Griechenland und Afrika: Lehren aus den strukturellen AnpassungsprogrammenVon Ian Scoones Für fast zwei Jahrzehnte nach der Veröffentlichung des Weltbankberichts von Eliot Berg 1981 litt Afrika an den Folgen der strukturellen Anpassungsprogramme - oder nett gesagt Wirtschaftsreformen -, die von den internationalen Finanzinstitutionen auferlegt wurden. Diese Programme hatten katastrophale Folgen für Beschäftigung, Existenzgrundlagen und staatliche Dienstleistungen. Doch die neoliberale Medizin wirkte nicht. In den 1990-er Jahren gab es eine Zeitlang allerhand obskure Debatten über die Gründe dafür. Lag es an der Unausgewogenheit der wirtschaftlichen Maßnahmen, an der zeitlichen Planung und Umsetzung oder mangelte es am politischen Willen zur richtigen Durchführung? Am Ende stimmten die meisten überein, dass es eine katastrophale Phase war; ihre Folgen sind noch heute zu spüren. Zu diesen Folgen zählen die massive Aushöhlung der staatlichen Dienstleistungen wie Gesundheitsfürsorge, Agrarforschung und -beratung, zudem ging das Potenzial einer ganzen Generation verloren. Die schockierenden Auswirkungen der Ebola-Epidemie in Westafrika in den vergangenen Monaten hängen teilweise mit den langfristigen Folgen der systematischen Unterentwicklung zusammen - was von manchen "strukturelle Gewalt" genannt wird. Die Mugabe-Regierung gab 1991 ihre nach der Unabhängigkeit eingesetzte Strategie "Wachstum mit Gleichheit" auf, zugunsten einer Strategie, die an den Programmen der Weltbank und des IWF ausgerichtet war. Die wirtschaftlichen Strukturreformen (Economic Structural Adjustment Programme ESAP - auch bekannt als "Wirtschaftskrisen für Afrikaner", economic suffering for African peoples) wurden in den 1990-er Jahren durchgeführt. Sie schürten die Unruhen, die die Mobilisierungen der Arbeiterbewegung und der Kriegsveteranen Ende der 1990-er Jahre auslösten, und sie bildeten natürlich den Hintergrund für die Landreform ab 2000. Einige profitieren sicherlich von solchen neoliberalen Wirtschaftsreformen. Trotz der hochtrabenden Rhetorik trieb die Mugabe-Regierung die Landreform oder andere Umverteilungsprogramme in den 1990-er Jahren nicht voran. Stattdessen akkumulierten die Eliten, die Korruption griff um sich und eine neue Politik entstand. Die Gewinner dieser Periode waren große Agrar- und andere Unternehmen, die sich im Besitz von Weißen (aber auch von einigen Mitgliedern der neuen schwarzen Elite) befanden. Die wertvollen Agrarbetriebe machten ein glänzendes Geschäft und profitierten von den Exportmärkten in der neuen, konkurrenzorientierten neoliberalen Ordnung. In mancher Hinsicht war es ein großer Erfolg. Doch in vieler Hinsicht war es eine besorgniserregende Anomalie, denn der Nutzen kam nur Wenigen zugute und die schwärende Unzufriedenheit über das Thema Landreform, ein ungelöstes Problem der Kolonialzeit, wurde nicht angegangen. Was hat all dies also mit Griechenland zu tun? Vor einer Woche errang eine neue Partei, Syriza, einen dramatischen Wahlsieg in Griechenland. Sie hat versprochen, die von der Europäischen Union und insbesondere von Deutschland verhängten Strukturreformen zu beenden, aber auch die von einer tief verwurzelten Korruption und elitären Oligarchie geprägte politische Ökonomie Griechenlands in Angriff zu nehmen. Der Aufstieg von Syriza mit ihrer Ablehnung des Status Quo und der massiven Ungerechtigkeit der verhängten "Austeritätspakete" hat in Europa für große Aufregung gesorgt. Der neue Finanzminister Gianis Varoufakis hat sie als "finanzpolitisches Waterboarding", das Griechenland in eine "Schuldenkolonie" verwandelt habe, beschrieben (siehe die Auszüge aus seinem Buch auf diesem Link ). Diana Conyer, eine ehemalige Kollegin von mir, die in der Zeit der Strukturanpassungen in Simbabwe lebte und jetzt in Griechenland lebt, schrieb kürzlich einen nachdenklich stimmenden Beitrag für die Website des Institute of Development Studies (IDS). Darin zog sie einen interessanten Vergleich zwischen Griechenland und Afrika. Am Tag der griechischen Wahl veröffentlichte die britische Sonntagszeitung The Observer einen längeren Leitartikel über die Situation in Griechenland. Wenn man in diesem Artikel ‘Griechenland’ durch ‘Afrika’ (oder irgendein bestimmtes afrikanisches Land) ersetzt - wie ich es hier mache - dann sind die von Diana herausgearbeiteten Parallelen wirklich auffallend. Was Afrikaner durchgemacht haben, würden viele als einen andauernden, brutalen und unverhältnismäßig destruktiven Angriff auf ihren Mindestlebensstandard, ihre Lebensweise und nationale Unabhängigkeit bezeichnen. Wenn ein Land von feindlichen Kräften überfallen und besetzt wird, dann wird es offensichtlich seine Freiheit und Stimme verlieren. Doch die Unterjochung Afrikas im Namen von finanzpolitischer Verantwortung, Schuldenreduzierung und Strukturreformen wurde von sogenannten freundlich gesinnten Mächten betrieben, vor allem [westliche Geberländer, die Weltbank und der IWF]… Austerität funktioniert ebenfalls nicht, wie eine Gruppe führender Volkswirte bemerkt hat… "Die Geschichte beweist, wie nutzlos und gefährlich es ist, Schuldnerländer mit untragbaren Schulden und Rückzahlungsbedingungen zu belasten und dass eine Sparpolitik negative Auswirkungen auf schwächer werdende Ökonomien hat… Schulden sollten annulliert werden". Die internationale politische Elite und die Großkommentatoren, ganz zu schweigen von ‘führenden Ökonomen’ haben in den 1990-er Jahren keine solche Perspektive im Hinblick auf Afrika angeboten. Teils weil Afrika weit weg war und für den Westen noch weniger Bedeutung hatte als Griechenland, aber auch, weil man aus der Geschichte - also die gescheiterten Experimente in Afrika, in Russland nach dem Zerfall der Sowjetunion und woanders - nicht gelernt hatte. Und schließlich waren in Afrika die Aussichten auf eine rebellische, populäre, progressive und alternative Politik, wie sie in Griechenland entstanden ist (und vielleicht auch in Spanien) gleich null, denn dort wurden die aufstrebenden Demokratien auf die gleiche Weise beherrscht wie die Ökonomien über Programme der "guten Regierungsführung". Die politischen und wirtschaftlichen Eliten in Simbabwe und andernorts waren völlig zufrieden damit, auf dem Rücken der Spar- und Reformpolitik, mit der einhergehenden zunehmenden Ungleichheit und strukturellen Armut, ihren Reichtum und ihre Macht auszubauen. Die Situation in Griechenland mit Syriza weist vielleicht einige Parallelen mit der in Simbabwe im Jahr 2000 auf. Die Herausforderungen werden ähnlich sein: die Aussicht auf diplomatische Isolation, Kapitalflucht, externer Druck sich zu fügen und regionale politische Spannungen, aber gleichzeitig auch die Notwendigkeit, Kompromisse einzugehen, Veränderungen herbeizuführen und Alternativen zu finden, damit Korruption, politische Spannungen und soziale Konflikte, die ein menschlicheres und gleichmäßiger verteiltes Wachstum bedrohen, kompensiert werden. Simbabwe hat in den vergangenen 15 Jahren einen alternativen politisch-ökonomischen Entwicklungspfad zurückgelegt und sich von einigen Ketten der Vergangenheit befreit; doch es hat auch massiv dabei versagt, andere Herausforderungen anzugehen, mit den entsprechenden Folgen: eine vor sich hin dümpelnde Wirtschaft, eine weiter um sich greifende Korruption, ausbleibendes Wachstum und die immer noch nicht realisierten Vorteile einer redistributiven Politik. Hoffen wir, dass es der Syriza-Koalition besser ergeht. Vielleicht wird zukünftig eher Athen als Washington Wirtschaftsberater nach Afrika schicken. Quelle: Tlaxcala vom 09.03.2015. Originalartikel: Greece and Africa: learning the lessons of structural adjustment . Übersetzt von Susanne Schuster. Dieser Text kann unter den Bedingungen von Copyleft frei verwendet werden. Veröffentlicht amArtikel ausdrucken |
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