 und seiner damit verbundenen, leider vergeblichen Hoffnung auf eine entmilitarisierte Zone in Gesamtdeutschland.

Roland schildert sein Leben in dieser Zeit so, dass es mir als Zuhörer vorkommt, als beschreibe er das Leben unter einer Dunstglocke. Ein Zustand, unter dem wohl viele Menschen damals gelebt haben. Zwar befasste auch er sich mit dem Golfkrieg, nahm an Demonstrationen teil und stellte sich die Frage, wie Kriege verhindert werden können. Aber während viele andere aktiv wurden, war er auf der Suche nach seinem Beitrag für die Gesellschaft. Wichtige Impulse, die bis heute nachwirken, erhielt er aus den Werken Gandhis. Ihn beeindruckt noch heute, wie dieser Mann aus seiner inneren Mitte, aus der Stille heraus, die Kraft für sein Wirken fand. Schließlich fand Roland seinen ganz persönlichen Schlüssel in einer Ausbildung zum Mediator. In Konflikten zu vermitteln, das passte zu ihm und ist ihm bis heute ein stimmiges Konzept: so wie im Kleinen, in familiären und gesellschaftlichen Konflikten vermittelt werden kann, so kann und muss das auch in größeren Zusammenhängen möglich sein.

Den Schritt hin zur professionellen Friedensarbeit fand er 1995, als er im Rahmen der Atomtest-Stopp-Kampagne an gewaltfreien Aktionstrainings und einem Aktionscamp in Genf vor dem Sitz der UN teilgenommen hatte und die Kampagne einen Organisator brauchte. Aus dem Mini-Job sollte, das war seine Erkenntnis, bald ein richtiger Beruf werden. In seinem Beitrag schildert Roland die Entwicklung verschiedener Kampagnen, alle rund um das Thema "Atomwaffen abschaffen". Sie waren damals verbunden mit Aktionen am letzten verbliebenen Atomwaffenstandort der US-Army in Deutschland, Büchel in der Eifel und am EUCOM in Stuttgart. Für diese Kampagnen und Aktionen war ein wesentliches Argument das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs, wonach die Androhung und der Einsatz von Atomwaffen ganz klar völkerrechtswidrig sind. Ziel aller Kampagnen ist folgerichtig, der Abzug der letzten 20 Atomwaffen aus Deutschland. So klar sich das aus heutiger Sicht darstellt, so schwierig war (und ist noch heute) die Organisation von Aktionen in friedenspolitisch "ruhigen" Zeiten.

Roland hat Anfang der 90er Jahre seinen Teil dazu beigetragen, verschiedene Aktionskampagnen in einem 40 Organisationen umfassenden Trägerkreis "Atomwaffen abschaffen" zu bündeln. Für ihn bedeutete das die erste fest finanzierte Stelle als Organisator des Trägerkreises. Roland berichtet dann sehr eindringlich von der Hysterie nach dem 11. September 2001. Sollte die geplante gewaltfreie Eindring-Aktion in das Standortgelände in Büchel trotzdem durchgeführt werden? Wenige Tage nach dem 11. September bekam er als presserechtlich Verantwortlicher "Besuch" von der Polizei mit Durchsuchung und Beschlagnahmung von Plakaten, PC und anderem Material. Natürlich war damit das geplante Aktionscamp nicht aufzuhalten…

Im Jahr 2002 wurde er zum festangestellten Geschäftsführer der DFG-VK Baden-Württemberg gewählt. Das gab und gibt ihm Spielraum, sich in weitere Kampagnen aktiv einzubringen, wobei ihm die Arbeit mit den "Bürgermeistern für den Frieden" besonders wichtig ist. Hier sind über sehr lange Zeiträume Arbeitszusammenhänge und auch persönliche Beziehungen gewachsen, an die z.B. zum Hiroshima-Gedenktag angeknüpft werden kann. Unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit erlebt er hier die Bürgermeister als Partner zu diesem Thema, und nicht als politische Gegner. Wie auch Jutta Sundermann bekräftigt er die Wichtigkeit von Zielen für eine Kampagne. Die ab 2007 laufende Kampagne "unsere Zukunft atomwaffenfrei" hatte zum Ziel, dass der Abzug der Atomwaffen aus Deutschland in den Koalitionsvertrag der zukünftigen Regierungskoalition aufgenommen wird. Und tatsächlich war dieses Ziel 2009 erreicht und im März 2010 erfolgte der entsprechende Bundestagsbeschluss. Für Roland ist das ein Beleg dafür, dass Kampagnen wirken können. Gleichzeitig zeigt sich hier aber auch die andere Seite: die Regierungspolitik hat bislang zäh die Umsetzung in die Realität abgeblockt, um dem US-amerikanischen Verbündeten aus taktischen Gründen nicht zu sehr zusetzen zu müssen. Damit wird offenbar, wie weit der Atem einer Kampagne reichen muss, um letztlich erfolgreich sein zu können.

Einen großen Raum in Rolands Bericht nimmt die 2010 von der DFG-VK initiierte Kampagne "Schulfrei für die Bundeswehr" ein. Hintergrund ist eine Vereinbarung der Kultusministerien der Bundesländer mit der Bundeswehr, nach welcher der Bundeswehr ein exklusiver Zugang zu schulischem Unterricht und Lehrerausbildung zugebilligt wird. Ziel der Kampagne ist es, die Kündigung der Vereinbarung zu erreichen. In Baden-Württemberg ist man - nach vier Jahren mühsamer Kleinarbeit und vielerlei Aktionen - mittlerweile soweit, dass mit dem Ministerium Gespräche über mögliche Alternativen geführt werden. Besonders wichtig ist hier auch die Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft GEW.

In der anschließenden Aussprache wird aus dem Publikum gefragt, inwieweit es der Kampagne gelingt, die Jugend in ihre Aktivitäten einzubinden. Natürlich ist das für Roland und die Kampagne ein wichtiger Punkt, der im Alltag jedoch erhebliches Fingerspitzengefühl und Geduld erfordert. Wichtig ist, dass Schülerinnen, Schüler und Studierende sich selbst aktiv einbringen können, ohne sich durch die Kampagne bevormundet zu fühlen. Überhaupt weiß man schon lange in der Friedensarbeit, dass es gar nicht so einfach ist, die Schwere der Themen Atomwaffen und Krieg mit einem gewissen Spaßfaktor in den Aktionen zu verbinden. Und an dieser Stelle kommt Roland zu seiner Lieblingskampagne, den seit 2005 federführend von ihm organisierten jährlichen Pacemakers-Radmarathonfahrten. Mit dieser besonderen Aktionsform, die sich von Mal zu Mal steigender Teilnehmerzahlen erfreut, gelingt es Menschen für den Abbau von Atomwaffen anzusprechen, die ansonsten wenig mit Friedensaktivitäten zu tun haben.

Im Gespräch mit dem Publikum wird aufgrund Rolands Berichten die Erkenntnis deutlich, wie wichtig für die Friedensarbeit Menschen sind, die sich hauptamtlich für die Organisation von Aktionen und Kampagnen engagieren. Mit ihrer Erfahrung und Ausdauer tragen sie wesentlich zum nötigen Durchhaltevermögen der Kampagnen bei. Aber ohne die vielen ehrenamtlich aktiven Menschen stünden auch sie auf ziemlich verlorenem Posten.


Am Ende des Tages bin ich müde und zugleich am Ende meiner Konzentration. Aber auch in diesem Jahr erlebte ich die Vorträge der Referentin und der Referenten wieder als eindrücklich, bewegend, bereichernd und anregend. Die Verbindung von persönlichem Lebensweg, individueller Motivation und einem langandauernden, nachhaltigen Engagement für Gerechtigkeit und Frieden erreicht mich besonders gut, vielleicht besser und eindrücklicher als die Präsentation rein fachlicher Themen. Gespräche am Rande der Tagung sowie zahlreiche Rückmeldungen von Teilnehmenden zeigen, dass es wohl den meisten so ging, und dass die Beiträge der Referierenden für die Teilnehmenden der Tagung überzeugende Beispiele und Ermutigung sind.

Fußnoten

Veröffentlicht am

13. Dezember 2014

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