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Angekommen. Angenommen?

Flüchtlinge, Asylbewerber und andere benachteiligte, weitgehend rechtlose Gruppen dienen oft als "Versuchspersonen", an denen neue Formen der Unmenschlichkeit erprobt werden. Das Erprobte kann dann später auch auf Deutsche angewandt werden, die weiter in der Mitte der Gesellschaft stehen. So geschehen bei Hartz IV. Was können wir tun, um auf solche Zusammenhänge stärker aufmerksam zu machen? Und vor allem: Wie können weitere Unmenschlichkeit verhindern? Sind kreative Formen des zivilen Ungehorsams wie einst bei den Protesten gegen den Vietnamkrieg notwendig? Ellen Diederich, langjährige Aktivistin in verschiedensten Auseinandersetzungen, stellt die richtigen Fragen.

Von Ellen Diederich

Die Versuche der Ausgrenzung der Flüchtlinge von Seiten der Regierungen sind nicht neu. Wir hatten während des Kriegs im ehemaligen Jugoslawien sehr viele Flüchtlinge hier im Ruhrgebiet. Ab Mitte der 90er-Jahre holten wir in Oberhausen Sonntags die Kinder aus den umliegenden Flüchtlingsunterkünften in das Zentrum, wo ich wohne, machten mit ihnen Musik, spielten Theater, malten, versuchten, ihnen ein Stück Unbeschwertheit zu geben.

Bei diesen Bemühungen stellten wir sehr schnell fest, dass es stimmt, was Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung bereits 2007 treffend formuliert hat: "Die Geschichte der neuen Exklusion beginnt bei und mit den Flüchtlingen, das Asyl, das Flüchtlings- und Ausländerrecht war und ist ihr Exerzierfeld, dort wurden Rechtsverkürzung, Leistungsverkürzug, Ausgrenzung erstmals ausprobiert und praktiziert. Bei den Flüchtlingen wurde die Politik der Entsolidarisierung eingeübt, Opfer waren die Schwächsten der Schwachen. Seitdem folgen die anderen Schwachen." Beispiele: die Agenda 2010 und Hartz IV.

Was ist heute unser Problem? Warum gelingt es uns nicht in dem Maße, in dem es möglich wäre, eine Bewegung zu entwickeln, die zeigt, dass nur Solidarität zwischen allen, die von denselben Kräften ausgegrenzt werden, Erfolg verspricht? (Mit "uns" meine ich die Friedensbewegung, die sozialen Bewegungen.)

Als die Agenda 2010, Hartz IV, beschlossen wurde, gab es eine Massenbewegung, es gab die Montagsdemonstrationen, bei denen öffentlich gemacht wurde, wie diese Entscheidungen die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen betreffen würden: die Erwerbslosen, die allein erziehenden Mütter, die Alten, die Kinder, alle die unter die Armutsgrenzen gedrückt wurden.

Ein großer Teil der Fluchtursachen hängt mit der Gier, den Profitinteressen in unseren Ländern, der Waffenproduktion und dem Waffenexport zusammen. Wie schaffen wir es, diese Fakten so in die Öffentlichkeit zu bringen, dass sie den Menschen hier deutlich werden und dass wir anfangen, etwas dagegen zu tun? Die Dokumentationen und Spielfilme über verbotene Rüstungsexporte nach Mexiko ("Tödliche Exporte") haben unlängst gezeigt, in welche Richtung es gehen sollte. Diese bekommen verdienterweise in diesem Jahr den Grimme-Preis.

Für mich sind Frau Merkel, Herr Gabriel, ist die ganze Regierung im höchsten Maße unglaubwürdig, wenn sie Lippenbekenntnisse zu den Flüchtlingen abgeben und zur gleichen Zeit die Rüstungsproduktion und den -Export trotz gegenteiliger Beschlüsse nahezu verdreifachen. Auch an anderen Kriegs-Fronten ist die BRD vielfach beteiligt. Die Ergebnisse der Aufklärungsflüge der Bundeswehr-Tornados zum Krieg in Syrien werden z.B. auch vom "neuen EU Partner Türkei" genutzt, um seinen grauenvollen Krieg gegen die Kurden besser führen zu können.

Meine Frage ist: Wie können wir es schaffen, dass die verschiedenen Gruppen der Ausgegrenzten: die Alten, Erwerbslosen, die Alleinerziehenden, die Kinder, die unterhalb der Armutsgrenze leben (in meinem Stadtteil in Oberhausen-Mitte sind es 48% der Kinder!) und die Flüchtlinge sich zusammentun, um gemeinsame Aktionen zu starten?

Zu Beginn der großen Friedensbewegung Anfang der 80er-Jahre entwickelten sich unerwartete Massenaktionen, denen sich Millionen anschlossen, von denen wir es zunächst gar nicht erwartet hätten. Es war eine Mischung aus Menschen aller Berufszweige, unterschiedlicher ökonomischer Lagen, politischer Einstellungen. Bei unseren großen Friedensmärschen - 3.500 km sind wir durch Europa gelaufen, um für Frieden zu werben - gingen mit einem Mal Türen auf, von denen wir es nicht erwartet hätten. Es gab kein Internet, keine Emails, und trotzdem gingen Millionen Menschen auf die Straße. Es entwickelte sich eine ungeheure Kreativität, Musik, Malerei, eine Freundlichkeit, die einfach gut tat. Auch gab es Ergebnisse: Die Mittelstreckenraketen Pershing II und Cruise Missiles wurden abgezogen, Abrüstungsverhandlungen zwischen den USA und der Sowjetunion begannen und zeitigten Erfolge.

Was Not tut, sind Anstrengungen, die sinnlich erfahrbar machen, wie sehr wir zusammengehören und was für ein Unfug es ist, uns auseinander zu dividieren. Die zeigen, welche kreativen, menschlichen Erfahrungen möglich sind, wenn wir uns erst einmal kennen lernen. Die zeigen, wie dumm und krank machend es ist, sein Leben mit Hass und Unverständnis anzufüllen.

Es ist keine leichte Aufgabe, aber wir sollten gemeinsam in diese Richtung denken und handeln. Zu Beginn der großen Flüchtlingswelle im letzten Jahr war schon viel vom Potential der Menschen in diese Richtung zu sehen. Lassen wir nicht zu, dass diese Anstrengungen verspottet werden im Sinn von: "Gutmenschentum" oder "Wir sollen uns von weinenden Kinderaugen nicht manipulieren lassen." Schauen wir uns die Menschen an, die in solche Richtungen denken. Eigentlich können sie uns auch Leid tun.

Am Montag war der internationale Tag gegen Rassismus und Frühlingsanfang. Genau vor einem Jahr haben wir in Oberhausen den ersten "Tag der offenen Tür" in dem größten Flüchtlingslager hier organisiert. Wir waren es leid, dass bei Veranstaltungen immer nur über die Flüchtlinge, nicht mit ihnen gesprochen wurde. Diese Aktion war ein Türöffner. Es kamen viele Menschen, auch aus den Verwaltungen. Ein anderer Dialog begann. Die Medien berichteten positiv.

Wie können wir erreichen, dass unsere Stimmen in der Öffentlichkeit stärker gehört werden, als das jetzt der Fall ist? Ist eine gewaltfreie Radikalisierung notwendig und möglich? Während des Vietnamkriegs verbrannten junge Männer in den USA, die als Soldaten nach Vietnam gehen sollten, öffentlich ihre Einberufungsbefehle. Sie zeigten so, dass sie sich nicht an diesen Verbrechen beteiligen wollten. Sollten wir eine bundesweite Aktion starten, bei der Abschiebeverfügungen für Flüchtlinge öffentlich verbrannt werden? Welche Aktionen, welche Berichte sind notwendig, um Empathie zu entwickeln? Welche politischen Anstrengungen?

Es gibt bereits viele Ideen und Aktionen. Wir sollten sie zusammentragen, damit wir voneinander lernen können.

Quelle: Hinter den Schlagzeilen - 23.03.2016.

Veröffentlicht am

29. März 2016

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