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26. April 1986. Der Tag, der unser Leben für immer veränderte

Der Atomunfall in Tschernobyl vor 30 Jahren war die bisher größte je dagewesene Nuklearkatastrophe der Geschichte. Bis heute sind die Auswirkungen noch deutlich spürbar. Doch was ist damals passiert? Wie konnte es so weit kommen? Die Ereignisse von vor 30 Jahren für Sie nacherzählt.

Es ist kurz vor halb zwei Uhr nachts. Die Dunkelheit hat die Sowjetunion, zu der auch die heutige Ukraine gehört, verschluckt. Es ist still und ruhig, ein Samstag wie jeder andere.

Noch kann niemand ahnen, was in wenigen Sekunden passieren wird. Noch weiß niemand, dass sich die größte Nuklearkatastrophe der Menschheit direkt vor unserer Haustür abspielen wird, mit der wir noch 30 Jahre später zu kämpfen haben werden.

Ein fatales Experiment nimmt seinen Lauf

Plötzlich ertönt ein lauter Knall und grelle Flammen, die sich über Block 4 des Atomkraftwerk Tschernobyl ausbreiten, vertreiben die Dunkelheit. Eine unkontrollierte Kettenreaktion, ausgelöst durch ein fatales Experiment von Arbeitern nimmt seinen Lauf.

Sirenengeheule durchdringt die Stille und eine 42 Mann starke Truppe versucht den Brand, der sich mittlerweile ausgebreitet hat, zu löschen. Schwarzer Ruß fällt wie Regen auf die Helfer. Was die Helfer zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen: Der Ruß ist hoch radioaktiv - die Arbeiter werden diese Nacht zum Großteil nur um wenige Wochen überleben. Durch den Unfall werden 30 bis 40 Mal so viel radioaktive Strahlung wie durch die Atombomben von Hiroshima und Nagasaki freigesetzt. Langsam dreht der Wind und nimmt die radioaktive Rauchwolke mit in Richtung Nordwesten - ins Baltikum und nach Skandinavien - und weiter nach Westeuropa und nach Österreich.

Drei Kilometer entfernt, in dem 49.000-EinwohnerInnen Ort Pripjat, weiß noch niemand über die Katastrophe, die ihren Lauf nimmt, Bescheid. Auf Grund der Information aus dem Atomkraftwerk, dass Block 4 des Reaktors lediglich gekühlt werden müsse, beschließen die Behörden, die Stadt nicht zu evakuieren Eine fatale Fehleinschätzung der ernsten Situation. Bei Tagesanbruch erwacht das Städtchen und, wie an jedem anderen Samstag auch, werden die Kinder in die Schule geschickt, die Erwachsenen gehen zur Arbeit. Die Fenster werden weit aufgerissen und die NachbarInnen bewundern vom Balkon aus das Flammenspiel des Atomkraftwerks, welches die buntesten Farben angenommen hat und sich nur drei Kilometer entfernt abspielt. In der Sonne ist es schon richtig warm, man kann den Frühling schon fast riechen. Ist es nicht ein herrlicher Samstag?

In Schweden schrillen Alarmglocken

36 Stunden später in Schweden: In dem Kernkraftwerk Forsmark, über 1200 Kilometer entfernt, wird aufgrund erhöhter Radioaktivität auf dem Gelände automatisch Alarm ausgelöst. Messungen an der Arbeitskleidung der Angestellten ergeben erhöhte radioaktive Werte. Da allerdings die schwedischen Anlagen als Verursacher ausgeschlossen werden können, richtet sich der Verdacht aufgrund der aktuellen Windrichtung gegen die Atomkraftwerke der Sowjetunion. Zur selben Zeit wird auch in Österreich und der Schweiz erhöhte Radioaktivität gemessen. Wind und Regen tragen die Radioaktivität nach Westeuropa, die Öffentlichkeit ist alarmiert. Doch Moskau leugnet den Atomunfall. Von einem Unfall könne keine Rede sein. Ein kleines Missgeschick, aber alles unter Kontrolle. Luft und Wasser rund um Kiew seien sauber, es bestehe keine Gefahr, beteuert der Kreml.

Viel zu spät läuft die Evakuierung von Pripjat an. 85.000 Menschen müssen innerhalb kürzester Zeit evakuiert werden. Busse stehen bereit, Anweisungen werden gegeben. Alle Wohngebiete in einer 30 Kilometer-Zone um Tschernobyl müssen geräumt werden. Über 70 Ortschaften im Gebiet Kiew und im weißrussischen Gebiet Gomel werden aufgegeben. Nur wenige Habseligkeiten dürfen mit. Alles muss schnell gehen.

Donnerstag, 1. Mai 1986 - Feiertag in der Sowjetunion. In Moskau findet eine Militärparade statt. Aus dem ganzen Land kommen Menschen, um sich das Spektakel anzusehen und ausgelassen zu feiern. Der Brand im Atomkraftwerk, die Hubschrauber, die Tonnen verschiedenster Materialien wie zum Beispiel Bor, Dolomitgestein, Bleibarren, Sand und Lehm über Block 4 abwarfen, um den Brand einzudämmen, sind schon fast in Vergessenheit geraten. Niemand spricht mehr darüber. "Der Frühlingswind weht durch das Land", verkündet die Parteizeitung Prawda auf Seite 1.

Auch nach einer Woche brennt noch der Reaktor

Die zuständigen Behörden leugnen den Super-GAU, obwohl Teile des Reaktors seit mittlerweile einer Woche in Flammen stehen und nach wie vor radioaktive Strahlung austritt. Zum Schutz der Bevölkerung wurde bisher nichts unternommen.

Immer neue Einsatzkräfte und Helfer werden zum Atomkraftwerk gebracht. Auch nach einer Woche brennt das Atomkraftwerk immer noch, die Kühlung funktioniert nur langsam und die glühende Reaktormasse droht den Beton durchzuschmelzen. Jeder Arbeiter von den so genannten Liquidatoren hat nur wenige Sekunden Zeit, um einige Schaufeln mit Schutt vom Dach des Atomkraftwerks zu werfen, sonst ist die Strahlenbelastung zu groß. Schnell ein paar Trümmer hier hin, ein bisschen Sand dorthin. Irgendwie muss man diesen Brand stoppen. 400 Bergleute werden eingesetzt, um den Reaktor zu untertunneln. Damit wird ein provisorisches Kühlsystem mit Stickstoff errichtet. Erst am 6. Mai, zehn Tage nach der eigentlichen Katastrophe, geht die Freisetzung von Spaltprodukten zurück.

Am 10. Mai erklärt der Atomwissenschaftler Jewgeni Welichow, dass die Möglichkeit einer Katastrophe besteht, weil sich große Teil des Brennstoffs und des Graphits im Reaktor in einem glühenden Zustand befinden. Laut Welichow sei es jetzt aber vorbei. Endlich, zwei Wochen nach der Reaktorkatastrophe, nimmt der Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, das erste Mal öffentlich Stellung zu dem Unfall und betont in einem Fernsehinterview, dass es sich um außergewöhnliche Ereignisse handelt. Die Opfer der Katastrophe werden mit keinem Wort erwähnt, statt dessen werden die Helfer als Helden gefeiert und Angehörige der Werksleitung verhaftet.

Eine ganze Region unbewohnbar - bis heute

Mitte Juli wird in Moskau Bilanz gezogen: Es war ein Unglück, Schuld daran war grobe Fahrlässigkeit des Personals. Konstruktive Sicherheitsmängel, schlechte und fehlerhaft verarbeitet Baumaterialien werden nicht erwähnt. Bis heute verharmlost die Regierung in Moskau den GAU und behauptet, der Unglücksfall wäre im Großen und Ganzen überschaubar gewesen.

Viele Menschen, die als Feuerwehrleute die Brände im Atomkraftwerk löschen müssen oder als Liquidatoren den Betonsarkophag um die explodierte Reaktorhalle bauen, sterben sofort oder kurze Zeit nach dem Unfall. Viele andere von den geschätzten 600.000 Menschen, die an den Aufräumarbeiten beteiligt sind, erkranken wenig später an Krebs.

Bis heute ist die Stadt Pripjat unbewohnbar und wird auch als Geisterstadt bezeichnet. Rund um den Reaktor befindet sich eine 30 Kilometer große Sperrzone, die bis heute streng bewacht wird. Insgesamt war ein Gebiet von mehr als 200.000 Quadratkilometer (in der heutigen Ukraine, Weißrussland sowie Russland) stark betroffen. Mehr als 100.000 Menschen wurden umgesiedelt.

Quelle:  GLOBAL 2000 - 26.04.2016.

Veröffentlicht am

26. April 2016

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