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Zuletzt ein Scherbenhaufen

In seiner Kairo-Rede beschwor Obama einst eine neue Politik - und scheiterte

Von Sabine Kebir

Erstmals verbreiteten Agenturen am Morgen des 6. Oktobers die Nachricht, dass es nun doch zur Öffnung "humanitärer Korridore" kommen solle, durch die Zivilisten und zur Aufgabe bereite Kämpfer dem Inferno von Ostaleppo entkommen könnten. Dem liege eine Einigung der Außenminister Sergej Lawrow und John Kerry zugrunde, hieß es, obgleich die Kontakte offiziell als abgebrochen galten. Später wurde die Nachricht ohne diesen Zusatz kolportiert. Es erhärtet sich der Eindruck, dass sich US-Präsident Barack Obama in den letzten Wochen seiner Amtszeit nicht auf ein Konfliktszenario einlässt, das alle seine Vorgänger vermieden haben - eine direkte Konfrontation mit Russland. Andererseits scheint er jedoch auch keine Kontrolle darüber zu haben, was in Ostaleppo zur Zeit geschieht.

Ein Blick zurück. Es war ein halbes Jahr nach seinem Amtsantritt, als Obama am 4. Juni 2009 in Kairo eine weltweit Aufsehen erregende Rede hielt, mit der er eine neue Politik gegenüber den islamischen Ländern andeutete. Unter Vorgänger George W. Bush hatten die USA, unterstützt von willigen Verbündeten, einen Krieg in Afghanistan begonnen, angeblich um eine durch die 9/11-Attentate deutlich gewordene Terrorgefahr zu beseitigen. Des Weiteren hatte Bush einen Krieg gegen den Irak geführt, um Gefahren abzuwenden, die dort von angeblichen Massenvernichtungswaffen ausgingen. Im Ergebnis wuchs die Terrorgefahr weltweit, Afghanistan und der Irak wurden zu mehr oder weniger gescheiterten Staaten (failed state).

Opfer von Einflüsterungen

Beide Kriege wurden auf ideologischer Ebene mit der auf Samuel Huntington zurückgehenden Parole eines unabwendbaren "Kampfs der Kulturen" geführt, in dem sich westliche Lebensart gegen den Islam verteidigen müsse. Es erschien daher als Fortschritt, dass Obama 2009 in Kairo den "Kampf der Kulturen" begrub und mit Zitaten aus Thora, Bibel und Koran hervorhob, keine Kultur oder Religion sei einer anderen überlegen. Fortan wollten die USA den Friedenswunsch von Juden, Christen und Muslimen nach Kräften unterstützen. Die "Road Map", die von der Bush-Administration für eine Lösung des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern entworfen worden war und die freilich nur Letzteren Konzessionen abverlangte, verwarf Obama. Dieser Konflikt, so der Präsident in Kairo, könne nur durch eine Zweistaatenlösung überwunden werden.

Überraschendes äußerte er auch zum Iran. Während Bush diesem Land durch einen massiven Wirtschaftsboykott nicht nur die atomare Bewaffnung, sondern auch den zivilen Gebrauch von Atomkraft austreiben wollte, betonte Obama, dass dem Iran eine friedliche Nutzung zugestanden werden müsse, allerdings nur bei extrem ausgefeilten, externen Kontrollen. Gekrönt wurde Obamas Kairo-Auftritt schließlich durch die Ankündigung, dass sich die USA für einen kernwaffenfreien Nahen Osten einsetzen würden. Damit war nicht weniger gemeint, als dass auch Israel auf seine Nuklearwaffen verzichten müsse.

Obama beharrt bis heute auf der Zweistaatenlösung, was nicht nur deutlich abgekühlte Beziehungen mit Israel zur Folge hatte, sondern auch kleine Schritte zur internationalen Anerkennung eines Palästinenserstaates ermöglichte. Andererseits durfte Israels Siedlerbewegung die Landnahme unvermindert fortsetzen.

Wie sich wiederum das Verhältnis zwischen Iran und den USA gewandelt hat, zeigt nicht nur das Atomabkommen von 2015. Obama hat auch bewirkt, dass ein bewaffneter Angriff von israelischer Seite, der unter Bush stets möglich schien, derzeit kaum mehr zu befürchten ist.

Obwohl es gewisse Fortschritte bei diesen beiden Konflikten gibt, fällt die Gesamtbilanz von Obamas Nahost-Politik letztlich prekärer aus als die von Bush. Das mag man in den USA anders sehen, weil Obama die meisten der in Afghanistan und im Irak kämpfenden Soldaten nach Hause geholt hat. Aber er ist entscheidend verantwortlich für einen weiteren failed state, nämlich Libyen, dem mit Syrien der nächste folgen kann. Ein Staatszerfall, bei dem sich gegenwärtig schon abzeichnet, dass die amerikanische Verstrickung im Rückblick möglicherweise schon bald negiert wird. Wahr ist aber: Die USA haben hier vor allem durch steten Geld- und Waffentransfer kein anderes Ziel verfolgt als im Irak und in Libyen - regime change. Militärisch waren sie seit 2011 vornehmlich als Ausbilder und Berater angeblich gemäßigter Rebellen tätig, im Norden und Osten Syriens jedoch auch mit dem Einsatz von Kampfjets gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS).

Um zu verstehen, wie es zu diesem Kriegsbrand kommen konnte, sollte man gleichfalls auf den Beginn von Obamas Amtszeit schauen. Besonders hinsichtlich der Friedensperspektive, die er für die Palästinenser entwarf, stützte er sich auf Resolutionen der von Saudi-Arabien geleiteten Arabischen Liga, die zuvor schon mehrfach für die Zweistaatenlösung plädiert hatte und für diesen Fall die Anerkennung Israels durch alle in der Liga vereinten Staaten in Aussicht stellte. Das war durchaus ein Anlass zur Hoffnung, und es fällt heute noch schwer zu glauben, dass Obama mit seiner Kairo-Rede ein Täuschungsmanöver vollführte. Fakt ist nur, dass er sich - ob naiv oder bewusst, sei dahingestellt - hinsichtlich seiner Friedensversprechen für den Nahen Osten ganz und gar auf Einflüsterungen der alten Bündnispartner am Golf verließ. Zumal sie zusicherten, die USA durch die Übernahme von mehr Verantwortung in der Region entlasten zu wollen. Das Vermögen dazu hatten sich diese Staaten durch eine zuvor forcierte Aufrüstung erworben, von der 2009 noch angenommen wurde, sie diene der Verteidigung.

Was der Griff nach regionaler Verantwortung durch die Golfstaaten wirklich bedeutete, zeigte sich, als die Arabellion 2011 Ägypten und Libyen erfasste. Katar und Saudi-Arabien, die in ihren eigenen Ländern Demokratie als kofr (gotteslästerlich) brandmarken, machten sich hier zu teils aktiven Unterstützern von Bewegungen, denen es gelang, nach einem regime change Wahlen zu gewinnen und das Label "Demokraten" zu beanspruchen. Unter massivem Einfluss der Golfstaaten kam es im Irak, in Libyen und in Syrien zur Bildung ähnlicher islamistischer Milizen, wie man sie aus Afghanistan kannte. Doch stellte sich bald heraus, dass sie den gleichen Makel aufwiesen wie die zunächst ebenfalls als aufrechte Freiheitshelden eingestuften Taliban: Sie gehorchten nur kurze Zeit dem Willen ihrer Schöpfer und kämpften, sobald sie über genügend Geld und Waffen verfügten, lieber auf eigene Rechnung. So entstanden im Irak und in Syrien der IS sowie ein wahres Konglomerat islamistischer Lokalmächte.

Ohne Rücksprache

Seit die Ablösung der Assad-Regierung in Syrien in großer Zahl durch mutmaßlich demokratiebewegte Rebellen betrieben wird, die sich tatsächlich an der Scharia orientieren, wuchs der Verdacht, dass die USA in diesem Konflikt nicht immer die Zügel in der Hand halten, sondern die Interessen der neuen Regionalmächte Saudi-Arabien und Katar unverkennbar in den Vordergrund rücken.

Auch wenn sich Washington und Teheran ins Benehmen setzen - die Herrscher in Riad und Doha wollen ihren Konkurrenzkampf mit der zentralen Macht der Schiiten weiter vorantreiben. Deshalb hat Saudi-Arabien eine weitere Front im Jemen eröffnet, wo es eines der ärmsten Länder der Erde ebenfalls zum Dasein eines failed state verurteilt hat.

Das geschieht bislang mit der Zustimmung Washingtons. Ob Obama wie angekündigt die Unterstützung der von den Saudis geführten Anti-Huthi-Koalition zurückfährt, wenn sich deren Schuld am massiven Bombardement einer Trauerfeier in Sanaa erweist, bei dem am 9. Oktober über 140 Menschen starben, muss sich noch erweisen. Offenbar fühlt sich Amerikas saudischer Alliierter mittlerweile so mächtig, dass er manche Kriegshandlungen ohne jede Rücksprache vollzieht. Auch wenn Barack Obamas Rede in Kairo ehrlich gemeint war - er steht derzeit vor dem Scherbenhaufen seiner Nahostpolitik.

Quelle: der FREITAG   vom 26.10.2016. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

27. Oktober 2016

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