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Atomvertrag: Wieder am Verhandlungstisch

Von Karl Grobe

Mit ideologischer Last im Gepäck kehren USA und Iran zu den Verhandlungen über einen Atomvertrag zurück. In den Ländern sind nicht alle davon begeistert. Es gibt sogar einen Katalog unüberschreitbarer roter Linien.

In einer Sache sind Iraner und Amerikaner schon einig, bevor die Atom-Verhandlungen in die letzte Runde gehen: Wenn unbedingt nötig, wird die Frist über den 30. Juni hinaus verlängert. Vor dem Abflug zum Tagungsort Wien deutete Irans Außenminister Mohammad Javad Zarif an, dass er in diesem Punkt mit seinem US-Kollegen John Kerry einig ist. Die anderen fünf Verhandlungsteilnehmer - China, Frankreich, Großbritannien und Russland (UN-Vetomächte) sowie Deutschland - haben weniger Einfluss auf die Tagesordnung, doch an der Terminfrage werden sie es nicht scheitern lassen.

Zarif und Kerry haben noch etwas gemeinsam: Zusatz-Last ins Reisegepäck gesteckt. Handelt es sich bei Kerry um den Mahnbrief einiger altgedienter konservativer Schwergewichte, so hat Zarif das ganze Gewicht einer öffentlichen Stellungnahme des Ayatollah Ali Khamenei zu tragen. Der oberste religiöse und politische Führer Irans, der verfassungsmäßig das letzte Wort hat, stellte einen Katalog roter Linien zusammen, die kein Verhandlungspartner überschreiten darf und die sein Außenminister in Wien zu verteidigen hat. Mit allen diplomatischen Mitteln bis zur alles beendenden Abreise. Der Ayatollah vertraut da ganz auf seinen Minister und sagte das auch. Das macht Zarifs Aufgabe nicht leichter.

Khamenei will keine längerfristigen Beschränkungen der nuklearen Forschung und Entwicklung dulden. Dem Iran einen Forschungsverzicht von zehn bis zwölf Jahren aufzuerlegen hatte zuerst wohl Israel vorgeschlagen. Khamenei verlangt die Aufhebung aller Handelssperren und Sanktionen, "ob vom UN-Sicherheitsrat, dem US-Kongress oder der US-Regierung", sobald die Einigung über die Atomfrage in Kraft tritt. Den Gedanken, die Sanktionen würden erst aufgehoben, wenn die IAEO - die Wiener Atombehörde - die Erfüllung aller Verpflichtungen durch Teheran bestätigt habe, nannte er Unsinn, weil das die Inspektion jedes Quadratzentimeters iranischen Territoriums erlaube. Eine Inspektion militärischer Einrichtungen komme überhaupt nicht infrage. Khamenei spielte damit auf die konventionellen Streitkräfte an, deren Offenlegung keinem Staat einfallen würde. Auf Atomwaffen, wiederholen die Teheraner Medien aller Richtung, hat Iran grundsätzlich verzichtet, weil sie unislamisch seien.

Aufhebung der Wirtschaftssanktionen flexibel

Die Worte des Ayatollahs klingen barsch, entsprechen aber in weitesten Zügen der außenpolitischen Linie Teherans. Zudem dürfte die Forderung nach Aufhebung der Wirtschaftssanktionen durchaus flexibel ausgelegt werden, sobald das spruchreif wird. Dass der US-Kongress seine einschlägigen Entschließungen, die Gesetzeskraft haben, unter den gegenwärtigen Mehrheitsverhältnissen nicht zurücknehmen wird, ist Khamenei bewusst.

Auf den Fall der Sanktionen hofft der überwiegende Teil der Iraner, wie eine Reihe von Umfragen zeigt. Die Erwartungen reichen von "McDonalds und Starbucks" und ausländischen Investitionen, die Arbeitsplätze schaffen, bis zur Versorgung mit importierten Medikamenten und Medizintechnik. Etwas differenzierter sind Voraussagen, dass die Erleichterung der Öl-Exporte sehr rasch Devisen verfügbar machen werde - zusätzlich zu den Dutzenden Milliarden Dollar, die in ausländischen Banken "eingefroren", aber kurzfristig freizugeben sind -, was rasch wirtschaftlichen Aufschwung auslösen müsse.

Alles richtet sich auf künftige Kooperationen mit den iranischen Unternehmen aus. Vor allem amerikanische und westeuropäische Konzerne sowie Ölfirmen aus Europa haben das Verhandlungsergebnis vorweggenommen und beschnuppern die möglichen iranischen Geschäftsfreunde, teilte die regierungsnahe Zeitung "Tehran Times" am Samstag auf der Titelseite mit, gleich neben der Vorschau auf das Wiener Treffen. Es bestehen Handelsabmachungen mit der Türkei, in denen die Finanzsanktionen durch die Verrechnung in Landeswährung umgangen werden; auf diese Weise haben sich auch das Russland- und das China-Geschäft bereits recht gut entwickelt. Es gibt weitere Beispiele dafür, die 78 Millionen Iraner bilden ja einen interessanten Markt.

Doch genau hier baut sich ein Interessenkonflikt auf. Unter dem Druck der Sanktionen haben iranische Firmen Ersatzproduktionen entwickelt, von der wenig geliebten einheimischen Pharmakologie bis zur Autoindustrie. Und alle diese Firmen stehen unter der patriotischen Aufsicht durch die Pasdaran, die Revolutionsgarden - genauer: ihrer Führungsschicht -, die die Quellen ihrer legalen und illegalen Einkünfte nicht eindämmen lassen will. Diese korrupte Wirtschaftselite ist zugleich im weiten Sinne eine politische Fraktion, welche ihre Ideologie unmittelbar vom Obersten Revolutionsführer Khamenei bezieht und diesen nach Kräften zu beeinflussen sucht.

Was einerseits Khameneis jüngste Äußerungen in einen systemimmanenten Zusammenhang stellt - und andererseits die rivalisierenden saudischen Nachbarn, die ja auch die Konkurrenz eines etwaigen Erdöl-Großproduzenten Iran zu fürchten haben, zu manchen Gedankenspielen über saudische Atomwaffen veranlasst. Natürlich nur aus Vorsicht, falls es in Wien diese Woche doch danebengehen sollte.

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 28.06.2015. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Karl Grobe.

Veröffentlicht am

29. Juni 2015

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