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“Auf dieser Route sterben Menschen…” - Gewalt gegen Flüchtlinge auf Balkanroute nimmt zu

Die Staaten an der Balkan-Route riegeln ihre Grenzen brutal ab, da sie fürchten, dass die Flüchtlinge an den Grenzen Deutschlands und Österreichs zu ihnen zurückgewiesen werden könnten. So führt die Diskussion um "Obergrenzen" in Deutschland und Österreich dazu, dass Balkanroute für Flüchtlinge immer gefährlicher wird: Immer mehr Menschen werden Opfer von Polizeigewalt und brutalen Überfällen. Griechenland wird für Schutzsuchende zur Falle.

"Auf dieser Route sterben Menschen aufgrund von Hunger, Kälte, kriminellen Übergriffen - und  keiner spricht davon", sagt S., eine 45-jährige Frau aus Uganda, die eine Woche lang zusammen mit 20 anderen Flüchtlingen vom griechisch-mazedonsichen Grenzort Idomeni aus zu Fuß bis an die mazedonisch-serbische Grenze gelaufen war. Ihr Ziel: Der Norden Europas. Auch ein sechs-jähriges Kind befand sich in ihrer Gruppe.

Ein paar Kilometer vor der serbischen Grenze wurden sie von der mazedonischen Polizei aufgegriffen und nach Griechenland zurückgeschoben. S. wurde übergangsweise in der Unterkunft einer Stiftung in Athen untergebracht. "Ich habe kein Geld mehr, um Schlepper zu bezahlen. Ich habe keine andere Wahl, als in Griechenland Asyl zu beantragen. Ich hoffe, dass ich mit der Hilfe von NGOs eine Unterkunft bekomme, in der ich bleiben kann, und eine Arbeit, um mich selbst versorgen zu können", sagt sie.

Trotz erhöhter Polizeipräsenz und der Konstruktion von Grenzzäunen schlagen sich viele Schutzsuchende weiter über die Balkanroute in Richtung Mittel- und Nordeuropa durch. Dabei sind sie auf Schlepper angewiesen. Viele werden Opfer von Polizeigewalt oder Überfällen. Mitarbeitende des RSPA-Projekts haben in Athen Schutzsuchende getroffen, die nach gescheiterten Versuchen die Grenze zu überqueren, verletzt und verzweifelt nach Griechenland zurückkehrten.

Flüchtlinge in Griechenland: Kaum Chancen auf Zugang zum Asylverfahren

Wegen fehlenden Personals erfolgt die Anmeldung für einen Termin zur Registrierung eines Asylantrags oder eines Antrags auf Familienzusammenführung bei der Asylbehörde in Athen fast ausschließlich per Skype. Einmal pro Woche, mittwochs von 11 bis 13 Uhr, können z.B. Flüchtlinge, die Englisch oder Französisch sprechen, ihr Glück versuchen.

"Wir haben kein Internet und kein Geld, um dafür zu bezahlen. Es ist doch die Pflicht des Staates, den Zugang zum Asylverfahren sicherzustellen", sagt A., ein Flüchtling  aus Sierra Leone. Selbst mit der Hilfe von NGOs ist es zurzeit äußerst schwierig, einen Termin zu bekommen, erklärt eine Helferin im Lager. "Es gibt einfach zu viele Anfragen seit am 18. November 2015 die mazedonisch-griechische Grenze für Schutzsuchende bestimmter Nationalitäten geschlossen wurde", sagt sie.

Griechenland  ist weiterhin durch die hohe Zahl neuankommender Flüchtlinge überfordert. Vor allem jetzt, wo so viele nicht weiter Richtung Zentraleuropa fliehen können und hier Asyl beantragen wollen, um nicht illegalisiert zu werden. Denn erst der Asylantrag bewahrt sie vor einer erneuten Festnahme und Haft in einem der mehrfach vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof für menschenunwürdig erklärten Abschiebelager des Landes.

Laut Angaben von IOM sind von Anfang des Jahres bis heute über 30.000 Flüchtlinge und MigrantInnen in Griechenland angelandet. Das sind 21-mal mehr Flüchtlinge als im Januar des Vorjahres.

Nur 1.150 Unterbringungsplätze

Die Lebensbedingungen für Flüchtlinge in Griechenland sind unverändert katastrophal. "Bei einer durchschnittlichen Anzahl von jährlich 10.000 Asylanträgen in den letzten drei Jahren, gibt es nicht mehr als 1.150 Unterbringungsplätze für Asylbewerber", so Kalliopi Stefanaki, Leiterin der Abteilung für den Schutz von Flüchtlingen im griechischen Büro des UN-Flüchtlingshochkommissariats.

Der UNHCR plant sukzessive 20.000 Pensions- und Hotelzimmer anzumieten, um besonders Schutzbedürftige und Asylsuchende sowie Flüchtlinge, die an dem europäischen Relocation-Programm teilnehmen, unterzubringen. Noch am Jahresende 2015 warnte der UNHCR davor, Schutzsuchende nach Griechenland zurückzuschieben. Unter anderem wegen der mangelnden Infrastruktur für Schutzsuchende, Problemen beim Zugang zum Asylverfahren, anderen Menschenrechtsverletzungen und der rassistischen Gewalt.

Perspektivlosigkeit in der Krise

Die Mehrheit der Flüchtlinge ist sich über ihre Lage im Krisenland Griechenland bewusst. J., ein 36-jähriger Schutzsuchender aus Uganda, der bei seinem dritten Versuch die Grenze zu überqueren, von mazedonischen Polizisten brutal verprügelt wurde, sieht keine andere Option für sich, als Griechenland irgendwie zu verlassen. "Ich versuche andere Wege zu finden, um meine Reise fortzusetzen. Ich sehe, dass Griechenland wegen der Wirtschaftskrise selbst viele Probleme hat. Es ist sehr schwierig, an einem Ort zu bleiben, wo du keine Unterstützung bekommen kannst, und keine Arbeit finden kannst, um dich zu versorgen".

"Kein Vertrauen in das griechische Asylsystem"

Auch M., eine 20-jährige Frau aus Somalia, die alleine unterwegs ist, will weiterhin mit der Hilfe von Schleppern versuchen, Griechenland zu verlassen. "Die Flüchtlinge haben kein Vertrauen in das griechische Asylsystem. Sie glauben nicht, dass der Staat ihnen das Überlebensnotwendige gewährleisten kann". Die junge Frau ist in einer ehemaligen olympischen Sporteinrichtung im Athener Stadtteil Elliniko untergebracht, die als provisorisches Aufnahmelager dient. Sie ist vor ein paar Tagen von der Grenze zurückgekehrt, nach einem gescheiterten Versuch, mit Hilfe von Schleppern die griechisch-mazedonische Grenze zu überqueren.

Fünf Tage war sie mit einer Gruppe von Flüchtlingen durch Wälder, über Hügel und durch Flüsse gelaufen, bis sie vor der mazedonisch-serbischen Grenze von der Polizei aufgegriffen und nach Griechenland zurückgewiesen wurde.  Laut Medienberichten verweigerten die mazedonischen Behörden im Dezember 12.000 Flüchtlingen die griechisch-mazedonische Grenze zu überqueren.

Boomendes Schleppergeschäft - eine Folge der abgeriegelten Grenzen

Diejenigen, die nach Griechenland zurückgeschoben oder von der Grenzpolizei als Wirtschaftsmigranten eingestuft und abgewiesen werden, werden meistens von der griechischen Polizei gezwungen, mit Bussen nach Athen zurückzukehren und die Grenzregion zu verlassen.

"Sie sagten uns, entweder ihr zahlt die 20 Euro für die Busfahrt, oder ihr landet im Gefängnis", berichtet M. Das Gefühl, wieder bei null zu starten, sei für sie unerträglich. "Es ist furchtbar für uns Flüchtlinge - für alle verzweifelten Menschen, die die Grenze überqueren wollen. Wir sind gezwungen, Schlepper aufzusuchen, um diesen riskanten Weg zu gehen. Die Menschen erleiden sehr viel, manche haben auf diesem Fluchtweg ihre Beine oder andere Gliedmaßen gebrochen."

Neben ihr steht eine Frau mit Krücken. Sie wurde schwer verletzt, als der Schlepper sie nach der Überquerung eines Flusses ans andere Ufer stieß. Das Schleppergeschäft erfährt wieder Aufwind . Es boomt wie schon zu Zeiten vor der Öffnung des inoffiziellen Grenzübergangs in Idomeni im Sommer 2015.

Erst die erneute Schließung der Grenze für einige Flüchtlingsgruppen hat das Schleusergeschäft erneut befeuert. Ärzte ohne Grenzen spricht in einem erst kürzlich veröffentlichten Bericht gar vom "katastrophalen Versagen" der europäischen Politik, die durch das Errichten von physischen Barrieren wie Zäunen und Grenzkontrollen Kriegsflüchtlinge dazu zwingt, sich mithilfe von Schmugglern auf immer gefährlichere Routen zu begeben.

Schockierend hohe Zahl von Verletzen

D., ein 50-jähriger Iraner, bereitet sich erneut auf den gefährlichen Weg vor, obwohl er beim letzten Versuch gesehen hat, wie junge Männer, mit denen er unterwegs war, durch mehrfache Tritte von Polizeibeamten schwer verletzt wurden. "Wir haben Angst, dass wir nicht überleben können, wenn wir in Griechenland bleiben", sagt der weißhaarige Mann.

Die Zahl der Verletzten, die Ärzte im Grenzort Idomeni und in Athen behandeln, ist besorgniserregend. Seit der Grenzschließung bis zum 9. Januar 2016 habe das Team der Ärzte ohne Grenzen in Idomeni insgesamt 688 Menschen behandelt, teilte die Organisation auf Anfrage mit. 70 davon hätten Anzeichen von äußerlicher Gewalteinwirkung aufgewiesen, die ihnen zufolge durch Polizisten in Mazedonien verursacht worden seien. Die NGO Ärzte der Welt teilte RSPA mit, im Zeitraum 21.12. bis 31.12.2015 insgesamt 151 Verletzungen registriert zu haben, wobei 94 durch Gewalt verursacht worden seien. Die Tatsache, dass diejenigen, die abgeschoben werden, sofort in Busse Richtung Athen einsteigen müssen, erschwert die Arbeit der Ärzte massiv.

Täglich kehren daher hunderte Schutzsuchende erschöpft und verletzt nach Athen zurück und suchen dort medizinische Hilfe. Der Arzt Vangelis Tsilis von der NGO Praksis hat die letzten zwei Monate in der griechischen Hauptstadt mehrere solche Fälle behandelt. Flüchtlinge, die schwerverletzt von der Grenze zurückkommen, würden sich gleich wieder auf den Weg machen. "Ich habe Personen mit gebrochen Rippen gesehen, die bei mir erste Hilfe bekommen haben und dennoch sagten, dass sie gleich wieder an die Grenze fahren werden…" 

Willkürliche Grenzschließungen gefährden Schutzsuchende

Die Polizei erlaubte den NGO-MitarbeiterInnen und Freiwilligen vom 9. Dezember bis zum 20. Januar 2016 nicht mehr, im Transitcamp in Idomeni humanitäre Unterstützungsarbeit zu leisten. Einige Flüchtlinge harren bei Minusgraden an einer Tankstelle auf der Strecke nach Idomeni Stunden und Tage aus. Das, obwohl in Idomeni über Monate hinweg eine funktionierende Infrastruktur u.a. mit beheizten Zelten aufgebaut worden ist.

Vom 19. Januar bis zum 21. Januar 2016 war die griechisch-mazedonische Grenze komplett geschlossen . Grund dafür seien technische Probleme der Zugverbindung in Slowenien, so die offizielle Erklärung laut Medienberichten . Die Berichte von gewaltsamen Übergriffen durch die Polizei in Mazedonien und die Tatsache, dass Polizeibeamte und Grenzbeamte in einem Schnellverfahren und oft ohne Dolmetscher entscheiden, wer passieren darf und wer nicht, und dann vermeintlich nicht-syrische, irakische oder afghanische Flüchtlinge abgeschoben werden, weisen auf schwere Rechtsverstöße hin. Am 20. Januar öffnete die Polizei zwar auf Druck von NGOs und anderen HelferInnen das Transitcamp. Jedoch setzt die unmenschliche Situation an der Grenze Schutzsuchende weiterhin großer Gefahr aus.

Die bereits unerträgliche Situation am Grenzübergang von Idomeni ist nur ein Vorgeschmack darauf, was passiert, wenn Deutschland und Österreich ihre Grenzen schließen: Ein Domino-Effekt der Grenzschließung entlang der Balkanroute, der alle Schutzsuchenden, die Europa erreichen, ohne Rücksicht auf Verluste in Griechenland festsetzt. Die Folge dürfte aller Voraussicht nach eine massive humanitäre Krise in Griechenland sein.

Quelle: PRO ASYL Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge e.V. - 21.01.2016.

Veröffentlicht am

25. Januar 2016

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