Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Wolfgang Borchert: Dann gibt es nur eins !

Dann gibt es nur eins! ist einer der bekanntesten Prosatexte des deutschen Schriftstellers Wolfgang Borchert. Er entstand als seine letzte Arbeit wenige Wochen vor seinem Tod am 20. November 1947 und wurde an Borcherts Todestag das erste Mal im Rundfunk vorgetragen. Der nachgelassene Text gilt als Borcherts Vermächtnis, in dem der Schriftsteller noch einmal den Krieg als beherrschendes Motiv seines Werkes thematisierte und seine Mitmenschen in der Form eines Manifests aufforderte, die Teilnahme an künftigen Kriegen zu verweigern.

Von Wolfgang Borchert

DANN GIBT ES NUR EINS !

Du. Mann an der Maschine und Mann in der Werkstatt. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Wasserrohre und keine Kochtöpfe mehr machen - sondern Stahlhelme und Maschinengewehre, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mädchen hinterm Ladentisch und Mädchen im Büro. Wenn sie
dir morgen befehlen, du sollst Granaten füllen und Zielfernrohre für
Scharfschützengewehre montieren, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN !
Du. Besitzer der Fabrik. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst statt
Puder und Kakao Schießpulver verkaufen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Forscher im Laboratorium. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst
einen neuen Tod erfinden gegen das alte Leben, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN !
Du. Dichter in deiner Stube. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst
keine Liebeslieder, du sollst Haßlieder singen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Arzt am Krankenbett. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst
die Männer kriegstauglich schreiben, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Pfarrer auf der Kanzel. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst
den Mord segnen und den Krieg heilig sprechen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN !
Du. Kapitän auf dem Dampfer. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst
keinen Weizen mehr fahren - sondern Kanonen und Panzer, dann gibt
es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Pilot auf dem Flugfeld. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst
Bomben und Phosphor über die Städte tragen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN !
Du. Schneider auf deinem Brett. Wenn sie dir morgen befehlen, du
sollst Uniformen zuschneiden, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN !
Du. Richter im Talar. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst zum
Kriegsgericht gehen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN !
Du. Mann auf dem Bahnhof. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst
das Signal zur Abfahrt geben für den Munitionszug und für den Truppentransporter, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mann auf dem Dorf und Mann in der Stadt. Wenn sie morgen
kommen und dir den Gestellungsbefehl bringen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!

Du. Mutter in der Normandie und Mutter in der Ukraine, du, Mutter
in Frisko und London, du, am Hoangho und am Mississippi, du, Mutter
in Neapel und Hamburg und Kairo und Oslo - Mütter in allen Erdteilen, Mütter in der Welt, wenn sie morgen befehlen, ihr sollt Kinder gebären, Krankenschwestern für Kriegslazarette und neue Soldaten für
neue Schlachten, Mütter in der Welt, dann gibt es nur eins:
Sagt NEIN! Mütter, sagt NEIN!

Denn wenn ihr nicht NEIN sagt, wenn IHR nicht nein sagt, Mütter, dann:

dann:

In den lärmenden dampfdunstigen Hafenstädten werden die großen
Schiffe stöhnend verstummen und wie titanische Mammutkadaver wasserleichig träge gegen die toten vereinsamten Kaimauern schwanken, algen-, tang- und muschelüberwest, den früher so schimmernden dröhnenden Leib, friedhöflich fischfaulig duftend, mürbe, siech, gestorben -
die Straßenbahnen werden wie sinnlose glanzlose glasäugige Käfige
blöde verbeult und abgeblättert neben den verwirrten Stahlskeletten der
Drähte und Gleise liegen, hinter morschen dachdurchlöcherten Schuppen,
in verlorenen kraterzerrissenen Straßen-
eine schlammgraue dickbreiige bleierne Stille wird sich heranwälzen,
gefräßig, wachsend, wird anwachsen in den Schulen und Universitäten
und Schauspielhäusern, auf Sport- und Kinderspielplätzen, grausig und
gierig, unaufhaltsam -
der sonnige saftige Wein wird an den verfallenen Hängen verfaulen,
der Reis wird in der verdorrten Erde vertrocknen, die Kartoffel wird auf
den brachliegenden Äckern erfrieren und die Kühe werden ihre totsteifen
Beine wie umgekippte Melkschemel in den Himmel strecken -
in den Instituten werden die genialen Erfindungen der großen Ärzte
sauer werden, verrotten, pilzig verschimmeln -
in den Küchen, Kammern und Kellern, in den Kühlhäusern und Speichern werden die letzten Säcke Mehl, die letzten Gläser Erdbeeren, Kürbis und Kirschsaft verkommen - das Brot unter den umgestürzten Tischen und auf zersplitterten Tellern wird grün werden und die ausgelaufene Butter wird stinken wie Schmierseife, das Korn auf den Feldern wird
neben verrosteten Pflügen hingesunken sein wie ein erschlagenes Heer
und die qualmenden Ziegelschornsteine, die Essen und die Schlote der
stampfenden Fabriken werden, vom ewigen Gras zugedeckt, zerbröckeln
- zerbröckeln - zerbröckeln -
dann wird der letzte Mensch, mit zerfetzten Gedärmen und verpeste-
ter Lunge, antwortlos und einsam unter der giftig glühenden Sonne
und unter wankenden Gestirnen umherirren, einsam zwischen den unübersehbaren Massengräbern und den kalten Götzen der gigantischen
betonklotzigen verödeten Städte, der letzte Mensch, dürr, wahnsinnig,
lästernd, klagend -und seine furchtbare Klage: WARUM? wird ungehört
in der Steppe verrinnen, durch die geborstenen Ruinen wehen, versickern
im Schutt der Kirchen, gegen Hochbunker klatschen, in Blutlachen fallen,
ungehört, antwortlos, letzter Tierschrei des letzten Tieres Mensch -
all dieses wird eintreffen, morgen, morgen vielleicht, vielleicht heute
nacht schon, vielleicht heute nacht, wenn - wenn - wenn ihr nicht
NEIN sagt.

 

Veröffentlicht am

04. Mai 2015

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