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Wider die kalte Vernunft

Konstantin Wecker stellt Arno Gruens posthum erschienenes Buch "Wider die kalte Vernunft" vor.

Von Konstantin Wecker

Liebe Freunde,

ich habe hier schon oft bewundernd über meinen leider verstorbenen Freund Arno Gruen geschrieben. Seine Weisheit hat mich bereichert und die Gespräche, die ich in den letzten Jahren mit ihm führen durfte, bleiben mir unvergessen. Was für einen Witz, welchen Elan hatte dieser über 90jährige große Denker!

Nun wird uns noch ein letztes Büchlein von ihm geschenkt, das er kurz vor seinem Tod noch fertig gestellt hatte:

Wider die kalte Vernunft.

Es ist ein Blick auf die Menschheitsgeschichte, aber völlig anders als der übliche Versuch, die Entwicklung der Menschheit ausschließlich aus unserem Verständnis der heutigen Realität heraus zu begreifen.

Gruen schreibt darüber, dass unsere Vorstellungen über das, was in den Köpfen unserer Vorfahren vorging, auf Mutmaßungen von Archäologen und Paläontologen beruhen und dass diese Hypothesen nicht mit der Realität der frühen Menschen übereinstimmen müssen.
Viele sehen die menschliche Evolution als eine Abfolge von Menschenarten, wobei die eine die andere auslöschte. Das zentrale Verhaltensmuster wäre demnach der Wettkampf um Ressourcen.

Womöglich aber war das menschliche Verhalten über Tausende von Jahren hinweg recht ausgeglichen, was hieße, dass Kampf und Rivalität oder Wettbewerb als Kennzeichen zwischenmenschlicher Umgangsformen eine relativ neuartige Entwicklung darstellen, die vor zehntausend Jahren begann.

"Wir werden nicht nur durch soziologische und ökonomische Umweltfaktoren geprägt, der Mensch entwickelt sich, wie Erich Fromm es in einem Streitgespräch mit Hebert Marcuse formulierte. Und das bedeutet, dass wir durch die früheste Mutter-Kind-Beziehung unser inneres Wesen entwickeln."

Das ist das Hauptthema dieses großartigen Buches.

Die Geschichte der Menschheit ist nur zu verstehen, wenn wir die Entwicklung der Mutter-Kind-Bindung berücksichtigen. Empathie und Kooperation bilden den Kern dieser Entwicklungsgeschichte. "Die Kenntnis ist wichtig, dass das eigene, verdrängte Empathische wieder bewusst gemacht, und da, wo Kinder involviert sind, die Beziehung zu ihnen wieder vertieft werden kann. Leider wurden diese Grundsätze des menschlichen Verhaltens sowie ihre Entstehung, Entdeckung und Bestimmung bis heute versäumt."

Um zu verstehen, was der Mensch im Laufe seiner Geschichte erreicht oder versäumt hat, müssen Empathie und Kooperation als bedeutsame Faktoren berücksichtigt werden. "So muss die Entwicklung des Gehorsams als Merkmal der sozialen Entwicklung erkannt werden, weil der Gehorsam sich wohl erst zu einem späten Zeitpunkt der menschlichen Evolution herausgebildet haben muss, als Herrschaft, Aggression und Besitz das gesellschaftliche Leben änderten."

Bei den amerikanischen Yahi-Indianern waren Kinder angenommen und willkommen. "Ihr Selbstbewusstsein basierte nicht auf dem Bedürfnis, Stärke und Furchtlosigkeit zu beweisen. Im Gegenteil: sie hatten eine Würde, die nicht abhängig war von Identifikationen mit einer Autorität."

Unterwerfung hätte für sie zu einem Verlust der eigenen Identität geführt.

Ich habe in meinem Lied an die Kinder geschrieben:

"Ich wollte euch nie erziehen.
Erziehen zu was? Zum Ehrgeiz, zur Gier,
zum Chef im richtigen Lager?
Ihr wisst es, ich habe ein großes Herz
für Träumer und Versager…"

"Unser Leben steht unter der Doktrin des Gehorsams. …. Gehorsam führt zu einem Selbstbild im Sinne der dominanten linken Gehirnhälfte, die Erfahrungen nicht integriert, sondern abspaltet", schreibt Arno Gruen.

Wir leben heute in einer Welt, in der finanzielle Instrumente und Gesetze eine Markt-Ideologie möglich machen, welche Regierungsentscheidungen und das Schicksal ganzer Bevölkerungen bestimmen.

"In dem Moment, wenn sich eine Wirtschaft auf finanzielle Operationen reduziert, die keine Beziehung zu wirklichen Produktionsvorgängen haben, fängt sie an, sich auf Abstraktionen zu stützen und jeglichen Bezug zur Wirklichkeit zu verlieren."

Warum eigentlich gibt es so wenig Widerstand gegen die ökonomische Ungleichheit und die Dominanz von Konzernen und Banken?

Gruen gibt uns die Antwort:

"… dass diese Irrealität ganz allgemein als Realität akzeptiert wird. Dieser Wahnsinn kommt zustande, weil der ‘freie Markt’ durch einen tiefen Glauben an Profit gekettet ist. Beide, der freie Markt und der Glaube an Profit sind Abstraktionen, die nicht mit der Wirklichkeit unserer empathischen Wahrnehmungen unserer Gesamtlage im Einklang sind. Sie beruhen auf einer Reduktion der Wahrnehmung, die das Wohl der Menschen außer Acht lässt. … Es ist diese Reduktion, die den ganzen Bereich des Leidens und Schmerzens negiert."

So viel zum Thema Flüchtlingspolitik.

Besorgt euch dieses wichtige Buch. Es wird euch bereichern.

Quelle: Hinter den Schlagzeilen - 18.02.2016.

Veröffentlicht am

18. Februar 2016

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