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1965: Black Power

Zeitgeschichte: Vor 50 Jahren stirbt der radikale Bürgerrechtler Malcolm X bei einem Attentat in New York. Ein angekündigter Mord, von dem FBI und Polizei offenbar wussten

Von Konrad Ege

Vor Jahren ließ die US-Post eine Briefmarke drucken zu Ehren von Malcolm X. Mehr als die 33-Cent-Marke wird es wohl nie geben im offiziellen Washington für den radikalen muslimischen Aktivisten. Der gewaltlose Bürgerrechtsaktivist Martin Luther King, ein Zeitgenosse von Malcolm X, wird mit einem Nationalfeiertag geehrt. In der Regel wird King reduziert auf seine "Ich habe einen Traum"-Ansprache vom August 1963. Malcolm X lässt sich kaum verharmlosen. Revolution sei eine blutige Angelegenheit, hat er gesagt. Das Problem sei der Kapitalismus, der den Rassismus brauche, um zu überleben.

Der Mord an Malcolm X vor 50 Jahren war angekündigt. Ein paar Monate zuvor hieß es in einer Zeitung: "Ein Mann wie Malcolm verdient den Tod." Das Attentat gab es am 21. Februar 1965 im Audubon-Ballsaal von New York City vor Hunderten Menschen, darunter Malcolms Ehefrau Betty Shabazz. Malcolm X bzw. El-Hajj Malik El-Shabazz, wie er sich nach einer Mekka-Reise 1964 nannte, wollte über seine neue Organisation für Afro-Amerikanische Einheit sprechen. Drei Männer wurden festgenommen und zu langen Haftstrafen verurteilt. Ob das die tatsächlichen Attentäter waren, ist umstritten, fraglich sogar. Die Polizei und das FBI hatten offenbar etwas von den Mordplänen gewusst, schrieb Historiker Manning Marable, Autor der Biografie Malcolm X: A Life of Reinvention. Der Staatsanwalt habe sich wohl weniger um die Täter Sorgen gemacht als um die Identitäten der Informanten in Malcolms Umfeld. In freigegebenen FBI-Akten sind viele Stellen geschwärzt.

X schockierte mit seiner Direktheit. Die USA "sind eine Gesellschaft, deren Regierung nicht zögert, brutalste Formen der Bestrafung und Unterdrückung gegen dunkelhäutige Menschen überall auf der Welt einzusetzen", sagte er im Januar 1965. Man sehe das in "Saigon, in Hanoi, im Kongo und anderswo". Doch wenn Schwarze sich gegen Lynchjustiz schützen wollten, "sagt man uns, wir müssen gewaltlos handeln".

Ikone der Black-Power-Bewegung

Nach seinem Tod wurde Malcolm X Ikone der Black-Power-Bewegung. Spike Lee brachte "X" 1992 in die Kinos. In linken Wohngemeinschaften hing Malcolm neben Che Guevara. Manche X-Zitate kannte man einfach: "By any means neccesary", mit allen notwendigen Mitteln, müsse man kämpfen. Freiheit käme von "the ballot or the bullet", vom Stimmzettel oder von der Kugel. Und dann die Aussage nach dem Attentat auf John F. Kennedy 1963: Der Präsident habe wohl nicht gedacht, dass "the chickens would come home to roost so soon" - sinngemäß, Kennedy habe nicht damit gerechnet, dass sich seine Politik so bald rächen würde.

Marables Buchtitel, der sich mit Ein Leben der Neuerfindung übersetzen lässt, bringt die Geschichte des 1925 in Nebraska als Malcolm Little geborenen Mannes auf den Punkt. Eine harte Kindheit im Apartheid-Amerika, wo ein afroamerikanischer Junge aus einer verarmten Familie bestenfalls davon träumen konnte, Schuhputzer zu werden oder Kellner in einem Nobel-Restaurant. Der junge Malcolm war wirklich zeitweilig Schuhputzer, doch das Geld hat er in der kleinkriminellen Unterwelt verdient, angeblich durch Drogengeschäfte und Zuhälterei, auch durch Einbrüche. Was schließlich schiefging. 1946 wurde Malcolm Little in Massachusetts festgenommen und zu mehreren Jahren Haft verurteilt. Hinter Gittern bekannte er sich zu der in den 30er Jahren gegründeten Nation of Islam.

Der Verband unter Führung von Elijah Muhammad predigte rechtschaffenes Leben und war überzeugt, dass Afrikaner von Allah erschaffen worden seien als die ursprünglichen Menschen, während die Weißen satanische Geschöpfe seien. Weiß und Schwarz könnten nie zusammenkommen: Separation sei die einzige Lösung. Schwarze müssten in den USA für ihr eigenes Land kämpfen. Den "blauäugigen weißen Teufeln" sei nicht zu trauen. Kategorischer ließ sich die weiße Machtstruktur nicht herausfordern.

Nach seiner Haftentlassung 1952 stieg Malcolm rasch auf in der Hierarchie der Nation of Islam. In Filmdokumenten oder Tonaufzeichnungen sieht bzw. hört man einen charismatischen Redner, der zum Medienstar wurde. Fragende Journalisten konnten ihn nicht in die Enge treiben, wenn sie immer wieder nachhakten, ob Malcolm X denn wirklich zur Gewalt aufrufe. Nein, sagte er, doch Schwarze hätten das Recht, sich zu verteidigen. Er habe ein Gewehr zu Hause, aber die Nation of Islam habe noch nie einen Weißen gelyncht, nie eine Kirche bombardiert und "kleine Mädchen umgebracht", antwortete X. Ein Hinweis auf den rassistischen Anschlag gegen eine Baptistenkirche in Alabama im September 1963, bei dem vier Mädchen starben.

Es war die Zeit der Bürgerrechtsbewegung gegen Rassendiskriminierung und für das Wahlrecht. Ihre Erfolge gelten heute als Triumph der Gewaltlosigkeit. Dabei war die Strategie kontrovers, besonders bei jungen Menschen. Malcolm sei mit seiner Militanz und "Wut über den strukturellen Rassismus" zum Symbol des schwarzen Amerika in den Städten geworden, so Historiker Marable. Kaum überraschend wurden Malcolm und die "Nation" von Führern der Bürgerrechtsbewegung kritisiert. Das gebildete schwarze Establishment, das unter dem Einfluss protestantischer Pastoren stand, fühlte sich abgestoßen. Die "Nation", das sei ein "Haufen von Schlägertypen aus Gefängnissen", so der Bürgerrechtsanwalt Thurgood Marshall, später erster schwarzer Richter am Obersten Gerichtshof der USA. Im März 1964 machte Malcolm X Schluss mit der "Nation". Er stellte den Separatismus der Organisation in Frage und wollte Ende 1963 ein breiteres Bündnis gegen die kapitalistische Wirtschaftsstruktur, mehr Hinwendung zum Bürgerrechtskampf. Er stieß aber offenbar auf Granit bei Elijah Muhammad, von dem er sich persönlich hintergangen fühlte. Der eheliche Treue und Keuschheit predigende Führer der "Nation" habe Affären gehabt mit zahlreichen jungen Frauen, sagte Malcolm in einem Fernsehinterview.

Spitzel in der Nation of Islam

Nach einer Pilgerfahrt in Richtung Mekka wandte er sich dem traditionellen, seiner Ansicht nach radikal egalitären Sunni-Islam zu. Muslime, Christen und Juden beteten zu ein und demselben Gott. Zunehmend sah er den Kampf der Afroamerikaner in einem globalen Kontext: Die Kolonien in Afrika hätten sich von ihren weißen Herrschern befreit. Davon könne man lernen. 1964 traf Malcolm X bei einer Afrikareise mit Staatsführern zusammen, darunter Julius Nyerere in Tansania, Kwame Nkrumah in Ghana, Sékou Touré in Guinea und Jomo Kenyatta in Kenia.

Die Nation of Islam hat Malcolm nicht verziehen. "Ein Mann wie Malcolm verdient den Tod", schrieb Louis Farrakhan, heute Führer der "Nation". Die drei angeblichen Todesschützen waren Mitglieder. Fragen bleiben. FBI und New Yorker Polizei hatten zahlreiche Spitzel in der Nation of Islam und wohl auch in Malcolm Xs’ Umfeld platziert. Am Tatort war keine Polizei, wie sonst üblich bei Veranstaltungen mit einem Prominenten dieses Kalibers. Martin Luther King kondolierte der Witwe Betty Shabazz. Er habe Malcolm geschätzt, der es verstanden habe, "die Existenz und die Wurzel des Problems zu zeigen". In den folgenden Jahren nahmen Kings Reden an Schärfe zu. Die USA seien eine gewalttätige Nation, sagte er, protestierte gegen den Krieg in Vietnam und rief zu strukturellen Veränderungen auf. Martin Luther King wurde im April 1968 erschossen.

Kürzlich wurde der Nachlass der 2005 verstorbenen Bürgerrechtlerin Rosa Parks geöffnet, mehrere Tausend Briefe, Notizen und Fotos aus dem Leben der Frau, die 1955 in Montgomery in Alabama den historischen Busboykott eingeleitet hat. Parks gilt als Beispiel für gewaltlosen Widerstand. Doch der Nachlass illustriert, dass ihr Malcolm X und sein bewaffneter Selbstschutz nicht fremd waren. Parks schrieb, wie sie als kleines Mädchen bei ihrem mit einem Gewehr bewaffneten Großvater gesessen habe, um Wache zu halten gegen den Ku-Klux-Klan. "Ich wollte sehen, dass er einen Ku-Kluxer tötet."

Quelle: der FREITAG vom 25.02.2015. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Konrad Ege und des Verlags.

Veröffentlicht am

27. Februar 2015

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