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Terror-Abwehr: Merkels Rettungspaket

Die Kanzlerin hat auf ihrer Pressekonferenz eine Neun-Punkte-Agenda der inneren Sicherheit präsentiert, um dem gefühlten Verlust von Normalität zu begegnen

Von Lutz Herden

Jahrelang hat Angela Merkel den Eindruck erweckt, sie würde den Bürgern hierzulande die Krisen dieser Erde vom Hals halten, als seien Deutschland und die Welt zweierlei. Ihre Regierungen schienen stets auf den richtigen Abstand bedacht zum Ungemach ringsherum. Als öffneten sie eine Art Schutzschirm - als habe Deutschland bei einem grundsätzlichen Anspruch auf Glückseligkeit auch ein Anrecht darauf, nicht übermäßig von Leiden und Lastern draußen vor der Tür behelligt zu werden. Nur ein paar Beispiele:

So sehr die Eurokrise auch am Bestand der Währungsunion zerrte, dem deutschen Arbeitsmarkt konnte sie nichts anhaben. Dabei wurde gern ausgeblendet, dass die Bundesregierung von ihrem hegemonialen Status in der Eurozone entschieden Gebrauch machte, auf dass es den anderen schlechter und den Deutschen weiter besser ging.

Man mied zwar die "Koalition der Willigen", die 2011 den libyschen Machthaber Gaddafi zu Fall brachte, war aber um politischen und medialen Beistand für diese Intervention nicht verlegen. Gleiches gilt seit 2014 für die Anti-IS-Allianz, der durch den Tornado-Einsatz (bald wird die AWACS-Luftüberwachung hinzu kommen) deutsche Mitwirkung zuteil wird, auch wenn über Syrien und Irak deutsche Jets vorerst keine Bomben ausklinken.

Alles muss bezahlt werden

Auf der richtigen Seite stehen, aber Vorsicht walten lassen, so Merkels Credo. Zuweilen erschien dieses Navigieren auf Sicht als taktisch geschickte Zurückhaltung. Etwa im Spätsommer 2013, als nach einem Giftgasangriff bei Damaskus, dessen Urheber nicht klar zu ermitteln waren, die USA zum Militärschlag gegen Syriens Armee ausholten. Seinerzeit gab die Kanzlerin Barack Obama zu verstehen, Deutschland werde nicht mit von der Partie sein. Die klare Ansage jedoch - Interventionen sind von Übel, das hätten der Irak und Libyen doch lektionsreif gezeigt - unterblieb. Sich derart exponieren, hieß Haltung beziehen. Versprach die unbequem und wenig bündnistauglich zu sein, war das Merkels Sache nicht.

Spätestens seit dem Sommer 2015, seit Hunderttausende, die Not und Tod entrinnen wollen, in Deutschland Schutz und Aufnahme suchen, ist es mit der Unberührbarkeit der scheinbar Unbefleckten vorbei. Seither erfährt eine hedonistische Bürgergesellschaft, dass eine andere Welt hinein wehen kann ins Wohlfühlbiotop als die der Reiseveranstalter.

Merkel hätte über sich hinauswachsen und wie Thomas Mann im Angesicht seiner im Zweiten Weltkrieg schwer getroffenen Heimatstadt Lübeck sagen können, sie habe nichts einzuwenden gegen die Lehre, "dass alles bezahlt werden muss". Tat sie aber nicht, sondern ließ durchblicken, Angst vor solcher Wahrheit und der Auskunft zu haben: Man müsse aus Mitverantwortung für das Schicksal der hier Gestrandeten handeln und helfen. Deutschland sei angekommen in der Welt, in die es gehört, und an der es seinen Anteil hat.

Ein Jahr später dürfte es zu spät sein, die Front der Verängstigten, Verhärteten und Verbitterten, die jede Flüchtlingsaufnahme und -hilfe verdammen, noch aufbrechen zu können. Seit den Gewalttaten von Ochsenfurt, Reutlingen, München und Ansbach wird - medial orchestriert - allenthalben suggeriert, nun hätten Terrorgefahr und Risikogesellschaft das Land fest im Griff. Um nicht zu sagen: im Würgegriff, da sich mit den Flüchtlingen ein gefährliches Einfallstor für islamistische Gewalt geöffnet habe.

Wie viel Rückhalt findet die Forderung von AfD-Vize Gauland, das Asylrecht für Muslime auszusetzen?

Kategorischer Konjunktiv

In dieser Situation unterbricht die Bundeskanzlerin ihren Urlaub für die vorgezogene Sommer-Pressekonferenz in Berlin. Sie muss einer Stimmung der verlorenen Gewissheiten entgegenwirken, die zum Raubbau an ihrer Glaubwürdigkeit führen kann. Wie viel lässt sich davon bewahren gut ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl bei aktuellen Umfragewerten für die CDU um die 33 bis 34 Prozent? Diese Zahlen bezeugen kaum mehr einen Zuspruch jenseits der 40 Prozent, der noch im September 2013 der Union und Merkel fast die absolute Mehrheit bescherte.

Vor elf Monaten, am 31. August 2015, hat Merkel an gleicher Stelle, ebenfalls vor der Bundespressekonferenz, erklärt, man werde es schaffen, die ankommenden Flüchtlinge aufzunehmen und zu integrieren. Sie will das auch jetzt nicht anders sagen oder gar als Fehleinschätzung zurücknehmen.

Nun allerdings sind die Akzente anders gesetzt. Merkel präsentiert eine Neun-Punkte Agenda, die lediglich eine Priorität kennt: innere Sicherheit und Terror-Abwehr. So wie das bereits im neuen Weißbuch der Bundesregierung angedeutet ist, soll es bei "terroristischen Großlagen" Bundeswehreinsätze im Inneren geben und diese vorher mit der Polizei der Länder geübt werden. Weitere Maßnahmen dieses Katalogs sind eine zentrale Entschlüsselungsstelle für Internet-Kommunikation, deutlich gesenkte Hürden für die Abschiebung von Asylbewerbern, ein möglichst lückenloses Ein- und Ausreiseregister (bei offenen Grenzen?), ein Frühwarnsystem für die Radikalisierung von Flüchtlingen (soll es die totale Überwachung geben?).

Eine "nationale Aufgabe" sei das alles. "Wir können es schaffen, diese große Bewährungsprobe zu bestehen." Diesmal also nicht der kategorische Indikativ, sondern mehr Vertrauen zum Konjunktiv angesichts der Unwägbarkeiten, denen man sich ausgesetzt sehen muss. Eine Einstimmung auf die Ankunft in einer Normalität, die bisher keine Realität war, ist das nur bedingt. Eher Beschwichtigung und Wille zur Deeskalation, auch weil sich die Kanzlerin die Kriegsrhetorik des französischen Präsident nicht zu eigen machen will.

"Wir befinden uns in keinem Krieg gegen den Islam", sagt sie mit Nachdruck? Wirklich? Es könnte sein, dass Afghanen, Syrer oder Iraker, die nicht unbedingt Dschihadisten sein müssen, das ganz anders sehen.

Quelle: der FREITAG vom 28.07.2016. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

29. Juli 2016

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