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CETA-Streit: Aufständische Wallonie

Wenn das Abkommen an den Rand des Scheiterns gerät, ist das auch ein Zeichen dafür, dass neoliberale Ideologie kein Amalgam mehr ist, das Europa zusammenhält

Von Michael Krätke

Sigmar Gabriel gab sich siegessicher, nichts könne CETA noch aufhalten. Er hat sich geirrt. Zu Wochenbeginn legte sich das wallonische Regionalparlament quer, so dass die Regierung in Brüssel den Vertrag nicht unterschreiben durfte. Daraufhin mussten die EU-Handelsminister ihre CETA-Entscheidung vertagen und dem anstehenden EU-Gipfel überantworten. Der hat ein bereits erheblich reformiertes Abkommen zu retten, das durch eine Zusatzerklärung ergänzt wird. Darin festgeschrieben sind Garantien für Arbeitnehmerrechte, für Umweltschutzregeln und gegen Privatisierungen, um die Option für rekommunalisierte öffentliche Dienstleistungen zu erhalten. Die wallonischen Dissidenten wollten erreichen, dass der Vertragszusatz so rechtsverbindlich ist wie das Abkommen selbst. Was freilich die EU und Kanada absegnen müssen.

Wieder einmal wirkt die Union nicht eben souverän. Sie ist derzeit zu heterogen, zu sehr von Partikularinteressen durchwirkt, um noch als verlässlicher Partner wahrgenommen zu werden. Sie lässt sich von Lobbyisten wie dem Trans-Atlantic Business Council (TABC) treiben, provoziert so massiven Bürgerprotest, auf den sie dann zu spät reagiert. Dabei wäre gerade die Brexit-Krise Anlass genug, Handlungsvermögen nachzuweisen. Wenn nicht einmal mehr mit einer mittleren Macht wie Kanada ein Vertrag möglich ist, der innerhalb der EU auf Konsens gründet, ist das fatal.

Doch kann man das TTIP-Debakel und das CETA-Spektakel auch anders deuten. EU-interne Blockaden, die kaum zu lösen sind, werden nicht zuletzt durch eine jahrzehntelang verfolgte, 2007 in den Lissabon-Vertrag eingeschriebene Markt- und Wettbewerbsideologie bewirkt. Worauf sonst beruft sich starrköpfige Austeritätspolitik, wie sie der deutschen Regierung in Fleisch und Blut übergegangen ist? Wenn CETA wie TTIP an den Rand des Scheiterns geraten, ist das auch darauf zurückzuführen, dass der Widerstand gegen diese doktrinäre Zumutung ganze Regionen in Europa erfasst. Nicht CETA an sich - die neoliberale Programmatik ist kein Amalgam mehr, das Europa zusammenhält. Wenn immer mehr EU-Bürger schulterzuckendes Einvernehmen mit der Marktideologie abstreifen, sollte sich die Gemeinschaft wieder auf das besinnen, wofür sie einst gegründet wurde.

Quelle: der FREITAG vom 21.10.2016. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

21. Oktober 2016

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