Algerien: Eine eigene DynamikDie Meinungsfreiheit ist nach wie vor heftig umkämpft. Aber die autoritäre Regierung muss der Zivilgesellschaft immer mehr Zugeständnisse machenVon Sabine Kebir Wenn die Organisation "Reporter ohne Grenzen" Algerien weltweit den 129. Platz bei der Bewertung der Pressefreiheit zuweist, führt das leicht zum Pauschalurteil, man habe es hier mit Verhältnissen wie bei einer Militärdiktatur zu tun. Aber Zahlen und Klischees sind oft wenig geeignet, Erfolge im Kampf um die Demokratie deutlich zu machen. Wer weiß schon in Deutschland, dass der algerische Journalist Mohamed Benchicou 2004 ein Buch gegen Präsident Abd al-Aziz Bouteflika im Land selbst publiziert hat, um diesem vorzuwerfen, nach dem Bürgerkrieg der 90er Jahre die Generäle entmachtet und geplant zu haben, einige an den Menschenrechtsgerichtshof in Den Haag auszuliefern? Nach anfänglichen Versuchen, das Buch zu requirieren, gingen die Behörden nicht weiter gegen seine Verbreitung und öffentliche Präsentation vor. Verurteilt wurde Benchicou, ähnlich wie Ai Weiwei in China, wegen angeblicher Steuervergehen. Der Fall zeigt, dass in Algerien zwar vieles im Argen liegt. Nur er zeigt eben auch, dass es dort einen zwar beinharten, aber auch nicht erfolglosen Kampf um größere Meinungsfreiheit gibt. Monopol auf WerbungDie Geschichte dieses Kampfes begann nach einem Jugendaufstand im Herbst 1988. Damals wurde - noch vor dem Zusammenbruch des Ostblocks - das Einparteiensystem abgeschafft sowie die Assoziations- und Pressefreiheit eingeführt. Trotz des bald darauf beginnenden Bürgerkrieges (ab 1992) entstand eine dynamische Zivilgesellschaft: Es gab Vereine, die sich mit Geschlechtergerechtigkeit und Ökologie beschäftigten oder Folter und Gewalt bei beiden Konfliktparteien anprangerten. Nicht hoch genug einzuschätzen war seinerzeit die Wirkung der Medien. Dass eine Implantation ausländischer Medienmonopole gesetzlich ausgeschlossen blieb, sollte zu keinem demokratischen Manko führen. Dadurch wurde - anders als in vielen ehemaligen Ostblockstaaten - ein Einfluss externer Interessen auf eine interne, aber öffentliche Systemkritik stark gemindert. Sie blieb das Werk eines privaten Pressebetriebs. Ein Teil der Zeitungen, die bis heute beispielsweise von den Algeriern in Frankreich geschätzt werden, schrieben nie Verluste. Einige Verlage legten sich inzwischen Fernsehkanäle zu, bei denen das noch nicht reformierte, von den Bürgern kaum beachtete Staatsfernsehen als unliebsame Konkurrenz beäugt wird. Trotz dieser Erfolge reichen die Verkaufserlöse auch der größten Zeitungen Algeriens nicht aus, um investigative Recherchen im wünschenswerten Ausmaß zu finanzieren. Dafür sind Werbeeinnahmen nötig, auf die der algerische Staat Einfluss hat, indem er sich das Monopol auf die Zuteilung von Werbung vorbehält. So wird versucht, störende Kritik zu mäßigen. Zeitungen und Fernsehkanäle wiederum können ihr Publikum nur halten, wenn sie kritisch berichten. Dieser Interessenkonflikt produziert Kraftproben zwischen Medien und Staat. Jüngst ging es um die Zeitung mit den höchsten Auflagen, die arabischsprachige Al Khabar (Die Nachricht). Weil das Blatt seit Jahren nur wenig Werbung drucken darf, ist es trotz seiner Auflagenstärke finanziell nicht krisenfest aufgestellt. Das mit Informationstechnologie handelnde Großunternehmen Ness Prod wollte durch den Kauf von Anteilen den Bestand sichern, doch erhob der Informationsminister erfolgreich Klage gegen die Fusion. Er teilte anschließend mit, dass keinerlei Absicht bestehe, Al Khabar zu schließen (wofür es auch keine gesetzliche Handhabe gäbe). Aber wo Gesetze fehlen, kann bekanntlich der Markt helfen: Nur auf seine Leserschaft gestellt, kann Al Khabar schwerlich sein Niveau halten. Wie sehr in diesem Land der Kampf um die Meinungsfreiheit als Sache von hohem Allgemeininteresse begriffen wird, zeigt sich daran, dass ansonsten konkurrierenden Zeitungen in einer solchen Lage bislang immer zur solidarischen Aktion ausholten. Und es ist nicht damit getan, dass andere Druckerzeugnisse - allen voran die französischsprachigen El Watan und Liberté - ständig über den Konflikt zwischen Al Khabar und dem Staat informierten. Unter dem Motto "Aufschrei freier Menschen für die Verteidigung der Freiheiten in Algerien" veröffentlichen sie laufend eng bedruckte Seiten mit Namen von Bürgern, die gegen die Absicht der Regierung protestieren, eine der wichtigsten kritischen Zeitungen auszuhungern. Berichtet wird auch von Demonstrationen in verschiedenen Städten gegen die juristischen Attacken auf Al Khabar, die als Bedrohung des Rechtsstaats verstanden werden. Angst vor den Panama PapersDass die Regierung entschlossen ist, den kritischen Eifer der Medien zu mäßigen, hatte Premier Abdelmalek Sellal bereits im Frühjahr angekündigt. Künftig würden alle gesetzlichen Mittel ausgeschöpft, um Angriffe auf Politiker und Behörden zu ahnden. Besonders private Fernsehsender müssten im Extremfall mit Schließung rechnen. Hintergrund für diese drohende Haltung der Regierung mögen die Panama Papers gewesen sein. Die Zeitungen hatten vor Monaten Namen von ehemaligen und aktuellen Regierungsmitgliedern oder deren Verwandten veröffentlicht die Briefkastenfirmen im Ausland hielten: Abdeslam Bouchouareb, derzeit Minister für Industrie und Rohstoffe, oder die Frau seine skandalumwitterten Vorgängers Najat Arafat. Genannt wurden die Söhne von Ex-Innenminister Yazid Zerhouni und dem einstigen Präsidenten Chadli Benjedid, schließlich sogar Rym Sellal, die Tochter des Premierministers. Gegen keine dieser Personen wird derzeit ermittelt. Da sich die Enthüllungen aber dennoch als zutreffend erweisen können, eigenen sich diese Fälle nicht als Vorwand, die Pressefreiheit einzuschränken. Da im Unterschied zur Presse für TV-Sendungen noch Genehmigungen des Informationsministeriums erforderlich sind, die einer Vorzensur entsprechen, fand ein weiterer Angriff auf Al Khabar über ein Verfahren gegen den Fernsehkanal der Zeitung statt. Am 22. Juli wurde Mehdi Benaissa verhaftet, verantwortlich für die satirisch-politische Reihe Ki Hna Ki Nas (Wir sind wie alle Leute). Wegen dieser Sendung war bereits 2014 der ganze Fernsehkanal geschlossen worden. Was genau Anstoß erregte, ist bis heute unklar. Der Hauptanklagepunkt bezog sich dann auch nicht auf den Inhalt der Sendung, sondern darauf, dass Benaissa sie in einem privaten Studio aufzeichnen ließ, das die Behörden offiziell für geschlossen erklärt hatten. Besonders beunruhigend war, dass auch die Programmdirektorin Nora Nedjai, die im Informationsministerium die Sendung genehmigt hatte, in Untersuchungshaft genommen wurde. Vermutlich hatte Benaissa - wie es in allen Ländern mit Zensur üblich ist - ein etwas anderes Textbuch eingereicht, als er dann realisierte. Mit der Festnahme der Programmdirektorin wurde ein Warnsignal nicht nur an die Medien, sondern auch an die eigenen Zensurorgane geschickt. Trotz unablässiger Proteste von Presse und Bürgerinitiativen mussten beide den Festmonat Ramadan in ihren Zellen verbringen, ehe sie Ende Juli zu Geld- und Bewährungsstrafen verurteilt wurden. Solche ebenso plumpen wie dreisten Repressionen sind aber keine Indiz für staatliche Stärke, sondern eher ein staatliches Rückzugsgefecht. Es ist wenig wahrscheinlich, dass die Pressefreiheit in Algerien noch einmal wesentlich gestutzt werden kann. Dazu kam es nicht einmal während des blutigen Bürgerkriegs in den 90er Jahren, als das Militär das Sagen hatte. Dessen Führung war sich bewusst, dass es im Kampf gegen den islamistischen Aufstand auf den Beistand einer sich gerade erst formierenden Zivilgesellschaft und unabhängiger Medien angewiesen war. In den Jahren des Bürgerkrieges zwischen 1992 und 2000 starben über 70 Journalisten durch islamistische Attentate. Es ist heute weiterhin damit zu rechnen, dass sich Staat und Medien Kraftproben liefern, die den betroffenen Intellektuellen viel Mut abverlangen. Demokratische Zustände und Menschenrechte sind bekanntlich kein fester Besitz einer Gesellschaft, sondern müssen permanent erkämpft und verteidigt werden. Die Staatsmacht in Algerien kann nicht mehr ignorieren, dass der Rechtsstaat ein Gegenstand öffentlichen Begehrens geworden ist. Das zeigt kurioserweise auch eine von den Ordnungshütern in Draria - einem Vorort von Algier - über die Straßen gehängte Losung. Sie lautet: "Der Rechtsstaat beginnt mit der Arbeit der Polizei." Quelle: der FREITAG vom 05.10.2016. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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