G36-Skandal: Den Schuss nicht gehörtDas Rüstungsunternehmen Heckler & Koch hat ein Problem mit seinen Gewehren - aber nicht nur das. Steht die Firma vor der Pleite?Von Michael Schulze von Glaßer Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat es in den vergangenen Tagen bereits durchblicken lassen, jetzt ist es offiziell: Das G36-Gewehr wird von der Bundeswehr als nur bedingt einsatztauglich angesehen. In warmer Umgebung und bei vermehrter Schussabgabe trifft das Standard-Sturmgewehr der deutschen Armee unpräzise. Für den Hersteller Heckler & Koch sind die Vorwürfe eine Katastrophe, sie könnten gar zur Pleite führen. Doch das G36 ist nicht das einzige Problem des Unternehmens. Möglicherweise hat Heckler & Koch illegal Waffen nach Mexiko exportiert, nun droht ein Gerichtsverfahren. Die Bundesregierung soll dem Unternehmen bereits den Export in weitere Länder verboten haben, aktuell stapeln sich die Waffen in der Fabrik. Die Situation ist ungewöhnlich. Bislang haben deutsche Verteidigungspolitiker stets Wert gelegt auf eine heimische Rüstungsindustrie. Waffenhersteller wurden immer wieder mit Bundeswehraufträgen bedacht, selbst wenn Angebote aus dem Ausland günstiger oder qualitativ besser waren. Doch nun reicht es der Verteidigungsministerin offenbar. Ursula von der Leyen legt sich mit Heckler & Koch an. Das Unternehmen sitzt im baden-württembergischen Oberndorf und gehört weltweit zu den fünf größten Gewehr- und Pistolenherstellern. Aktuelles Problem: das G36-Gewehr. Das Planungsamt der Bundeswehr kommt in seinem aktuellen Bericht zu dem Schluss, dass die technischen Untersuchungen "eindeutig und zweifelsfrei bestätigt" haben, dass nicht nur fehlerhafte Munition sondern "die Waffe G36 selbst eine wesentliche Ursache der festgestellten Präzisionseinschränkungen ist". In "fordernden Gefechtssituationen" sei das "gezielte, präzise Bekämpfen eines Gegners nicht zuverlässig möglich". So steht es in dem Bericht, der als Verschlusssache nur für Bundestagsabgeordnete zugänglich ist. Die Bundeswehr hatte bereits im vergangenen Sommer die Beschaffung neuer G36-Gewehre gestoppt. Da aber aktuell 170.000 dieser Waffen bei der Armee im Einsatz sind und diese nicht so schnell zu ersetzen sind, soll das G36 auch über das Jahr 2016 hinaus noch genutzt werden dürfen. Für die Bundeswehr ist dies unbefriedigend: Eine von der Verteidigungsministerin eingesetzte Kommission soll ab Mai sogar prüfen, ob deutsche Soldaten wegen der Probleme mit dem Gewehr in Einsätzen bereits zu Schaden gekommen sind. Heckler & Koch reagiert auf die Vorwürfe nahezu panisch: Das Unternehmen hat mittlerweile sechs Stellungnahmen zu den G36-Problemen verfasst und veröffentlicht, sie sind bis zu zehn Seiten lang. Das ist ungewöhnlich für eine Rüstungsfirma, die sich normalerweise freut, wenn sie in der öffentlichen Diskussion unsichtbar bleibt. Keine Fehler gemacht?Als im Juni vergangenen Jahres die ersten Medien über die G36-Probleme berichteten, überschrieb Heckler & Koch eine Pressemitteilung mit: "Bundesrechnungshof agiert rufschädigend." Ende März - nach ersten kritischen Äußerungen der Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen - beschwerte sich das Unternehmen dann über eine "Vielzahl undifferenzierter Negativberichte" in der Presse. Der Bundeswehr und dem Verteidigungsministerium wird in einer Pressemitteilung ein "systematisches Vorgehen" unterstellt. Anfang April wandte sich der Waffenhersteller dann direkt an die Presse und drohte in einer Erklärung: "Angesichts der extrem schadensträchtigen strafrechtlichen Dimension von gegen Heckler & Koch erhobenen falschen Anwürfen und Verdächtigungen werden wir in jedem Fall widerrechtlicher Veröffentlichungen alle rechtlich erforderlichen Schritte insbesondere zur Durchsetzung des Ersatzes aller hieraus entstehenden Schäden gegen die Verantwortlichen einleiten." An die Soldaten der Bundeswehr schreibt die Oberndorfer Firma, dass sie sich nicht "von der gegen Heckler & Koch inszenierten Kampagne […] verunsichern" lassen sollten. Das Unternehmen gesteht keinen einzigen Fehler ein. In der vergangenen Woche erklärte es noch einmal: "Alle Behauptungen zu angeblichen Negativeigenschaften des G36-Gehäusewerkstoffs und insbesondere, dass dieser die Ursache für alle angeblich festgestellten Probleme bzgl. der Treffleistung sei, sind falsch." Bundeswehr gegen Heckler & Koch: Aussage gegen Aussage. Mittlerweile geht es für das Waffenunternehmen um die blanke Existenz. Die Rating-Agentur Standard & Poor’s stuft die Anleihen des Unternehmens mit CCC+ ein - dieselbe Bewertung hat auch das finanziell marode Griechenland. Bei der Agentur Moody’s wurde Heckler & Koch im Herbst letzten Jahres herabgestuft. Die Agentur konstatierte der Waffenfirma zudem einen negativen Ausblick in allen Bereichen. Der aktuelle Skandal verschärft die Situation. "Die G36-Probleme bedeuten einen immensen Imageverlust, der sich massiv auf das Gesamtgeschäft auswirken könnte", sagt Jürgen Grässlin. Der Rüstungsexperte und Friedensaktivist beschäftigt sich bereits seit Jahrzehnten kritisch mit dem Kleinwaffenhersteller aus Baden-Württemberg. "Mir wurde schon 2009 von einem damaligen ‚Heckler & Koch’-Mitarbeiter die Behauptung zugetragen, dass die Qualität des G36 ausgesprochen bedenklich sei", sagt Grässlin. Heckler & Koch hat aktuell noch weitere Probleme: Die Bundesregierung hat ein partielles Exportverbot verhängt. Seit 2011 darf das Unternehmen keine Kleinwaffen mehr nach Mexiko liefern, weitere Länder sind offenbar ebenfalls betroffen. Momentan, so ist zu hören, sollen sich in den Hallen des G36-Herstellers fertig produzierte Waffen im Wert von rund 30 Millionen Euro stapeln, die nicht verkauft werden dürfen. Normalerweise erwirtschaftet das Unternehmen etwa 80 Prozent seines Umsatzes durch den Export. Die staatlich erteilten Exportverbote dürften vor allem eine Reaktion auf eine Anzeige sein, die der Rüstungskritiker Grässlin im April 2010 bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart gestellt hat. Er wirft dem Unternehmen vor, illegal Waffen in mexikanische Unruheprovinzen geliefert zu haben, wo ein brutaler Drogenkrieg herrscht. Heckler & Koch soll aber nicht nur rund 4.500 Sturmgewehre exportiert, sondern auch die als korrupt geltende Polizei an den Waffen ausgebildet haben. "Dieser Waffendeal wäre sowohl ein Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz als auch gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz", sagt Grässlin. Den Verantwortlichen droht bis zu zwei Jahre Gefängnis. Eine friedlichere WeltObwohl die Anzeige bereits vor fünf Jahren gestellt wurde, hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart bis zum heutigen Tage keine Anklage erhoben. Die Ermittlungen seien noch nicht abgeschlossen, sagt eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Die Wohnungen einiger Mitarbeiter seien bereits durchsucht, einige Zeugen vernommen worden. Einen Termin für die Anklage gebe es aber bislang noch nicht. Grässlin empört das, er hat kein Verständnis für die Länge der Ermittlungen. Am vergangenen Wochenende versammelten sich sogar rund 80 Demonstranten vor dem Sitz der Staatsanwaltschaft, um Ermittlungsergebnisse zu fordern. Bisher habe Heckler & Koch zwei Mitarbeiter "als Sündenböcke abgestempelt", sagt Grässlin. "Es waren aber definitiv mehr Menschen in den illegalen Mexiko-Deal verwickelt." Er ist sich sicher, dass weitere Beschäftigte des Unternehmens von den illegalen Waffenexporten gewusst haben müssen. Der Waffenhersteller muss Geld für die juristische Auseinandersetzung einplanen. Ob die Firma die Turbulenzen übersteht, ist fraglich. Schließlich kommen momentan mehrere Probleme zusammen. Zwar ist Heckler & Koch nach eigenen Angaben bis ins Jahr 2018 finanziell abgesichert. Das aggressive Verhalten aber, das sich in den Stellungnahmen zum G36-Skandal zeigt, erinnert eher an ein letztes, verzweifeltes Aufbäumen. Immerhin würde die Welt ohne Heckler & Koch vielleicht etwas friedlicher. Waffen des Herstellers tauchen immer wieder in Kriegen auf der ganzen Welt auf: "Statistisch gesehen wird alle 14 Minuten ein Mensch von einer Kugel aus einer ‘Heckler & Koch’-Waffe getötet", sagt Jürgen Grässlin. "Und das seit mehr als einem halben Jahrhundert. Diese mörderische ‚Heckler & Koch’-Uhr tickt unerbittlich. Wir sollten sie abstellen." Quelle: der FREITAG vom 06.05.2015. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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