Nordkorea: Kim interpretiert MarktwirtschaftVon Karl Grobe Landwirte in Nordkorea dürfen Feldfrüchte selbst verkaufen, wenn sie das staatliche Soll erfüllt haben. Doch die Armee sieht ihren Zugriff auf einen beträchtlichen Teil der Ernte schwinden. Die Analyse In einigen Kollektiv-Farmen in Nordkorea haben leitende Funktionäre reichen Leuten aus der Stadt Bauland verschafft. Das haben die stets gut informierten Gewährsleute der in Südkorea redigierten Internet-Zeitung "NK Daily" Mitte Juni mitgeteilt. Das Geschäft läuft folgendermaßen. Der Interessent schiebt dem Verwaltungskomitee, der Arbeitsgruppe und der Landwirtschaftsbehörde der Provinz - also der zuständigen Verwaltung - den Gegenwert von jeweils einigen hundert Dollar zu. Daraufhin tagen die Zuständigen der Farm - vergleichbar mit dem Kreisrat -, weihen die Arbeitsgruppen - den Dorfvorstand - ein und geben der Provinzbehörde einen Tipp. Die gutachtet dann, dass diese oder jene Fläche für die Landwirtschaft ungeeignet (zu dürr, zu steinig, zu sumpfig) sei und als Bauland in Frage komme. Dann erwirbt der Interessierte das Nutzungsrecht und baut sich ein Wohnhaus darauf. Die Berichte stammen aus den beiden nordwestlichen Provinzen Nordkoreas, in denen der Handel mit dem reichen Nachbarn und potenten China sowie der dazu parallele Schmuggel Devisen in die Taschen der Donju - der Neureichen - hat fließen lassen. Außerhalb der Staatswirtschaft sind private Transportunternehmen aufgekommen, blühen private Restaurants und vor allem seit Jahren Märkte. Letztere sind durch die Reformpolitik sanktioniert. Einige Beschränkungen sind jüngst gefallen: Das Mindestalter für Markthändlerinnen (bisher 50 Jahre) gilt nicht mehr, und Private können Marktstände gegen bare Zahlung dauerhaft mieten. Drei nordkoreanische Reformbeschlüsse geben den Rahmen für diese Veränderungen ab und haben indirekt für Privatisierungen und Korruption Pate gestanden. Die Maßnahmen haben kryptische Bezeichnungen. Die 7.1.-Maßnahmen, noch unter Kim Jong Il am 1. Juli 2001 verkündet, werteten die Landeswährung ab, teilten die Agrarproduktion auf kleinere Arbeitsgruppen (etwa Dörfer) auf und erlaubten diesen, auf freien Märkten zu verkaufen, was sie über das staatliche Soll hinaus erzeugten. Eine Notmaßnahme wegen der noch andauernden Hungersnot, aber der Effekt ging über die Absicht hinaus: Die Bauernmärkte wuchsen und begannen, den staatlichen Läden Konkurrenz zu machen. Die 6.28-Maßnahmen vom 28. Juni 2009 waren zuerst ein lokales Experiment: Die Bauern-Arbeitsgruppen sollten nicht mehr größer als 15 Personen sein und über die Produktion zum Teil selbst entscheiden. Das Ablieferungssoll für Getreide und andere landwirtschaftliche Produkte besteht weiter. Doch über 30 Prozent davon und über alles, was mehr erzeugt wurde, verfügten sie nun selber. Der so genannte Feldversuch wurde im vergangenen Jahr auf das ganze Land ausgedehnt. Über die Hälfte der Lebensmittel, die auf den freien Märkten angeboten werden, stammen mittlerweile von sotoji, privaten Erzeugern. Diesen Begriff müssen Nordkorea-Beobachter sich seitdem einprägen, ebenso wie donju für die Neureichen und jangmadang für den (freien) Markt. Drei Worte - ein Zukunftsversprechen? Die 5.30-Maßnahmen vom 30. Mai 2014 haben die 6.28er zum Teil überholt. Die Richtlinien hatte Kim Jong Un - recht neu an der Macht - am 6. Februar in einem langen Rundschreiben festgelegt, Titel: "Unter dem hoch erhobenen Banner der sozialistischen Agrarthesen in der Landwirtschaftsproduktion Erneuerertaten vollbringen". Die Arbeitsgruppen der Landwirte entsprechen jetzt Familien, sie dürfen die ihnen zugewiesenen Flächen über mehrere Jahre hinweg kultivieren, 60 statt 30 Prozent des Produktionssolls selbst vermarkten und pro Arbeitsgruppe bis zu 3300 Quadratmeter Land in eigener Regie bewirtschaften. Mehr sotoji, mehr jangmadang; sind noch lange nicht Wohlstand für alle, aber ein Versprechen. Es könnte ein Beweis für die Tauglichkeit der Reformen sein, dass die Getreideernte 2014 die beste seit zwanzig Jahren war, wie die " Voice of America meldete". Allerdings wird die Reisernte in diesem Jahr eher schlecht ausfallen. Ein Hungerjahr wie zwischen 1995 und 2002 wird es aber nicht geben. Fraglich ist nur, ob der Plan aufgeht. Landwirtschaftliches Gerät, das zur kleinteiligen Wirtschaft passt, haben die sotoji in der Regel nicht. Die für große Flächen geeigneten Maschinen der bisherigen Kollektivfarmen passen nicht zur Reform, sind oft defekt (seit dem Ende der Sowjetunion gibt es keine Ersatzteile mehr) und brauchen Treibstoff. Diesel, Saatgut und Dünger zu kaufen setzt voraus, dass solches erstens zu haben ist und zweitens Geld für den Kauf bereitliegt. An Bankkredite ist gar nicht zu denken. So hat die Partei im Sinne des Kim-Jong-Un-Schreibens Richtlinien für das Ausbringen von Stallmist und organischem Dünger aufgeführt; für die erforderlichen Mist-Mengen fehlen aber Haustiere, die den Mist produzieren. So bremste die Regierung das Reformtempo vor zwei Wochen deutlich ab. Für die neureichen donju sind die 5.30-Reformen immer noch eine sehr gute Nachricht, und wenn sie ausbleiben, gedeiht die Korruption noch besser. Aber es gibt im Regime, das sich nicht nur auf diese Schicht der Aufsteiger und der hinreichend korrupten Kader stützt, ganz entschiedene Gegner. Die Armee sieht ihren Zugriff auf einen beträchtlichen Teil der Ernte schwinden. Das Privileg, Soldaten etwas und Offiziere viel besser als den Rest des Volkes zu ernähren, gerät ins Wanken. Die hohen Ränge sind jedoch gewarnt. Das Regime hat gerade bestätigt, dass der im April dieses Jahres abgesetzte Verteidigungsminister Hyon Yong Chol hingerichtet worden ist. Die alten Kader sollen sich nicht allzu sicher fühlen. Quelle: Frankfurter Rundschau vom 21.06.2015. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Karl Grobe. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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