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Bundeswehreinsätze im Inneren gefährden die Demokratie

Von Martin Singe

Nach den Gewalttaten von München, Ansbach und Würzburg hat Ministerin von der Leyen angekündigt, gemeinsame Antiterror-Übungen von Bundeswehr und Polizei noch in diesem Herbst abhalten zu wollen. Seit langem findet ein politischer Streit um den Einsatz der Bundeswehr im Inneren statt. Über den Amtshilfe-Artikel 35 GG wurden bereits in der Vergangenheit die Einsätze der Bundeswehr im Inneren stets weiter ausgebaut, bis hin zu Einsätzen gegen Demonstrierende, etwa beim G-8-Gipfel in Heiligendamm.

Bislang verbietet das Grundgesetz Bundeswehreinsätze im Inneren bis auf wenige Ausnahmeregelungen strikt. Amtshilfe-Einsätze dürften höchstens mit polizeilichen Mitteln durchgeführt werden. Vor einer Grundgesetzänderung ist man bislang zurückgeschreckt, da die dafür notwendigen Mehrheiten wohl nicht zustande kommen würden. Stattdessen beruft man sich jetzt auf einen rechtlich höchst umstrittenen Plenar-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Juli 2012 (2 PbvU 1/11).

Vor der Veröffentlichung des neuen Weißbuches im Juli 2016 wurde noch kontrovers um eine mögliche Grundgesetzänderung in dieser Frage gestritten. Dann einigte sich die Koalition darauf, dass der Verfassungsgerichtsbeschluss von 2012 eine hinreichende Grundlage sei, um die Bundeswehr bei "terroristischen Großlagen" einsetzen zu können. Das Weißbuch beruft sich ausdrücklich auf diesen Beschluss, weswegen ihm nun erhöhte Bedeutung zukommt. "Der Einsatz der Streitkräfte hat damit auch im Zusammenhang mit heutigen Bedrohungslagen zur wirksamen Bekämpfung und Beseitigung katastrophischer Schadensereignisse in den engen Grenzen einer ungewöhnlichen Ausnahmesituation nach der geltenden Verfassungslage seine Bedeutung." (Weißbuch, S. 110) Zugleich wird im Weißbuch auf die Notwendigkeit gemeinsamer Übungen von Bundeswehr und Polizei verwiesen.

Angesichts der konkreten Ankündigung solcher Übungen und der Aufwertung des Verfassungsgerichtsbeschlusses durch das Weißbuch fordert das Grundrechtekomitee, der schleichenden Aushöhlung des Grundgesetzes ein Ende zu setzen. Die in der deutschen Vergangenheit begründete strikte Trennung von Militär und Polizei muss aufrechterhalten bleiben. Die Argumentation, in Zeiten des Terrors sei innere und äußere Sicherheit nicht mehr zu trennen, stellt eine Scheinlegitimation für Inlandseinsätze der Bundeswehr dar. Dem gilt es entschieden zu widersprechen. Denn Bundeswehreinsätze mit militärischen Waffen sind nicht nur verfassungswidrig, sondern gefährden die Grundlagen der Demokratie.

Erinnert sei in diesem Zusammenhang daran, dass der genannte Verfassungsgerichtsbeschluss seinerzeit höchst umstritten war. Die öffentliche Kritik (z.B.: "Karlsruhe fällt Katastrophen-Entscheidung", Süddt. Ztg. 17.8.2012) entzündete sich zu Recht an dem Vorwurf, die Verfassungsrichter hätten die Verfassung nicht interpretiert, sondern verändert. Dazu sei aber nur der Gesetzgeber befugt. Nur Richter Gaier hatte ein abweichendes Sondervotum abgegeben, in dem es u.a. heißt: "Das Grundgesetz in seiner gegenwärtigen Fassung schließt den Kampfeinsatz der Streitkräfte im Inneren mit militärischen Waffen  (…) aus. (…) Insoweit hat der Plenarbeschluss im Ergebnis die Wirkungen einer Verfassungsänderung".

Die Eingrenzungen im Plenarbeschluss auf "Ultima-Ratio"-Situationen, Schadensfälle "katastrophischen Ausmaßes" u.a.m. dienen eher der Beschwichtigung der Öffentlichkeit, als dass sie eine echte Eingrenzung bewirkten. Letztlich ist auch ein Einsatz der Bundeswehr gegen Demonstrierende denkbar, wenn nur ein Schadensfall katastrophischen Ausmaßes als Folge prognostiziert wird. In Zeiten, in denen der Terrorismusverdacht u.a. durch die §§ 129a/b auf breite Gruppen ausgeweitet wird (z.B. PKK-Anhänger), können solche Prognosen nicht ausgeschlossen werden.

Die Unbestimmtheit der Definitionen im Plenarbeschluss öffnen vielmehr einer Entgrenzung für Bundeswehreinsätze Tür und Tor. Auch hierzu noch einmal Richter Gaier: "Es handelt sich um gänzlich unbestimmte, gerichtlich kaum effektiv kontrollierbare Kategorien, die in der täglichen Anwendungspraxis - etwa bei regierungskritischen Großdemonstrationen - viel Spielraum für subjektive Einschätzungen, wenn nicht gar voreilige Prognosen lassen. Das ist jedenfalls bei Inlandseinsätzen militärisch bewaffneter Streitkräfte nicht hinnehmbar. Im Schatten eines Arsenals militärischer Waffen kann freie Meinungsäußerung schwerlich gedeihen."

Martin Singe ist Referent beim Komitee für Grundrechte und Demokratie

Quelle: Komitee für Grundrechte und Demokratie - Pressemitteilung vom 17.08.2016.

Veröffentlicht am

21. August 2016

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