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“Das Gefühl ist nackte Angst”: Interview mit der Flüchtlingsaktivistin Elisabeth Ngari

Rechte Scharfmacher machen mobil gegen Flüchtlinge und Migrant_innen, "besorgte Bürger" protestieren gegen Unterkünfte für Asylsuchende. Aber vielerorts gibt es Menschen, die rassistische und rechtsextremistische Hetze bekämpfen und Flüchtlinge unterstützen. Das Interview bildet den Auftakt zur News-Serie von PRO ASYL über gelebte Willkommenskultur.

Elisabeth Ngari flüchtete 1996 aus Kenia nach Deutschland und lebte sieben Jahre in Sammelunterkünften in Brandenburg. Sie gründete mit anderen weiblichen Flüchtlingen die Gruppe Women in Exile , um auf die oft besonders prekäre Situation von geflüchteten Frauen aufmerksam zu machen, und arbeitet derzeit in einem Qualifizierungsprojekt für Migrant/innen und Flüchtlinge im Projekthaus Potsdam. Simone Rafael sprach mit ihr über die Schwierigkeiten des Ankommens.*

Sie sind selbst als Flüchtling nach Brandenburg gekommen. Wie war das Ankommen für Sie? Hatten Sie das Gefühl, dass sie an einen guten, sicheren Ort kommen?

Nein, leider überhaupt nicht. Ich bin in Frankfurt am Main angekommen und von dort nach Eisenhüttenstadt gebracht worden. Überall wurden unglaublich viele Fragen gestellt, immer und immer wieder. Ich fühlte mich eher wie eine Verbrecherin als wie eine Asylsuchende. Dazu fehlten jegliche Informationen: Bin ich jetzt wirklich angekommen? Immer wieder sagten mir die Beamten: Du kannst jederzeit wieder nach Hause geschickt werden! Wie sollte ich mich da sicher fühlen?

Was konkret machte das Ankommen schwer?

Es war niemand da, der einmal gesagt hätte: Hier gibt es einen guten Anwalt. Hier gibt es Menschen, die Dir helfen können, Dich beraten können. Ich habe das alles herausgefunden, aber viel später und ganz allein. Deshalb engagiere ich mich heute, um mein Wissen mit anderen Flüchtlingen zu teilen. Ich möchte ihnen helfen, schneller voranzukommen, als ich es konnte.

Welche Willkommenskultur würden Sie sich wünschen? Wie könnte ein Ankommen für Geflüchtete einfacher werden?

Zu allererst: Informationen in verschiedenen Sprachen, wie es jetzt weitergeht, oder auch über Sprachkurse oder ähnliches, was der Integration dient! Ein Grundproblem ist, dass die Flüchtlinge in Heimen untergebracht werden, abgetrennt von der Wohnbevölkerung. Das gibt den Geflüchteten das Gefühl, nicht willkommen zu sein, und macht es ihnen sehr schwer, mit Menschen in Kontakt zu kommen.

Andererseits scheint es mir auch der Bevölkerung die Vorstellung  zu vermitteln: "Das können doch keine normalen Menschen sein. Die müssen doch irgendwas gemacht haben, dass sie da in so Heime vor der Stadt gebracht werden." Ich würde mir also wünschen, dass Menschen sozusagen innerhalb der Gesellschaft untergebracht werden, in Wohnungen, wo sie Freunde finden oder einmal mit Nachbarn reden können. 

Wie erleben Flüchtlinge rechtsextreme Demonstrationen vor den Heimen?

Das Gefühl ist nackte Angst. Alle Flüchtlinge kennen die Geschichten von brennenden Asylbewerberheimen, viele machen Gewalterfahrungen. Deshalb verlassen Flüchtlinge oft nur in Gruppen die Heime, weil sie Angst haben. Das beschränkt einen natürlich auch wieder furchtbar in der persönlichen Entfaltung und Lebensführung. Auch das macht Menschen depressiv. Allerdings gibt es im Moment positive Entwicklungen. An Orten wie Berlin-Hellersdorf oder Wandlitz waren ja in diesem Jahr größere Teile der Zivilgesellschaft bereit, sich zu organisieren, um sich den rechtsextremen Demonstrationen entgegen zu stellen.

Gibt es im ländlichen Raum besondere Herausforderungen?

Ich hatte immer den Eindruck, dass die Menschen in Brandenburg, die selbst keinen Job haben und wenig Perspektive sehen, besonders missgünstig auf Flüchtlinge schauen, die ihnen etwas wegzunehmen scheinen.

Was könnte die Situation besser machen?

Wie schon gesagt: Die Gesetze müssen geändert werden. Flüchtlinge sollten leben können, wo sie wollen, sie sollten arbeiten dürfen und so in der Gesellschaft ankommen können! Konkret sind Informationen hilfreich: Wo gibt es kostenlose Sprachkurse? Wo kann ich etwas Sinnvolles tun? Das ist ja für viele ein Problem, das untätige Herumsitzen.

Ich engagiere mich für Organisationen, die Konkretes zu verbessern versuchen: Etwa hat die selbstorganisierte Gruppe "Refugee Emancipation" Internetcafés in Flüchtlingsheimen aufgemacht, damit die Menschen Zugang zu Informationen und Kontakt zu anderen Menschen haben können. Übrigens ist auch diese Arbeit frustrierend, wenn etwa die Heimleiter kommen und sagen, sie möchten kein Internetcafé, weil sie denken, dass dann die Flüchtlinge um die Computer streiten! Viele Heimleiter möchten auch nicht, dass wir Seminare in den Heimen organisieren - weil dabei die Missstände in ihrer eigenen Einrichtung zur Sprache kommen könnten. Wir bieten die Seminare dann an anderer Stelle an - und freuen uns, dass Flüchtlinge aus ganz Brandenburg zu uns nach Potsdam kommen, um sich zu vernetzen.

Und was wünschen Sie sich von der deutschen Wohnbevölkerung?

Ich habe immer den Eindruck, dass es die meisten Deutschen nicht interessiert, wie es Flüchtlingen geht. Höchstens, wenn etwas Schlimmes passiert, sind kurz ein paar Menschen da. Wenn Nazis vor dem Heim stehen, kommen auch Deutsche, die dagegen protestieren. Aber auch die sind hinterher wieder weg. Ich würde den Menschen gern mehr Informationen über das Leben von Flüchtlingen geben. Wir sind hier und möchten uns einbringen! Wir möchten ins Gespräch kommen. Wenn es Treffen gibt, was man gegen Nazi-Demonstrationen vor Heimen tun kann, wie man die Situation von Flüchtlingen verbessern kann - ladet uns doch mit ein!

*Das Interview haben wir der von PRO ASYL und der Amadeu-Antonio-Stiftung gemeinsam herausgegebenen Broschüre Refugees Welcome - Gemeinsam Willkommenskultur gestalten entnommen und hier leicht gekürzt wiedergegeben.

Beispiele von gelebter Willkommenskultur

Gemeinsam gegen Rassismus!

PRO ASYL ruft dazu auf, rassistischen Vorurteilen entschieden zu widersprechen, Flüchtlinge willkommen zu heißen und sich rechten Hetzern in den Weg zu stellen.

Bitte informieren Sie sich unter folgenden Links:

Quelle: PRO ASYL Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge e.V. - 02.04.2014.

Veröffentlicht am

04. April 2014

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