US-Wahlkampf: Die Legende von Bernie und Hillary
Eigentlich galt die Kandidatin Clinton bei den Demokraten als gesetzt. Doch der linke Außenseiter Sanders holt auf
Von Konrad Ege
Bernie Sander ist der neue Hoffnungsträger im progressiven Amerika. Viele meinen, die USA seien reif für den Populismus von links des demokratischen Präsidentschaftsanwärters, denn die wirtschaftliche Ungleichheit wachse und die Superreichen hätten die Demokratie gekapert. Doch so eindeutig zugunsten der Linken sind die Verhältnisse dann doch nicht. Viele Amerikaner aus der weißen Arbeiterschicht bejubeln den Milliardär Donald Trump, den bisherigen Spitzenreiter der republikanischen Präsidentschaftskandidaten. Der demokratische Amtsinhaber Barack Obama hat mit seiner Politik der kleinen Schritte so manchen seiner anfangs begeisterten Anhänger enttäuscht, manchmal sogar entsetzt, und dennoch die Nation vorwärtsgebracht, jedoch ohne eine politische Revolution anzuzetteln.
Der weißhaarige Senator Sanders aus Vermont fordert nun diese politische Revolution gegen die Plutokraten ein. Seine Mitbewerberin Hillary Clinton beklagt ebenfalls das "abgekartete" System zugunsten der Reichen. Sie möchte jedoch "nur" eine verbesserte Neuauflage von Obama sein. Sanders weckt Sehnsucht und Hoffnung, Clinton gibt sich dagegen pragmatisch. Demokratische Wähler stellen bei den Vorwahlen stets zwei Fragen: Welcher Kandidat ist der bessere und welcher ist für die Nation "wählbarer" bei der Präsidentschaftswahl im November? Die klassische Antwort auf diese Fragen lautet stets: Jemand aus der Mitte hat bessere Chancen. Man ist ja schließlich in Amerika. Aber wird es diesmal auch so sein?
Der Ton wird schärfer
Die Vorwahlen rücken näher, am 1. Februar geht es los in Iowa. Am 9. Februar kommt dann New Hampshire an der Ostküste an die Reihe. Zwar haben die Demokraten vom Unterhaltungswert her keine Chance gegen die wilden Eskapaden eines Donald Trump mit seiner politisch wiederbelebten rechtskonservativen Helferin Sarah Palin. Aber auch bei den Demokraten wird der Ton schärfer. Lange zurück liegt die erste Debatte, bei der Sanders Clinton gegen Attacken verteidigte, weil sie in ihrer Zeit als Außenministerin ihren privaten E-Mail-Account dienstlich genutzt hatte. Heute spottet Sanders über die 675.000 Dollar, die seine Rivalin vom Bankhaus Goldman Sachs für Vorträge erhalten hat. Und er wirft ihr vor, sie stehe der Finanzindustrie zu nah. In Clintons Umfeld wird bereits bemängelt, sie habe Sanders zu Beginn nicht ernst genug genommen.
Doch inzwischen hat Clinton gelernt, auch weil Sanders in den Umfragen überraschend gut abschneidet. Jetzt bohrt sie beispielsweise nach, wie Sanders seine geplante staatliche Krankenversicherung und das kostenlose Studium an staatlichen Unis finanzieren würde. Sie schießt sich ein auf die Schusswaffenfreundlichkeit ihres Konkurrenten, der als Senator Rücksicht nimmt auf Leute mit Jagdgewehr. Tochter Chelsea Clinton kritisierte Sanders’ Initiative für eine staatliche Krankenversicherung gar als Vorhaben, "Obamacare" zu zerschlagen. Hillary Clintons Fans warnen unmissverständlich, der demokratische Sozialist Sanders würde bei der Präsidentschaftswahl im November sang- und klanglos untergehen. Republikaner könnten es gar nicht erwarten, mit "einem Hammer-und-Sichel-Werbespot" auf Sanders loszugehen, warnt etwa Clintons Wahlkampfhelferin, die US-Senatorin Claire McCaskill.
Den unkonventionellen Außenseiter könne man wählen, ohne sich dabei die Nase zuzuhalten, wie das oft der Fall bei der Stimmabgabe für einen demokratischen Politiker sei, betonen dagegen die Sanderistas. Sanders begeistert zahllose junge und nicht mehr ganz so junge Aktivisten, die für den unhippen Alten mit dem breiten Akzent Telefonanrufe machen, von Tür zu Tür gehen und Spenden organisieren.
"Wähler können Sanders vertrauen, weil er seine politische Karriere nicht den finanziellen Herrschern des Status quo verdankt" - so fasste es das Wochenmagazin The Nation zusammen, ein Barometer progressiver Befindlichkeiten in den USA. Sanders’ Kampagne habe das Potenzial, den "anschwellenden Chor" gegen eine Regierung im Dienst der Reichen zusammenzubringen, ein gerechteres Steuersystem durchzusetzen, den Klimaschutz zu verbessern und in der Außenpolitik auf Diplomatie statt auf Krieg zu setzen. Sanders vermittle, dass die "Veränderungen, die unser Land so dringend braucht, nur eintreten, wenn wir unsere Demokratie dem korrupten Griff der Wall-Street-Banker entreißen".
Zählt nur die Erfahrung?
Doch im liberalen Establishment der demokratischen Partei teilt man diese Bereitschaft für einen tief greifenden Wandel der Gesellschaft nicht. Hier liegt Hillary Clinton vorne. Auch die meisten Gewerkschaften setzen auf Clinton, darunter die zwei Millionen Mitglieder zählende Dienstleistungsgewerkschaft Service Employees International Union, die die führende Kraft bei der Kampagne zur Anhebung des Mindestlöhne auf 15 Dollar in der Stunde ist. Clinton habe bewiesen, dass sie "für arbeitende Familien" kämpfen und gewinnen könne, sagte deren Präsidentin Mary Kay Henry. Außerdem habe sie bei den Präsidentschaftswahlen die besseren Chancen.
"Es geht um so viel, wir müssen sicherstellen, dass Hillary gewinnt", begründete der Präsident der "League of Conservation Voters" die ungewöhnlich frühe Entscheidung seines Umweltverbandes, Clinton zu unterstützen. Die beiden demokratischen Präsidentschaftskandidaten sowie der Dritte im Bunde, der Ex-Gouverneur von Maryland, Martin O’Malley, hätten alle ihre Stärken, sagte Gene Karpinski. Doch Hillary Clinton habe am meisten Erfahrung und sie sei am effektivsten. Auch die nationale "Human Rights Campaign" und der Familienplanungsverband "Planned Parenthood" haben sich für Clinton ausgesprochen.
Sanders’ Anhänger verweisen gerne auf das Jahr 2008: Bei den Vorwahlen damals galt Clinton eigentlich als "gesetzte" Kandidatin. Doch dann tauchte ein junger Senator aus Chicago namens Barack Obama auf und begann seinen unaufhaltsamen Aufstieg in der Wählergunst. Am Ende hatte Clinton bei den Vorwahlen der Demokraten das Nachsehen und wurde nach Obamas Wahlsieg nur Außenministerin. Damals mag sie sich geschworen haben: Das passiert mir nicht noch einmal.
Bernie Sanders hat längst erkannt, dass die These von Clintons angeblich besserer Wählbarkeit ihm gefährlich werden kann. Er kontert sie deshalb, wo er nur kann. Ein republikanischer Präsidentschaftskandidat habe angesichts der desaströsen Politik der Konservativen nur eine Siegchance, wenn die Wahlbeteiligung im November sehr niedrig liegen würde. Und man könne doch leicht feststellen, so Sanders weiter, dass seine Kampagne "bei arbeitenden Menschen und jungen Menschen" großen Enthusiasmus erzeuge. Eine hohe Wahlbeteiligung werde "uns zum Sieg führen".
Legendäre Beziehungen
Barack Obama hat vor acht Jahren nach der bleiernen Präsidentschaft unter George W. Bush mit der Sehnsucht und dem Wunsch nach einem Politikwechsel die Wähler begeistert. Doch die Umstände waren damals anders. Obama gewann mit Hilfe einer mächtigen Koalition aus Schwarzen, Latinos, jungen Menschen, Frauen und progressiven Aktivisten. Sanders bemüht sich zusehends, Obamas Strategie zu kopieren, doch seiner Koalition mangelt es an Afroamerikanern und an Latinos. Die Verbindungen der Clintons, sowohl Bills als auch Hillarys, zu afroamerikanischen Verbänden, Politikern und Kirchen sind dagegen legendär.
2008, am Ende der Bush-Ära, gab es eine tiefe Wirtschaftskrise. Nun gehen acht Jahre mit Barack Obama im Weißen Haus zu Ende. Sie waren für die unteren Einkommensgruppen und für die Arbeiter wirtschaftlich nicht gerade besonders ertragreich. Doch manches hat sich auch verbessert. 18 Millionen Menschen verfügen dank Obamas Gesundheitsreform zum ersten Mal in ihrem Leben über eine Krankenversicherung, erstmals sind mehr als 90 Prozent der Bevölkerung versichert. Und ein Sieg von Hillary Clinton wäre ein Novum von enormer Bedeutung für die USA: Sie wäre die erste Frau im Oval Office. Auf die notorisch unzuverlässigen Wahlumfragen sollte man sich nicht einlassen, auch wenn Sanders seit Neuestem gerne über seine hohen Werte spricht.
Derweil läuft bei den Republikanern der Wahlkampf aus dem Ruder. Da sind nicht nur die ständigen verbalen Ausrutscher von Donald Trump. Den Konservativen droht außerdem möglicherweise noch ein parteiloser, unabhängiger Kandidat. Der Milliardär und ehemalige Bürgermeister von New York, Michael Bloomberg, spielt mit dem Gedanken, sich um das höchste Amt zu bewerben, sollte Trump tatsächlich die Vorwahlen seiner Partei gewinnen. Bloomberg ist technokratisch und wirtschaftlich konservativ, aber bei sozialen Fragen liberal.
Clintons Fans hoffen, dass es für ihre Kandidatin keine unangenehmen Überraschungen mehr gibt, insbesondere im Zusammenhang mit der E-Mail-Affäre. Doch das wird sich noch zeigen. Den Republikanern wäre ein Präsidentschaftskandidat Sanders lieber: Dazu passt auch ein Anti-Clinton-Werbespot aus Iowa, der von einem Aktionskomitee gesponsert wird, das Karl Rove, der ehemalige Wahlkampfberater von George W. Bush, gegründet hat: "Will Iowa wirklich die Wall Street im Weißen Haus?"
Quelle:
der FREITAG
vom 28.01.2016. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Konrad Ege und des Verlags.