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Rüstungsexporte und ihre machtpolitische Funktion

Rede bei der Kundgebung zum Antikriegstag, Tübingen, 29.8.2015

Von Jürgen Wagner

Liebe Freundinnen und Freunde,

für uns als Friedens- und Antikriegsbewegung ist die Sache klar: wir lehnen jede Form von Rüstungsexporten kategorisch ab!

Und wir sind damit nicht allein! Umfragen zufolge befürworten 82% der deutschen Bevölkerung ein Verbot oder zumindest eine drastische Einschränkung der Rüstungsexporte!

Wir sollten uns allerdings keinen Illusionen hingeben, dass wir in dieser Frage allzu viele Verbündete in der Politik hätten. Und das gilt auch für Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, obwohl ihm fälschlicherweise vorgeworfen wird, er betätige sich als Totengräber der deutschen Rüstungsindustrie.

Dass das Unfug ist, zeigten schon die kürzlichen Meldungen, denen zufolge die Exportgenehmigungen von Januar bis Juni 2015 mit 6,35 Mrd. Euro bereits fast den Gesamtwert von 2014 erreicht haben!

Liebe Freundinnen und Freunde,

die Wahrheit ist: Deutschland exportiert weiter Waffen auf Teufel komm raus!

Wer Gabriels rüstungspolitische Grundsatzrede vom 8. Oktober 2014 genau verfolgt hatte, dem war ohnehin klar, dass an dem Gejammer der Rüstungsindustrie, der Wirtschaftsminister wolle ihr an den Kragen, absolut nichts dran ist.

Darin erteilte Gabriel nicht einmal Waffenlieferungen in Krisengebiete eine Absage, die Unterstützung der Peschmerga befürwortete er zB ausdrücklich:

"Aber zugleich müssen wir - und das ebenfalls mit großer Klarheit - feststellen, dass es natürlich legitime sicherheits- und bündnispolitische Interessen gibt, welche die Lieferung von Rüstungsgütern und Kriegswaffen rechtfertigen können. […] Deutschland und seine Partner haben ein eigenes Interesse daran, Piraterie, Terrorismus und Proliferation von Waffen, wie sie im Nahen und Mittleren Osten auftreten, einzudämmen. […] Die Lieferungen an die Kurden im Norden des Irak, die der Abwehr einer fanatisch-grausamen Terrorbewegung wie dem so genannten ‚Islamischen Staat’ dienen, sind weder ein Tabubruch und noch gar ein Widerspruch zu unseren Werten und Rechtsregeln."

Liebe Freundinnen und Freunde,

so redet niemand, der ernsthaft an einer Begrenzung der Rüstungsexporte interessiert ist.

Generell kündigte Gabriel sogar eine Initiative zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Rüstungsindustrie an - also zur Unterstützung ihrer Exporttätigkeit. Diese Überlegungen wurden nun auch eins zu eins in das "Strategiepapier der Bundesregierung zur Stärkung der Verteidigungsindustrie in Deutschland" vom 8. Juli 2015 übernommen.

Ein wesentliches Element in Gabriels Grundsatzrede und im nachfolgenden Strategiepapier ist das Ziel, die deutsche Rüstungsindustrie durch Fusionen wettbewerbs- also exportfähiger zu machen.

Einen ersten Vorgeschmack dafür haben wir bereits bekommen: Aktuell deutet alles darauf hin, dass Gabriel sein OK für den Zusammenschluss des deutschen Panzerbauers Kraus Maffai-Wegmann mit der französischen Nexter geben wird.

Damit will man sich gegen die Konkurrenten General Dynamics und BAE Systems "besser" in Stellung bringen. Und gleichzeitig hätte die Fusion den "Vorteil", dass hierdurch künftig die noch laxeren französischen Exportrichtlinien beim Export von Kampfpanzern zur Anwendung kommen.

Liebe Freundinnen und Freunde,

Fakt ist: Weder Gabriel noch irgendein anderer führender deutscher Politiker hat die Absicht, die Rüstungsexporte einzuschränken - im Gegenteil. Weshalb ist dies der Fall?

Eine erste, relativ einfache Antwort lautet: Weil es sonst keine deutsche Rüstungsindustrie gäbe - ohne Exporte wäre sie schlicht nicht überlebensfähig. Solange es also eine deutsche Rüstungsindustrie gibt, solange wird es auch deutsche Rüstungsexporte geben.

In den Worten von Claus Günther, BDI-Vorsitzender des Ausschusses Sicherheit: "Wir brauchen Exporte, denn allein durch die dünne nationale Auftragsdecke wird die deutsche Rüstungsindustrie nicht überlebensfähig sein."

Die Politik sieht das genauso, wenn etwa CDU-Rüstungsexperte Henning Otte angibt: "Deutschland als souveräner Staat muss in der Lage sein, seine Soldaten in Kernbereichen mit Waffen aus eigener Produktion auszustatten, um nicht auf zweitklassiges Material vom Weltmarkt angewiesen zu sein. Damit diese Schlüsselindustrien lebensfähig sind, müssen sie auch exportieren können."

Doch weshalb hat die Politik ein solches Interesse an dem Überleben der Rüstungsindustrie?

Hier kursieren drei Antworten:

Erstens: Wegen der vielen Arbeitsplätze: Das ist Quatsch!

In der Rüstungsindustrie sind gerade einmal 98.000 Menschen beschäftigt, im Kernbereich sogar nur 17.000. Selbst die höhere Zahl bedeutet über den Daumen gepeilt lediglich einen Anteil von 0,24 Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland.

Zweitens wegen ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung: Noch größerer Humbug!

Die Rüstungsindustrie steuert etwa 1 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei. Das ist überschaubar. Zum Vergleich: Allein die Autoindustrie kommt auf 7 Prozent.

Eine Konversion, also die Umstellung der Rüstungsproduktion auf die Herstellung ziviler Güter, wäre also möglich - es fehlt dazu aber der politische Wille.

Und das hat mit der dritten und entscheidenden Antwort zu tun, weshalb die Rüstungsindustrie und ihre Exporte gestärkt werden sollen:

Eine eigenständige Rüstungsindustrie gilt als unerlässlicher Machtfaktor eines erstrangigen weltpolitischen Akteurs. Die Gleichung ist also simpel: Ohne Rüstungsexporte, keine deutsche Rüstungsindustrie. Ohne deutsche Rüstungsindustrie, keine eigenständige deutsche Militärpolitik. Ohne eigenständige deutsche Militärpolitik, keine deutsche Großmachtpolitik!

Rüstungsexporte sind also das zwingende Ergebnis deutscher Großmachtambitionen. Deshalb halte ich es für zentral, dass wir neben der moralischen Verwerflichkeit von Rüstungsexporten auch diese strategisch-machtpolitische Funktion der Waffenausfuhren stärker in den Fokus der Kritik rücken!

Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - IMI-Standpunkt 2015/032.

Veröffentlicht am

31. August 2015

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