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Jürgen Grässlin: Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft muss jetzt Anklage gegen Heckler & Koch erheben!

Am 19. April 2010 erstattete Jürgen Grässlin über seinen Rechtsanwalt Holger Rothbauer Strafanzeige gegen Verantwortliche bei der Heckler & Koch GmbH (H&K) wegen des Verdachts illegaler G36-Gewehrlieferungen an Mexiko. Der Skandal: Auch fünf Jahre nach Erstattung der Strafanzeige gegen Heckler & Koch erfolgt noch immer keine Anklageerhebung! Die Kampagne "Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!" hatte deshalb für den 19. April 2015 zu einer Protestaktion "Der Tod dankt der Staatsanwaltschaft Stuttgart" vor der Staatsanwaltschaft Stuttgart eingeladen. Jürgen Grässlin hat dort eine Rede gehalten, die wir nachfolgend dokumentieren.

Von Jürgen Grässlin

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

in seiner Verzweiflung wandte sich im Herbst 2009 ein Mitarbeiter der Heckler & Koch GmbH (H&K) an mich. Der Informant teilte mir in vertraulichen Gesprächen äußerst genau mit, dass Abertausende von G36-Sturmgewehren der Oberndorfer Waffenschmiede in vier Unruheprovinzen Mexikos gelangt sind. Und das obwohl eben diese Kriegswaffenexporte nach Chiapas, Chihuahua, Jalisco und Guerrero von den Rüstungskontrollbehörden, dem Bundesausfuhramt BAFA und dem Bundeswirtschaftsministerium, ausdrücklich untersagt worden waren. Bei H&K habe man von den aus seiner Sicht rechtlich mehr als bedenklichen Waffentransfers gewusst - bis hinauf in die Führungsebene.

Am 19. April 2010 erstattete ich über meinen Rechtsanwalt Holger Rothbauer Strafanzeige gegen Verantwortliche der Heckler & Koch GmbH (H&K) wegen des Verdachts illegaler G36-Gewehrlieferungen an Mexiko. Wir haben diese Strafanzeige im Dezember 2013 und im Februar 2014 erweitert. Gleichsam Anfang 2014 habe ich eine zweite Strafanzeige gegen H&K gestellt wegen des Verdachts "nicht genehmigten Technologietransfers / Lizenz für G36 / FX05". Holger Rothbauer wird in seinem folgenden Redebeitrag eine juristische Bewertung dieser Waffengeschäfte und unserer juristischen Schritte abgeben.

Was sich nach der Stellung unserer G36-Strafanzeige im Guten wie im Schlechten abspielte, lässt sich aufgrund der Vielzahl der Ereignisse hier nur selektiv wiedergeben.

Tatsächlich gibt es auch einiges Gutes zu bilanzieren:

>> Aufgrund der Strafanzeige führten die zuständige Staatsanwaltschaft Stuttgart und das Zollkriminalamt Köln mehrere Razzien bei H&K durch, so im Dezember 2010 und im November 2011. Zudem erfolgten Hausdurchsuchungen in Privaträumen von H&K-Mitarbeitern. Seither besitzt die Stuttgarter Staatsanwaltschaft zentrale Dokumente, u.a. Reisekostenabrechnungen für Schulungen mexikanischer Polizisten an widerrechtlich gelieferten G36-Sturmgewehren in die Unruheprovinzen. Bis dato erfolgten also erfolgreiche Ermittlungen. - Das ist gut so!

>> Mehrfach haben die Stuttgarter Staatsanwaltschaft, das Landeskriminalamt Baden-Württemberg und das Zollkriminalamt Köln Informanten als Zeugen sowie zahlreiche Beteiligte vernommen. Die Ermittlungsbehörden sind also bestens informiert über die Abläufe illegaler Waffendeals. - Das ist gut so!

>> Peter Beyerle war nach seiner Pensionierung als Präsident des Landgerichts Rottweil - das im Übrigen bei juristischen Auseinandersetzungen von H&K im Kreis zuständig ist - in die Unternehmensführung von H&K gewechselt. Als Kriegswaffenkontrollbeauftragter des Unternehmens verantwortete auch er die Ausfuhr von G36-Gewehren und Ersatzteilen nach Mexiko und trägt maßgeblich Mitverantwortung. Nach meiner Strafanzeige wurde im Dezember 2010 bekannt, dass Peter Beyerle vorzeitig als H&K-Geschäftsführer zurücktritt. - Das ist gut so!

>> Von 2003 bis 2010 hatte die Bundesregierung den Export von Kleinwaffen bzw. deren Bestandteilen im Wert von mehr als 20 Millionen Euro an Mexiko genehmigt.

Nach der Strafanzeige im April 2010 verhängte das Bundesausfuhramt (BAFA) in Eschborn gegenüber H&K ab 2011 ein bis heute währendes Genehmigungsverbot für Kleinwaffen nach Mexiko. Auch andere deutsche Kleinwaffenproduzenten dürfen seither keinerlei Kriegswaffen nach Mexiko liefern. - Das ist gut so!

Seit Sommer 2014 liegt der Untersuchungsbericht des Zollkriminalamtes vor. Darin wird festgestellt, dass Abertausende von H&K-Sturmgewehren auch in verbotene Unruheprovinzen Mexikos exportiert worden sind. Unserer Auffassung gemäß hat sich somit der Vorwurf der Strafanzeige hinreichend bestätigt, wonach bei diesem Rüstungsexport sowohl gegen das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) als auch gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG) verstoßen wurde.

>> Allerspätestens im Herbst 2014 hätte die Staatsanwaltschaft Stuttgart auf der Basis der Untersuchungsergebnisse des Zollkriminalamts Anklage gegen Beschuldigte von H&K erheben müssen. Dass Sie es nicht getan hat ist ein Skandal!

Schlimmer noch: Der zuständige Staatsanwalt Peter Vobiller wurde für mehrere Monate an die Generalstaatsanwaltschaft abgeordnet. Was ist das für ein Rechtsverständnis der Staatsanwaltschaft Stuttgart, dass der zuständige Staatsanwalt Peter Vobiller für mehrere Monate zur Generalstaatsanwaltschaft wechselt? Wie ernst nimmt die Staatsanwaltschaft Stuttgart den Rechtsstaat? Möchte sie das Verfahren so lange hinauszögern, dass das Verfahren letztendlich gegen eine Geldbuße eingestellt werden kann?

Nein, das darf nicht sein! Denn wir sprechen hier nicht vom sinnvollen Export medizintechnischer Güter, sondern vom tödlichen Export von Kleinwaffen, wie z.B. Pistolen, Maschinenpistolen und Sturmgewehren. Zwei Drittel aller Kriegsopfer sterben durch den Einsatz von Gewehren. Und wir sprechen von den Geschäftspraktiken von Heckler & Koch. Bis zum heutigen Tag sind mehr als 2 Millionen Menschen durch Kugeln aus dem Lauf von H&K-Waffen ums Leben gekommen. H&K ist Europas tödlichstes Unternehmen.

In diesem Sinne wundert es wenig, dass das Morden mit H&K-Waffen nun auch in Mexiko seinen Lauf nimmt. 43 Studenten wurden am 26. September 2014 von Sicherheitskräften in Zusammenarbeit mit der Mafia in Guerrero verschleppt. Sie sind bis heute verschwunden, sechs weitere Menschen wurden ermordet. Vieles spricht dafür, dass bei dieser Polizeiaktion auch illegal gelieferte G36-Sturmgewehre eingesetzt wurden.

Die Verantwortlichen des illegalen Waffendeals mit Mexiko verbringen den Frühling 2015 in Freiheit. Auch deshalb bedankt sich der Tod heute bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart.

>> Wir fordern: Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft muss jetzt Anklage gegen die Beschuldigten vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts erheben!

>> Und wir fordern: Gerechtigkeit für die Opfer des H&K-Waffeneinsatzes in Mexiko! Die Opfer des G36-Gewehrdeals müssen bei diesem Gerichtsverfahren vor der Strafkammer zu Wort kommen!

Aus Sicht der Bundesregierungen war und ist Mexiko quasi ein neues Modell für Waffenhandel im 21. Jahrhundert. In den Jahrzehnten zuvor durften Staaten mit Kriegswaffen beliefert werden - oder aufgrund der Sicherheits- und Menschenrechtslage eben nicht. Mexiko diente den von SPD, GRÜNEN, FDP und CDU/CSU geführten Bundesregierungen ab 2003 als Testfeld dafür, ob auch einzelne Bundesstaaten eines Landes beliefert werden können und die Waffen definitiv in diesen Bundesstaaten verbleiben.

Heute wissen wir: Das Testland Mexiko steht für eine rundum gescheiterte Rüstungsexportpolitik. Denn Endverbleibserklärungen werden nicht eingehalten, Waffen wandern in verbotene Regionen, mit G36-Gewehren ausgerüstete Polizisten arbeiten eng mit der Drogenmafia zusammen. Ein Experiment mit tödlichen Folgen.

>> Deshalb fordern wir heute auch von der Bundesregierung: Stoppen Sie alle Rüstungsexporte nach Mexiko. Rufen Sie die ausgelieferten Kriegswaffen zurück! Nicht länger darf mit deutschen Waffen in Mexiko gemordet werden!

Jürgen Grässlin ist Sprecher der Kampagne "Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel!", Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Sprecher der Kritischen AktionärInnen Daimler (KAD) und Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.). Er ist Autor zahlreicher kritischer Sachbücher über Rüstungsexporte sowie Militär- und Wirtschaftspolitik, darunter internationale Bestseller. Zuletzt verfasste er das "Schwarzbuch Waffenhandel. Wie Deutschland am Krieg verdient". In Kapitel 6 "Mexiko - illegale G36-Gewehrlieferungen in Unruheprovinzen" publizierte er die Hintergründe dieser widerrechtlichen Waffengeschäfte von H&K (Seite 441 ff.). Im Sommer 2015 erfolgt die 100. Lesung des "Schwarzbuchs". Grässlin wurde mit mehreren Preisen für Frieden und Zivilcourage ausgezeichnet, u.a. mit dem "Aachener Friedenspreis". Aktuell wurde ihm im Dezember 2014 der Kirchheimbolandener Friedenspreis und im März 2015 der AMOS-Preis der Offenen Kirche Württemberg verliehen. Kontakt: Tel.: 0761-7678208, Mob,: 0170-6113759, E-Mail: graesslin@dfg-vk.de; weitere Informationen siehe www.juergengraesslin.com

 

Weblinks zur Aktion "Der Tod dankt der Staatsanwaltschaft Stuttgart":

Veröffentlicht am

20. April 2015

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