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Wie die Menschheit eins ist
Die katholische Lehre "Humani generis unitas" für das dritte Jahrtausend
"Wir unterscheiden Stämme und Nationen;
aber für Gott ist diese ganze Welt ein Haus."
Minucius Felix, zu Beginn des dritten Jahrhunderts
Die Weltgesellschaft braucht für die notwendige Neuausrichtung der Zivilisation ein zentrales, kraftvolles Bild der Ermutigung: "One human family". Dieses Imago der einen Menschheit ist in vielen Überlieferungen und Bewegungen auf dem ganzen Globus verankert. Der nachfolgende Beitrag hierzu - aus katholischer Sicht - kann am Ende des Artikels auch in fünf Übersetzungen abgerufen werden. Er vermittelt das Kernanliegen einer ausführlichen Gruppenarbeit, die zuerst September 2015 in einem Sammelband "Es droht eine schwarze Wolke" der deutschen Sektion der Internationalen katholische Friedensbewegung pax christi erschienen ist und jetzt auch als Taschenbuch vorliegt (Impulsgruppe "One human family": WIE DIE MENSCHHEIT EINS IST. Die katholische Lehre "Humani generis unitas" für das dritte Jahrtausend. Düsseldorf: onomato verlag 2016; ISBN: 9783944891262).
Von Impulsgruppe "One human family"
- Mit seinem Rundschreiben "Laudato si’" (LS) möchte sich Franziskus, Bischof von Rom, "an jeden Menschen wenden, der auf diesem Planeten wohnt". Die "Einheit des Menschengeschlechtes" ist in dieser Enzyklika kein Gegenstand dogmatischer Lehrverkündigung, sondern eine Frage des Ernstfalls für den ganzen bewohnten Erdkreis: Es gilt, "die gesamte Menschheitsfamilie in der Suche nach einer nachhaltigen und ganzheitlichen Entwicklung zu vereinen" (LS 13). "Wir müssen uns stärker bewusst machen, dass wir eine einzige Menschheitsfamilie sind. Es gibt keine politischen oder sozialen Grenzen und Barrieren, die uns erlauben, uns zu isolieren, und aus ebendiesem Grund auch keinen Raum für die Globalisierung der Gleichgültigkeit." (LS 52) Das aggressive Zivilisationsprogramm "Geldvermehrung - Macht - Krieg" verbaut den nach uns kommenden Generationen die Zukunft. Es verbreitet Traurigkeit und Fatalismus. Die Gegenbewegung tritt ein für den Weg der gleichberechtigten Zusammenarbeit aller Kontinente, Regionen, Kulturen, Weltanschauungsgemeinschaften und Religionen. Sie braucht ein starkes Symbol, das gute Kräfte freisetzt. Hier kommt die katholische Lehrtradition "Humani generis unitas" (Die Einheit des Menschengeschlechtes) ins Spiel.
- Da es sich hierbei nicht etwa um eine römisch-katholische "Sonderlehre" handelt, ist im interreligiösen und säkularen Dialog eine breite Verständigung möglich. Im 2014 vorgelegten "Manifest für eine neue Kunst des Zusammenlebens" (Manifeste Convivialiste) haben sich z.B. Menschen aus verschiedenen Denkrichtungen im Ringen um die drängenden Zukunfts- und Überlebensfragen auf folgenden Grundkonsens verständigt: "Die einzige legitime Politik ist diejenige, die sich auf das Prinzip einer gemeinsamen Menschheit, einer gemeinsamen Sozialität, der Individuation und der Konfliktbeherrschung beruft. […] Unabhängig von den Unterschieden der Hautfarbe, der Nationalität, der Sprache, der Kultur, der Religion oder des Reichtums, des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung gibt es nur eine Menschheit, die in der Person jedes ihrer Mitglieder geachtet werden muss." (
http://www.lesconvivialistes.org/abrege-du-manifeste-convivialiste
)
- Das "Prinzip der gemeinsamen Menschheit" wird radikal in Frage gestellt durch die imperialen, auf Herrschaft basierenden Modelle von Globalisierung. Mit unübertroffener Klarheit haben schon die Propheten Israels das Wesen der Großreiche entlarvt. Das den Imperien zugeordnete Symbol des "Turmbaus zu Babel" (1. Buch Mose 11,1-9) steht für einen gewalttätigen Zivilisationstypus, der auf Konkurrenz, Beherrschung und Verschuldungskreisläufen aufbaut, nicht auf Kooperation. (Am Ende wachsen Mauern in den Himmel, mit denen sich die Reichen auf dem Globus vor den Armen "schützen".) Das christliche Kontrastsymbol "Pfingsten" (Apostelgeschichte 2,1-13) verheißt gegenüber der mit dem Turmbauprojekt einhergehenden Verwirrung keine neuerliche Einheitssprache für alle Menschen. Es erzählt vielmehr ausdrücklich von einem Verständigungsraum, in dem jeder das - was allen zu einem befreiten Leben gereicht - in seiner Sprache und Kultur zu verstehen und mitzuteilen vermag. Das vertikale Modell der politischen, ökonomischen und kulturellen Vorherrschaft ist im pfingstlichen Geistwehen vom Thron gestürzt. Deshalb kann das horizontale Wachstum einer Gemeinschaft der Menschenfamilie beginnen: Keine Einheit der Macht, sondern eine Gemeinschaft des Dialoges und der Kooperation; kein über die Bedürfnisse der Menschen hinweg zusammengeschweißter Wirtschaftsraum, sondern Lebensräume für Austausch, Begegnung und Solidarität; kein militärisches Diktat der Friedhofsruhe, sondern ein Friedensgeschehen unter Verschiedenen.
- Wenn Jesus den Armen die Gute Nachricht verkündet, sich gegen Ordnungen der Herrschaft von Menschen über Menschen stellt (Markus 10,42-43) oder die Möglichkeit eines gewaltfreien Verhaltens ins Spiel bringt (Matthäus 5,39), sind stets die Verhältnisse unter römischer Besatzung mit zu bedenken. Später werden Schriftsteller der Alten Kirche radikal die imperiale Kriegsapparatur entlarven: "Was sind die ‚Vorteile des Vaterlandes’ anderes als die Nachteile eines zweiten Staates oder Volkes?" (Lactantius) Bezogen auf den Komplex "Mammon - Macht - Militär" gehören die frühen Christen zu jenen, die mit dem System des Imperiums nicht kollaborieren. Ihre Verweigerung wurzelt in einer neuartigen Immunität gegenüber den Versprechen von Besitz, Machtkult und Gewalt im Reich der Traurigkeit. Deshalb steht der Nicht-Kollaboration eine alternative Praxis "Teilen - Geschwisterlichkeit - Gewaltfreiheit" zur Seite. Unter dieser Voraussetzung gelingt es der frühen Kirche, nationale und auch religiöse Schranken zu überwinden. Dass da Schwestern und Brüder aus allen Nationen zueinander finden, jenseits aller Grenzen, und dass sie sich gar in dieser Internationalität als "Seele der Welt" verstehen, gerade das ist in den Augen des Imperiums äußerst verdächtig an diesen Anhängern eines neuen Weges. Mit unerhörtem Selbstbewusstsein verstehen sich die frühen Christen als Vorhut einer neuen Menschheit und Wegbereiter einer anderen Globalisierung unter dem Vorzeichen universeller Verbundenheit. Denn: Es ist zu spät in der Welt für Imperien.
- Zwei Beispiele mögen illustrieren, wie im Verlauf der Kirchengeschichte unterschiedliche Zugänge und Inspirationen die Bezeugung der einen Menschheit bestärken konnten: Der mittelalterliche Theologe Meister Eckhart († 1328) geht aus vom "Licht, das jeden Menschen erleuchtet" (Johannes-Evangelium 1,9). In seiner Betrachtungsweise wird vorausgesetzt, dass keine menschliche Seele ohne Gott sei. Selbstliebe, Liebe zum unmittelbaren Nächsten und Verbundenheit mit der Menschheit können deshalb nie als Gegensätze aufgefasst werden: "Hast du dich selbst lieb, so hast du alle Menschen lieb wie dich selbst." Der Mensch, dem das Leben ("das Licht der Menschen") aufleuchtet, findet zu einer umfassenden Verbundenheit, "so dass er dem Menschen, der jenseits des Meeres ist, den er mit Augen nie gesehen hat, ebenso Gutes gönnt wie dem Menschen, der bei ihm ist und sein vertrauter Freund ist." - Vor allem über die Begegnung mit den geschunden Menschengeschwistern auf einem anderen Kontinent erschließt sich zwei Jahrhunderte später die Einheit des menschlichen Geschlechts für den Dominikaner und Bischof Bartolomé de Las Casas (1485-1566). Ein Wort der Bibel wird diesem Pionier einer universellen Menschenrechtslehre zum Gerichtsspruch über die europäischen Konquistadoren: "Den Nächsten mordet, wer ihm den Unterhalt nimmt, Blut vergießt, wer dem Arbeiter den Lohn vorenthält." (Jesus Sirach 34,26-27)
- Zu wenig bekannt ist, dass es bereits zur Zeit des Ersten Vatikanischen Konzils (1869-1870) in Teilen der Weltkirche ein geschärftes Bewusstsein gab für die Notwendigkeit eines klaren Standortes gegenüber unheilvollen, gewalttätigen Entwicklungen in Gesellschaft und Zivilisationsgefüge des 19. Jahrhunderts. Gefordert wurde ein Zeugnis wider Rassismus, Nationalismus, Militarismus und Imperialismus. Bischof Augustin Vérot von Savannah aus den Südstaaten der USA hielt z.B. aufgrund seiner pastoralen Erfahrung eine Verurteilung des Rassismus für vordringlicher als die Auseinandersetzung mit den Spekulationen deutscher Philosophen über den Ursprung der Menschheit. Eine Reihe von Konzilsvätern wünschte angesichts der Hochrüstung und des Verfalls der internationalen Moral Klärungen zu den Prinzipien des Völkerrechts. (Sogar die Errichtung eines Völkerrechts-Tribunals beim "Sitz Petri" wurde ins Spiel gebracht.) Leider hat erst Benedikt XV. dieses Anliegen mit Nachdruck aufgegriffen, als der erste Weltkrieg 1914-1918 Europa in ein großes Schlachthaus verwandelte. Die dann vornehmlich von Laien getragene, grenzüberschreitende katholische Friedensbewegung verdankte diesem Papst bedeutsame Impulse.
- Schon mehrere Jahre vor dem zweiten Weltkrieg (1939-1945) lagen in der Glaubenskongregation Gutachten vor zur Kriegsideologie im Rassenstaat der deutschen Faschisten. Der nationalsozialistische Angriff auf die Prinzipien des christlichen Universalismus wurde hierbei auch bezogen auf Wirtschaftspraxis, Expansionismus und Militarismus entlarvt. Dies erfolgte leider nur in internen Dokumenten. Pius XI. beschwor jedoch ein Jahr vor seinem Tod das Prinzip der einen Menschheit: "Katholisch heißt allumfassend, und nicht rassistisch, nationalistisch, separatistisch." (21.7.1938) "Man vergisst, dass das Menschengeschlecht, das gesamte Menschengeschlecht, eine einzige große allumfassende Rasse ist." (28.7.1938) Pius XI. beauftragte den US-amerikanischen Jesuiten und Antirassismus-Aktivisten John La Farge (1880-1963) sogar, eine Enzyklika "Humani generis unitas" (Die Einheit des menschlichen Geschlechts) zu entwerfen. Ein entsprechendes "Projekt" der Weltkirche hätte viel mehr Menschen ermutigen können, sich jener Mordmaschine zu widersetzen, die ohne große Widerstände zur Vernichtung der europäischen Juden und zu über 50 Millionen Kriegstoten geführt hat.
- Die katholische Lehre "Humani generis unitas" über die eine menschliche Familie auf der Erde ist von Johannes XXIII. und allen seinen Nachfolgern bezeugt worden und gehört zu den zentralen Botschaften des Zweiten Vatikanischen Konzils (Dienst an der Einheit, partnerschaftlicher Dialog mit der gesamten Weltgesellschaft, geschwisterliche Verbundenheit mit den anderen Religionen). Sie zielt mitnichten bloß auf die Proklamation eines abgehobenen Ideals, das die Widersprüche und Abgründe in der Weltgesellschaft einfach für gegenstandslos erklärt. Vielmehr geht es gerade darum, das Unrecht der Beherrschung "schwächerer" Nationen, die skandalöse Ungleichverteilung der Güter auf der Erde und die Gleichgültigkeit gegenüber dem Geschick der Armen sichtbar zu machen. - Im Licht des Glaubenssatzes von der einen Menschheit sind die Gründung der UNO und die Erklärung der universellen Menschenrechte theologisch als "Zeichen der Zeit zu würdigen (Pacem in terris). Deshalb muss es uns heute zum Problem werden, dass die geistige und kulturelle Verankerung eines Bewusstseins von den Vereinten Nationen in den Gesellschaften der Erde und auch in den Kirchen kaum entwickelt ist. Am Fest der Gesetzesfreude tanzen und singen die frommen Juden. Sie danken Gott fröhlich für die Weisung zum guten Leben; sie wissen: Gerechtigkeit lernt der Mensch in einem gerechten Gemeinwesen. Müsste nicht analog auch eine alle berührende "Schönheit des Völkerrechts" bedacht werden, da die Zivilisation nach dem Abgrund von zwei Weltkriegen durch die Vision der Vereinten Nationen doch erst wieder eine Perspektive jenseits von Massengräbern gewinnen konnte?
- Erst im Wissen um die Kraft der Gewaltfreiheit finden wir Mut, den gewalttätigen Strukturen unserer Welt die Alternative einer Zivilisation der Geliebten gegenüberzustellen. Die Probleme auf unserem Planeten, die die Lebensgrundlagen der nach uns kommenden Mitglieder der einen Menschenfamilie betreffen, können nur von allen gemeinsam gelöst werden. Die Folgen einer aggressiven Wirtschaftsideologie und einer irrationalen Kriegsreligion fallen stets auf alle zurück. Die Vision einer nicht imperialen, alternativen Globalisierung unter den Vorzeichen "Gerechtigkeit und Frieden" ist in den Anfängen der Christenheit verwurzelt und verbindet uns mit allen hoffnungsvollen Bewegungen und Aufbrüchen. Die katholische Lehre "Humani generis unitas" ist auch ein Damm gegenüber dem erneut aufflammenden Rassismus und Zeugnis für das unantastbare Menschenrecht aller Flüchtlinge. Vor allem birgt sie jenes kraftvolle Symbol, das der Weltgesellschaft heute als Richtungsweiser eines neuen Weges dienen kann: "One human family". Die Weltkirche könnte sich, den ganzen Erdkreis und die zukünftigen Generationen mit einer festlichen Bezeugung des Dogmas von der Einheit des Menschengeschlechts beschenken. Da dieses Zeugnis alle Menschen betrifft, werden die Verständigen nicht nur die ganze Christenheit sowie die jüdischen und muslimischen Geschwister, sondern alle Religionen und Bewegungen der Ökumene und schließlich eben alle Menschen um Rat, Zuspruch, Mitfreude und Mittun ersuchen. Eine neue Jugend dieser Erde, die sich über die willkürliche und allgegenwärtige Missachtung der gemeinsamen Menschheit empört, ist offen für ein Wort, das unfehlbar dem Leben dient. Vorzustellen ist die Wegweisung auf Zukunft hin in erster Linie wie der Auftakt zu einem festlichen Geschehen des ganzen Erdkreises, das ohne Nötigung anzieht und ausstrahlt …
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