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Frankreich: Der perfekte Feind

Präsident Hollande hat eine Kriegserklärung an den IS abgegeben. Ob er damit gut beraten war, darf bezweifelt werden

Von Lutz Herden

Rache und Vergeltung als Raison d’être einer staatlichen Macht, die 132 Tote nicht verhindern konnte, das ist als Augenblicksreflex das Nächstliegende und Nachvollziehbare: Stärke durch Führung und Härte beweisen. Doch kann über die Demonstration von politischem Selbstbewusstsein und Behauptungswillen hinaus diese Aufwallung eine tückische Falle sein.

Präsident François Hollande hat eine Kriegserklärung an den IS abgegeben. Die Nation sei "konfrontiert mit Krieg" und müsse "angemessene Maßnahmen" ergreifen. Welche sind das? Gegen wen will die französische Armee kämpfen, wenn sie zur Verteidigung der Nation aufbricht und die Attentäter von Paris zum Teil - wenn nicht überwiegend - französische Staatsbürger waren? Und IS-Stellungen in Syrien? Wurden die nicht schon vor dem 13. November von der französischen Luftwaffe bombardiert?

Kriege galten bisher als gewaltsam ausgetragener Konflikt zwischen Staaten oder zwischen den Parteien eines Bürgerkrieges innerhalb eines Staates, doch erfasst diese Definition im Zeitalter der asymmetrischen Konflikte längst nicht mehr die Realität.

Parallel- oder Paria-Gesellschaft

Um so mehr muss man sich überlegen, was es bedeutet, einen Krieg gegen den IS, der kein Staat ist, oder gar den "totalen Krieg" (Nicolas Sarkozy) auszurufen. Damit wird ein solcher Gegner nicht nur aufgewertet, sondern ihm womöglich ein strategischer Gefallen getan. Vorausgesetzt, der IS verfolgt wirklich das strategische Kalkül, über den Irak und Syrien hinaus Europa ins Visier zu nehmen. Dem könnte die Auffassung zugrunde liegen, die Schlachten dort, sollten auch hier geschlagen werden, weil sie sich nur dann im Irak und in Syrien gewinnen lassen. Deshalb sollten die westliche Ordnung destabilisiert und der Zerfall Europas in Nationalstaaten beschleunigt werden.

Trifft das zu, wäre Frankreich der perfekte Feind. Und das aus vielen Gründen. Die Grande Nation beherbergt eine starke, islamische Community maghrebinischer Einwanderer, denen vielfach mit Verachtung begegnet wird, die marginalisiert sind und das Stigma der Parallel- oder auch Paria-Gesellschaft oft bewusst angenommen haben, indem sie eine sie umgebende dominante Gesellschaft bekämpfen. Und das immer vehementer. Man vergleiche den 7. Januar 2015 mit dem 13. November 2015. Beim Attentat auf die Redaktion des Satire-Magazins Charlie Hebdo wollten die Täter kulturelle Gegenspieler treffen, das Blutbad von Freitagnacht galt einer ganzen kulturellen Gegenwelt - mit der Ausweitung des Feindbildes ging eine Ausweitung der Kampfzone einher.

Frankreich ist auch deshalb ein idealer Gegner, weil es an sich selbst krankt und leidet. Es gibt soziale Verwerfungen, die mehr erfassen als das Einwanderer-Milieu der urbanen Peripherie. Die innere Zerrissenheit wurde in den vergangenen Monaten stets beklagt. Sie habe das Land in einen Zustand der kollektiven Depression versetzt, auch weil die Hoffnung so schwer enttäuscht wurde, die sich im Mai 2012 mit dem Antritt des sozialistischen Präsidenten verband. Was geschieht, wenn eine derart "asymmetrische" Gemeinschaft in einen asymmetrischen Krieg gerät? Ist sie dem gewachsen? Ist sich die Regierung der Risiken ihrer Semantik und ihres militanten Furors bewusst?

Statusverlust in Europa

Frankreich hat im Ergebnis seiner inneren Verfassung mit Statusverlust in Europa zu kämpfen, was dem nationalen Selbstwertgefühl schadet. Angela Merkel wollte das Angebot François Hollandes nicht annehmen, im Streit um Griechenland, aber auch in der Eurozone überhaupt zwischen marktliberalem Dogma und sozialem Gewissen zu vermitteln. Paris hätte aus dem Tandem-Betrieb mit Berlin aussteigen und eine Mission finden können, die seinen derzeitigen Möglichkeiten angemessener wäre.

Das heißt in der Konsequenz: Wer Frankreich angreift, der erschüttert eine mit sich selbst ringende nationale Gemeinschaft. Der lässt zugleich Europa erbeben, dessen Zustand von dem seiner einstigen Führungmacht Frankreich nicht zu trennen ist und gerade an Zusammenhalt verliert, was dem IS nicht entgangen sein dürfte, wenn er so strategisch denkt und handelt wie behauptet wird.

Jedwede Unterstützung

Ob Präsident Hollande unter all diesen Umständen gut beraten war, dem IS eine Kriegserklärung zu übermitteln, darf bezweifelt werden. Hielt er dies für geboten, muss sich Europa davon betroffen fühlen. Auch das bezeugt eine Ausweitung der Kampfzone. Sie akzentuiert, was Angela Merkel am Tag nach den Anschlägen Frankreich versichert hat: Deutschland sei zu "jedweder Unterstützung" bereit. Gerhard Schröders "uneingeschränkte Solidarität" mit den USA direkt nach 9/11 klang ähnlich.

Quelle: der FREITAG vom 16.11.2015. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

17. November 2015

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