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Offener Brief zur Abstimmung zum Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz

Sehr geehrte Abgeordnete,
sehr geehrte Damen und Herren,

am Donnerstag werden der Bundestag und am Freitag der Bundesrat über das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz abstimmen, das die Bundesregierung auf den Weg gebracht hat, um die Situation in den deutschen Kommunen zu verbessern. Wie Sie ohne Zweifel wissen, steht Deutschland derzeit vor der Herausforderung, eine hohe Zahl von Flüchtlingen vor allem aus Kriegs- und Krisengebieten wie Syrien, Afghanistan und Irak menschenwürdig unterzubringen und zu integrieren. Das geplante Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz enthält jedoch auch Maßnahmen, die nicht zur Bewältigung dieser Herausforderung beitragen. Im Gegenteil - es stellt die Weichen auf Ausgrenzung und Abwehr und ist mit der Achtung von Menschenrechten nicht vereinbar.

Menschenwürde ist kein Fehlanreiz

Die geplanten Maßnahmen drohen die Integration von Flüchtlingen massiv zu erschweren: Die Ausdehnung des Zwangsaufenthalts in der Erstaufnahmeeinrichtung auf bis zu sechs Monate, die Wiedereinführung des Sachleistungsprinzips, die Ausdehnung des Arbeitsverbotes auf sechs Monate und weitere geplante Maßnahmen zielen auf die Ausgrenzung von Schutzsuchenden in Deutschland. Besonders entwürdigend ist der geplante Umgang mit Flüchtlingen aus sogenannten "sicheren Herkunftsstaaten". Sie sollen bis zu ihrer Abschiebung in den Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht werden - de facto heißt das auf unbestimmte Zeit.

Auch wenn Menschen nach Ablehnung ihres Asylantrags Deutschland wieder verlassen müssen: Der Schutz der Menschenwürde muss das staatliche Handeln bestimmen. Eine Absenkung von Leistungen unter das vom Verfassungsgericht bestimmte Leistungsniveau, mit der Absicht Menschen, die ausreisen sollen, außer Landes zu treiben, ist inakzeptabel. Genau das wird in § 1a Asylbewerberleistungsgesetz vorgesehen.

Das Bundesverfassungsgericht hatte 2012 entschieden: "Auch eine kurze Aufenthaltsdauer oder Aufenthaltsperspektive in Deutschland rechtfertigt es im Übrigen nicht, den Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf die Sicherung der physischen Existenz zu beschränken." Damit ist das Vorhaben der Bundesregierung offensichtlich verfassungswidrig und verstößt gegen die Menschenrechte.

Beschleunigung? Fehlanzeige.

Zugleich trägt das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz nicht zur Beschleunigung der Asylverfahren bei, sondern baut neue Bürokratie auf  beziehungsweise schafft hierfür eine gesetzliche Grundlage: Schon jetzt erhalten Asylsuchende in vielen Fällen nicht die Möglichkeit, zeitnah ihr Asylverfahren einzuleiten, sondern erhalten stattdessen eine so genannte "Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender in Deutschland" (BÜMA). Bis die Betroffenen einen Asylantrag stellen können, müssen sie monatelang warten, in manchen Fällen bereits jetzt schon mehr als ein Jahr. Statt Asylsuchenden schnell die Asylantragsstellung zu ermöglichen, soll die Praxis, sie mit einer "BÜMA" in eine monatelange Warteschleife zu drängen, jetzt auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden. Damit wird Bürokratie aufgebaut statt abgebaut.

Auch hinsichtlich der Dublin-Verfahren bringt das Gesetz hier nicht den dringend notwendigen Bürokratieabbau. Asylsuchenden, die jüngst über Ungarn und Österreich nach Deutschland einreisten, kann noch immer die Überstellung drohen - trotz der menschenunwürdigen Situation von Flüchtlingen in Ungarn und den Mängeln im ungarischen Asylverfahren. Auf die Einleitung eines Dublin-Verfahrens zu verzichten ist nicht nur im Interesse der Betroffenen, sondern kann helfen, den katastrophalen Antragsrückstau beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu reduzieren. Amnesty International und PRO ASYL sprechen sich gemeinsam gegen Dublin-Rücküberstellungen nach Ungarn aus.

Die im Gesetz vorgesehene Erleichterung der Arbeitsmigration aus westlichen Balkanstaaten ist sinnvoll - sie ändert jedoch nichts daran, dass diese die Kriterien eines "sicheren Herkunftsstaates" nicht erfüllen. Die geplante Einstufung dieser Staaten als "sicher" wird der Realität nicht gerecht. Warum sollte etwa ein Staat wie Kosovo sicher sein, wenn dort 5.000 KFOR-Soldaten stationiert sind? Zudem sind landesweit Diskriminierungen von Minderheiten an der Tagesordnung, die in ihrer Kumulierung durchaus der Schwere einer Verfolgung gleich kommen können. Das Konzept der "sicheren Herkunftsstaaten" führt dazu, dass nach Maßgabe politischer Opportunität über das Schicksal von Schutzsuchenden entschieden wird - die aktuelle Diskussion über die Türkei als "sicheres Herkunftsland" zeigt dies in eindrucksvoller Weise. Das Grundrecht auf Asyl ist ein Individualrecht - sein Fundament ist die sorgfältige Prüfung des individuellen Falls.

Integration statt Abschreckung

Wir appellieren eindringlich, dieses Gesetz im Hinblick auf die Zielrichtung grundlegend zu überarbeiten. Integration ist die Herausforderung der Stunde. Zehntausende von Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen in den Kommunen geben alles, um die ankommenden Menschen so gut wie möglich zu versorgen. Auf die enormen Anstrengungen muss jetzt ein staatliches Konzept zur menschenwürdigen Aufnahme und Integration von Flüchtlingen folgen. Die Aufgabe, vor der Deutschland jetzt steht, muss dabei zum Katalysator werden, um längst fällige Investitionen in den sozialen Wohnungsbau und in Bildung anzustoßen.

Wir appellieren eindringlich an Sie, dem vorgelegten Gesetzentwurf nicht zuzustimmen und ihn grundlegend zu überarbeiten.

Wir bedanken uns im Voraus für Ihren Einsatz für die Menschenrechte von Flüchtlingen und Asylsuchenden.

Mit freundlichen Grüßen

Selmin Çaliskan, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland 

Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL

Quelle: PRO ASYL Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge e.V. - Pressemitteilung vom 14.10.2015.

Veröffentlicht am

15. Oktober 2015

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